Alte oder neue Bekanntschaften

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Ich rannte dem Wald entgegen. Ich trug immer noch meine Schlafsachen. Ich wusste nicht warum ich aus dem Haus gegangen war, und konnte mich auch überhaupt nicht daran erinnern, dies getan zu haben. Die Augen starrten aus den Bäumen zu mir hinaus und schienen mich zu rufen. Ich konnte diesem Ruf nicht entgehen. Als ich den Wald erreichte, rannte ich noch weiter. Zu den Augen gesellte sich nun auch langsam eine Gestalt. Als ich die Gestalt vollständig erfassen konnte, hielt ich kurz inne und sah einen riesigen, braunen Wolf vor mir stehen. Er sah mich mit einem sehnsüchtigen Blick an und trottete dann tiefer in den Wald. Anstatt zu zögern lief ich dem Wolf hinterher. Plötzlich drehte sich der Kopf des Wolfes zu mir um, und ebenso plötzlich, erkannte ich die Augen. Sie gehörten zu Jared.

Mit einem Ruck saß ich aufrecht in meinem Bett. Was war das denn für ein Traum? Unten hörte ich es schon poltern. Das konnte nur eins bedeuten, und der Blick auf die Uhr bestätigte es mir. Ich würde zu spät kommen. Sollte ich mich jetzt beeilen, um nur ein bisschen vom Unterricht zu verpassen, oder sollte ich einfach einen drucklosen Morgen genießen? Diese Frage beantwortete sich von selbst, als die geradezu krankhaft fröhlich klingende Stimme meiner Mutter zu mir hinauf hallte:
„Kim du bist schon zu spät! Beeile dich!"

Morgenroutine.
Bei diesen fetten Augenringen und der Menge an Make-Up die ich dabei verbrauchte, würde ich bald mehr brauchen.
Da es gestern ein sehr turbulenter Tag war, wählte ich Heute etwas dezentere und unauffälligere Kleidung in Form von einer Jeans, einem enganliegendem Langarmshirt, meinen braunen Winterstiefeln, und meinem Parker, da es heute sehr kalt aussah.

Als ich schnell die Treppe hinunterging, und mich erfolgreich an der Küche und dem Wohnzimmer vorbei schlich, warf ich noch einen letzten Blick in den Spiegel.

Perfekt. So würde ich garantiert nicht auffallen.
Vielleicht würden Paul und Jared wieder zur Schule kommen. Gestern hatte ich sie ja gesehen, und sie sahen nicht sonderlich krank aus. Während ich zur Schule eilte, nutzte ich die Zeit um noch mal den Traum durchzugehen. Ich hatte häufig Alpträume, das war nicht ungewöhnlich. Doch war es überhaupt ein Alptraum? Ich glaube nicht. Er war ungewöhnlich, und irgendwie zusammenhangslos, aber nicht wirklich gruselig. Außer die Sache mit den Augen. Das kam mir schon sehr merkwürdig vor. Aber wenn ich mich an das Augenpaar zurückerinnerte, fiel mir die Unverwechselbarkeit zu Jareds Augen schon auf. Ich würde heute einfach mal versuchen, unauffällig in seine Augen zu sehen. Nur um sicher zu gehen.

Das Schulgebäude kam langsam in Sicht. Ich verlangsamte meine Schritte etwas, da ich nicht besonders erpicht darauf war, gleich in Englisch neben Jared zu sitzen. Sonst freute ich mich immer darauf, aber jetzt wusste ich nicht wie er sich verhalten würde, nachdem was gestern alles war. Sollte er immer noch so freundlich sein, was ich jedoch stark anzweifelte, tat er es dann nur aus Schuldgefühlen heraus?

Aber er brauchte sich überhaupt keine Schuld zuweisen. Würde er gemein zu mir sein? Und mich mit dem hänseln, was er am vergangenen Tag alles mitbekommen hatte? Oder -und dieser Gedanke tat am meisten weh- würde er mich wieder ignorieren?
Von mir aus könnte er fast alles tun, aber er sollte mich bitte nicht ignorieren. Die 7 erbärmlichen Jahre, die ich jetzt schon in ihn verliebt war, hatte er mich ignoriert. Für Jared Cameron existierte ich bis zum vergangenen Tag hin nicht. Und ich würde fast alles dafür tun, um ihn nicht zu verlieren. Denn den Schmerz den ich jedes mal empfand, wenn er mit einer anderen redete, oder ansah, war über all die Jahre schwer zu ertragen. Ich fragte mich dann immer:
Warum konnte ich nicht so sein wie Isabelle, das beliebteste und hübscheste Mädchen der Schule? Dann hätte Jared, mein Schwarm mich mit Sicherheit schon früher beachtet.
Viele andere Menschen, die bis jetzt auch noch nie ein Auge auf mich geworfen hatten, hätten mich dann auch sicherlich angesprochen oder zumindest angesehen. Ich war eigentlich kein großes Mobbingopfer. Nur ein oder zwei mal im Monat gab es ernstere Dinge, als nur die tägliche Missachtung, oder die dummen Sprüche derjenigen, die mich wahrnahmen zu spüren. Es war dann so etwas wie ins Klo eingesperrt zu werden oder so. Also nichts weltbewegendes.

An meinem Spind angelangt, griff ich nach meinen Englischsachen. Ich knallte die Tür wieder zu, und torkelte ein paar Schritte zurück. Heute war wohl unglücklicherweise einer der ein oder zwei Tage im Monat. Denn vor mir stand Isabelle mit irgendwelchen von ihren Schoßhündchen persönlich an ihren beiden Seiten flankiert.
„Na Kimi, mal wieder verschlafen", säuselte ihre ekelhaft hohe Stimme. Es stimmte. In letzter Zeit verschlief ich öfter. Zu viel Stress schätzte ich, obwohl Schule an sich also der Lernstoff mir nie Stress bereitete. Wie konnte man nur so hochnäsig und dumm sein, und trotzdem von allen angehimmelt werden? Na gut. Ich wollte doch nicht so sein wie sie. Nur das Aussehen... Nein ich wollte nicht so sein wie sie!
Mit einem kurzem Nicken bestätigte ich ihre These.
„Dann solltest du mit dem Kopf vielleicht nicht so in den Wolken hängen", gab sich schnippisch darauf zurück. Früher war sie noch nicht so gewesen. Sie war nett, beliebt und hübsch. Das änderte sich ab der 8. Klasse. Jungs fingen an sich für Mädchen zu interessieren und andersrum.
Es gab damals einen Jungen, er hieß Sean. Zum Frühlingsball hatte er mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte. Da ich schon damals auf Abstand bedacht war, und eh nicht an ihm interessiert war, sagte ich ihm ab. Daraufhin fragte er Isabelle. Sie hätte jeden genommen, nicht so wie heute. Da würde jeder sie nehmen. Als sie dann erfuhr, das Sean zuerst mich gefragt hatte, und sie nur sozusagen die Zweitwahl war, war sie sauer. Ich verstand aber einfach nicht warum. Ich war nicht an ihm interessiert! Und außerdem hatte er mich wahrscheinlich nur gefragt, weil ich eines der einzigen Mädchen früher so wie heute war, die mit Jungs reden konnte ohne gleich in diese verliebt zu sein.

Ich schätze, dass sie ab der 8.Klasse zu sehr darauf bedacht war, anderen zu gefallen, und die beliebteste und beste zu bleiben. Eigentlich ziemlich traurig, und alles andere als beneidenswert.
Ich wollte mich schon zum gehen wenden, da meinte Isabelle weiter machen zu müssen.
„Bist du eigentlich immer noch unglücklich verliebt?" Sie konnte es nicht lassen.
„Ach komm schon Kim! Ich will mich nur ein bisschen mit dir unterhalten!", quengelte sie drauf los.
„Unterricht", gab ich ihr zu verstehen. Sie sah mich weiter an bis sie etwas erwidern wollte, doch das hörte ich nicht mehr, weil grade in dem Moment Jared hinter ihr auftauchte.
Er blieb fünf Meter vor der kleinen Gruppe stehen und schien die Situation zu mustern.
Er sah mich an, und mein Blick schnellte zum Boden. Ja, es waren seine Augen. Die röte die mir ins Gesicht stieg, schien Isabelles Schoßhündchen nicht zu entgehen.
„Oh wie niedlich. Kim wird ja ganz rot, wenn er sie nur anschaut", gackerte eine von ihnen los. Wie auf Kommando wechselte Jared mit Paul einen Blick, den ich bis dahin nicht bemerkt hatte, und Isabelles Kopf schwang nach hinten.
„Oh! Hallo Jared. Wie schön das du wieder da bist. Geht es dir besser?" Ihr Blick glitt über seinen Körper, und ich musste leicht schmunzeln, als sich ihre Augen bei dem Anblick der beiden, gewachsenen Jungs weiteten.
„Stell dir vor Isabelli, wir leben, und sind nicht einmal annähernd froh dich zu sehen", wandte sich Paul zu meiner Überraschung an sie. Natürlich ließ sie sich davon nur wenig beeindrucken und machte sich nicht einmal die Mühe ihn anzuschauen.
Ein amüsiertes Lächeln spielte sich auf Pauls Mundwinkeln, während Jared angestrengt die Stirn in Falten legte.

„Hey Kim. Gehen wir zum Unterricht?", fragte Jared mich. Wusste er etwa, das ich jetzt neben ihm saß?

Und fragte er mich das vor all den anderen hier? Mein Herz klopfte schneller, und er schien eine Antwort abzuwarten. Isabelle kam mir zuvor, und sagte:
„Das ist ja witzig! Zuerst bemerkt Jared die kleine, unsichtbare Kim nicht,"
„Hör auf Isabelle!", warnte Paul sie, und Jareds Blick bekam etwas trauriges, aber auch wütendes.
„und dann erinnert er sich auf magische Weise an ihren Namen."

Autsch. Das tat weh.
„Und weiß sogar wann er neben ihr sitzt", säuselte sie weiter. Ich merkte wie Recht sie hatte, und Tränen stiegen auf.
„Isabelle du solltest wirklich aufhören", drohte Paul ihr weiter. Jared fing an zu zittern. Und dann ging sie einen Schritt zu weit.
„Und die kleine Streberin die kaum einer beachtet, wird vor Aufregung ganz schlecht", beendete sie ihren Monolog.
Jared ging ruckartig und unnatürlich schnell auf sie zu. Diesmal zuckte sie kurz zurück. Als er begann zu reden, bebte seine Stimme leicht vor Zorn. Und ab dem Moment, verstand ich nichts mehr.
„Lass den scheiß Isabelle. Du hast keine Ahnung!", blaffte Jared sie an. Er zitterte immer stärker, und Paul ging auf ihn zu.
„Wenn du Aufmerksamkeit willst, solltest du nicht permanent mit allen Typen ins Bett steigen. Dann würde sich vielleicht ernsthaft wer für dich interessieren", machte er weiter, während Isabelle immer weiter zurückging. Er schien bald zu platzen vor Wut. Dann packte Paul Jared am Arm und zog ihn den Gang runter. Jared schien sich heftig zu wären, aber Paul zog ihn einfach hinter sich her.

Unterdessen machten Isabelle und die anderen sich schnell aus dem Staub. Doch nicht ohne mir noch eine wie ich dachte hohle Warnung an den Kopf zu werfen:
„So viel Glück wiest du nicht noch mal haben, Connweller."
Ich verstand die Welt nicht mehr! Warum war Jared so wütend darüber gewesen, wie Isabelle mich behandelte? Sollte ich ihm und Paul hinterher gehen?

Eher nicht.
Mit wackligen Knien ging ich Richtung Klassenraum. Vor der Tür verharrte ich noch kurz einen Augenblick, bevor ich an die Holztür klopfte.
Von der anderen Seite ertönte die leicht verärgerte Stimme meines Englischlehrers:
„Herein!" Langsam öffnete ich die Tür, und die Köpfe meiner Mitschüler wandten sich wieder gelangweilt ihren Heften zu.
Ich eilte indessen zu meinem Platz in der ersten Reihe, gleich am Fenster.
„Sie haben ihren Rekord von 10 Minuten soeben gebrochen", verkündete Mr. Smith.
Die anderen kicherten leicht. Ich spürte wie ich immer röter und röter wurde, bis Mr. Smith mit dem Unterricht fortfuhr. Ich hoffte die ganze Stunde über, das Jared doch noch zum Unterricht kommen würde, doch er kam nicht. Und so versuchte ich bis zum erlösendem Klingeln verzweifelt mich zu konzentrieren.

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