Rettung

465 6 1
                                    

Mein Vater hob seinem Arm, und holte zum Schlag aus. Sein Gesicht war so wutverzerrt. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich ihn das letzte mal richtig glücklich gesehen hatte. Seine dunklen, kurzen Haare waren fettig und seine braunen Augen waren irgendwie trüb. Dieser Mann vor mir, sah trotz seiner Muskeln so müde und ausgenutzt aus. Er war so anders geworden.
Als seine große, rostbraune Hand auf mich zu schellen wollte, ich vor Angst vor dem Schmerz die Luft anhielt und die Augen zukniff, ertönte hinter mir eine Stimme, die mich in diesem Moment vor meinem Vater schützte.
„Hallo Kim." Embry.

Was tat er hier?

Mein Vater lies die Hand sinken, und drehte auf dem Absatz um. Er hieß Christopher. Eigentlich ein schöner Name, für einen fürsorglichen Vater. Genauso wie der alte Rest von ihm, passte auch das nicht mehr in das Bild des Menschen, der mich grade schlagen wollte.
Langsam drehte ich mich um.

Würde Embry mich fragen, was das grade war? Er sah mich einfach nur an, mit einem Blick den ich nicht einzuordnen vermochte.
„Wollen wir kurz ein Stück spazieren gehen?", fragte er. Um ehrlich zu sein:
Ich würde jetzt alles tun, nur um diesem Höllenort zu entkommen. Na gut, nicht alles. Aber das mit Embry war drin. Als ich langsam auf ihn zu ging, merkte ich jeden einzelnen blauen Fleck und jedes noch so kleine Fauxpas, der meinem Körper über den Tag passiert war. Ich verzog kurz den Mund, aber er fragte nur:
„Was ist mit deinem Kopf passiert?"
„Hingefallen", war das einzige was ich antwortete. Ich konnte nicht sagen warum, aber es fiel mir leichter mit Embry zu sprechen, als mit Paul und Jared.

Warum hatte er das Heute alles für mich gemacht?

Es war mir unbegreiflich!

Anstatt darüber nachzugrübeln, warum er und Paul sich Heute um mich kümmerten, weil das sowieso ein einmaliges Ding war, wandte ich mich dem Jungen neben mir zu. Wahrscheinlich fiel mir das reden mit ihm leichter, weil man mit ihm nicht viel reden müsste. Ich fand das sehr angenehm. Seine einzige Reaktion zu meiner Antwort war ein kurzes Grunzen. Ich wusste oder vermutete vielmehr, dass er wusste was dort auf meiner Veranda fast passiert wäre.
Und er wusste auch, das ich weg musste. Deswegen liefen wir jetzt meine Straße entlang. Ich wusste allerdings, dass er nicht für immer über das was er grade mitbekommen hatte schweigen würde. Aber für diesen Moment lief er einfach nur neben mir und musterte mich von der Seite. Ich ließ ihn. Auch wenn es mir unangenehm war. Aber es wäre mir noch unangenehmer gewesen, ihn darauf anzusprechen.

Als die Straße endete, interessierte es mich doch, warum er bei mir war. Schließlich wohnte er wo anders, mit seiner Mutter. Es war ein kleines Haus das sie grade reparierten. Jeder aus La Push wusste Bescheid, weil er und seine Mutter Lauren ursprünglich aus dem benachbarten Makkah-Reservat kamen. Das war vor ungefähr 8 Monaten eine große Neuigkeit in diesem kleinem Kaff.
„Warum warst du eigentlich bei mir zu Hause?", fragte ich ihn. Sogar ganz ohne zu stottern. Ich war stolz auf mich. Er guckte schnell grade aus, bis er sagte:
„Ich war mit zwei Freunden unterwegs und ich sollte dort kurz auf sie warten. Sie haben mir eine SMS geschrieben und meinten das es doch länger dauern kann." Das klang plausibel.

Embry war nicht so offensichtlich schüchtern, sondern eher verschlossen. Er verbarg es so oder so besser als ich. Aber das war keine Kunst.

Es verlieh ihm aber etwas sehr interesanntes.

Am Waldrand blieben wir beide stehen und guckten in den dunklen Wald. Mittlerweile konnte man nichts mehr erkennen, da die Straßenlaternen schon hinter uns lagen. Ich mochte ihn wirklich, da er sich Zeit für mich nahm, mich aber zu nichts drängte oder dergleichen.

Mögen war vielleicht nach der kurzen Zeit zu viel, aber er war mir auf jeden Fall sympathisch...

Mein Blick war starr auf den Wald gerichtet. Es zog mich beinahe hypnotisch zu den dunklen Kiefern. Ich bildete mir kurz ein, ein Augenpaar zu sehen, doch bevor ich dieser Illusion nachgeben konnte, riss mich das klingeln von Embrys Handy aus der Trance.
„Was gibt's Jake?", begrüßte er den Indianerjungen auf der anderen Seite des Hörers. Ich wusste gar nicht, dass er etwas mit ihm machte. Ich kannte ihn. Er hieß eigentlich Jacob, war 16 und ging eine Klasse unter mir. An meiner Schule war er verdammt beliebt und scherzte mit seinen Freunden gerne über andere. Ich fand, das er und Embry nicht zusammen passten. In der Schule war er genauso viel allein wie ich.
„Ja! Ich komme gleich, also bleib ruhig und drehe nicht gleich durch Panik Paula!", sagte er genervt ins Handy und legte auf.
Danach drehte er sich zu mir, und schaute mir direkt in die Augen. Das Braun seiner Augen war so intensiv, das ich mich seinem Blick nicht entziehen konnte. Er fing an zu lächeln. Dann unterbrach ein tiefes, bedrohliches Knurren unseren Blickkontakt. Das Knurren kam aus dem Wald und war sehr laut. Dabei fuhr mir ein Schauer über den Rücken, ich hielt mir die Hand vor den Mund um nicht los zu brüllen wie eine Blöde und ergriff mit der anderen panisch Embrys Hand. Seine Augen waren weit aufgerissen und auf den Wald geheftet. Ich schaute ebenfalls schnell dort hin und sah zwischen den Kiefern ein braunes Augenpaar mit grünen und goldenen Sprenkeln verschwinden. Bevor ich mich erinnern konnte, woher ich diese Augen kannte, zog Embry mich schnellen Schrittes zurück zu den Laternen.

Den ganzen Weg zurück hatten wir nicht geredet. Jetzt standen wir vor meinem Haus, und starrten schwer atmend auf meine Haustür. Ich blickte zu Embry.

Korrigiere, ich stand keuchend da, während der Junge neben mit irgendwie gequält aussah. Wir waren beinahe zurück gerannt. Die Schmerzen die ich empfand, waren kaum in Worte zu fassen.
„Geht's dir gut?", fragte er mich besorgt.
„Was war das?", fragte ich ihn stattdessen zurück. Er zuckte mit den Schultern.
Er blickte mich ein letztes Mal an.
„Bis morgen in der Schule Kim." Damit ließ er mich allein. Und erst als er sich umdrehte, bemerkte ich das meine Hand seine die ganze Zeit panisch umklammert gehalten hatte. Kurz bevor er in die nächste Straße einbog, lächelte er mir einmal noch kurz zu. Dann würde er von Jacob zum Wagen gezogen, der an der Straßenseite geparkt hatte.
Das letzte was ich hörte war wie Jacob Embry fragte:
„Warum hast du nicht auf uns gewartet?"
Komisch. Embry meinte doch, das sie länger brauchten und...

Lassen wir das mit dem denken für Heute.
Ich ging rein. Die Wärme sollte mir entgegen strömte, doch aus Angst vor dem was gleich geschehen würde, fröstelte ich noch mehr als draußen. Ein Fuß vor den anderen setzend, schlich ich am Wohnzimmer vorbei. Als ich am Fuße der Treppe ankam, atmete ich aus. Denn meine Eltern waren auf dem Sofa und taten so als wäre nichts passiert.

Doch zu früh gefreut!

Vanessa stand oben vor der Treppe, sah mich und lächelte gehässig.

Falsche Schlange!
„Hey Kim! Den ganzen Tag nicht gesehen!", rief sie laut genug für alle im Haus. Sie stolzierte schnell die Treppe runter, und stahl sich an mir vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich auf den zum Sofa passenden roten Sessel.
„Komm her", sagte mein Vater. Widerwillig gehorchte ich und Schliff in den Höllenraum.
„Wenn du noch einmal den ganzen Tag weg bist, mach ich das was grade fast passiert wäre wahr", motzte er mich an. Meine Mutter hob noch nicht einmal den Blick von ihrer Zeitung, während Vanessa an ihrem Handy saß und sich das Lächeln aus ihrem falschen Gesicht nicht mehr wegwischen konnte.

Was war nur mit unserer Familie passiert! Es machte mich verdammt traurig...

Ich ging unschlüssig Richtung Treppe. Als niemand etwas sagte, rannte ich beinahe die Treppe hoch in mein Zimmer. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schnappte ich mir meinen Schlafanzug und eilte ins Badezimmer.

Ich betrachtete mich unerwartet im Spiegel und war ernsthaft erschrocken. Mein Gesicht war blass, mein Kopf verbunden und Schmutzig. Meine Haare waren zerzaust und verknotet.

Und so sollte Jared mich gesehen haben?

Nachdem ich in der Dusche stand und auch den Rest meines verunstalteten Körpers erkennen konnte, merkte ich wie sehr dieser Tag an mir gerissen hatte. Es war etwas anderes zu wissen, das du überall am Körper Schürfwunden und Blaue Flecken hast. Es zu sehen, war nochmal schlimmer. Ich sah Misshandelt aus. Und so fühlte ich mich auch. Faszinierend, das mein Körper das widerspiegelte, was ich Heute an meiner Seele verspürt habe:
Misshandlung, Folterei.
Hart ausgedrückt, aber so fühlte sich meine Seele.
Hinzu kam:
Betrug, Missachtung, Trauer, Angst, Freude, Liebe.
Aber wenn mein Körper alles zeigen würde was ich fühlte, so würde ich wahrscheinlich nur noch gehen können, weil Jared Heute bei mir war.

Auch als ich in mein Zimmer schlich, schien es keiner zu bemerken. Ich war zu schwach und erschöpft gewesen um mir die Haare zu föhnen. So fiel ich ausgelaugt auf mein Bett und schloss die Augen. Während ich erfolglos versucht den Tag mit all seinen Ereignissen zu verdrängen, schlief ich in einen tiefen, aber irgendwie unruhigen Schlaf. Das letzte was ich bemerkte, bevor die Träume mich zu sich nahmen, war das gequälte heulen eines Wolfes.

Liebe kann...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt