Ich musste wohl eingenickt sein, denn als ich meine Augen öffnete, schmerzte mein Nacken höllisch und mein Rücken schien eher der einer Sechzigjährigen zu sein. Verwirrt blinzelte ich im Wagen umher. Ich war immer total orientierungslos wenn ich aufwachte.
Durch das kleine Fenster über der Tür schien das Mondlicht zu uns Herein. Es war mitten in der Nacht.
Warum also war ich aufgewacht?Ich wollte mir wieder eine bequeme Position zum schlafen suchen, als ich merkte, dass wir gar nicht mehr in Bewegung waren.
Konnte es etwa sein, dass wir schon da waren?Ich trat an das Fenster heran und warf einen Blick nach draußen. Tatsächlich, wir befanden uns direkt vor der massiven Stadtmauer.
„Augustus... Augustus! Wir sind da!", raunte ich an meinen Bruder gewandt, der genau wie seine Frau Flavia Helena und meine Mutter Flavia Silvana am schlafen war.
Doch er regte sich nicht und schlief einfach weiter, woraufhin ich die Augen verdrehte.
Dann legte ich meine Hand auf die Türklinke und öffnete sie. Gerade als ich einen Schritt nach draußen machen wollte, stieg ein Legionär die Stufe zum Wagen hoch und wir stießen zusammen.„Flavia Olympias! Um Gottes Willen, habt Ihr mich erschreckt!", raunte er während er wieder einen Schritt nach hinten machte und mir gleichzeitig die Hand hin hielt, um mir vom Wagen zu helfen.
Auch wenn ich sie nicht benötigte, ergriff ich trotzdem seine starke Hand und sprang vom Wagen hinab.„Kommt, wir müssen uns beeilen!"
Schnellen Schrittes zog er mich mit sich direkt zur Stadtmauer. Zwei unserer Sklaven waren gerade damit beschäftigt, ein verstecktes Tor in der Mauer zu öffnen.
Immer wenn wichtige Persönlichkeiten nach Rom ein- oder ausreisten, wählten sie versteckte Hintereingänge zum Palast, da die Strecke mitten durch die Stadt zu gefährlich wäre.„Warten Sie hier!", befahl mir der Legionär und ließ mich neben dem Tor stehen, dass gerade langsam geöffnet wurde.
Genau wie die Stadtmauer selbst war es auch aus Stein und da es nicht täglich genutzt wurde, waren die Angeln schon etwas eingerostet. Es war also wirklich ein mühsamer Akt, dieses Tor zu öffnen.
Allerdings durfte das auch nicht zu lange dauern und man musste so leise wie möglich sein, denn sonst könnten schnell Räuber oder andere Feinde auf einen aufmerksam werden.Auch der Rest meiner Familie wurde mit Legionären zum Tor gebracht, unsere Sklaven kamen mit einem Teil von unserem Gepäck neben uns zum Stehen. Verschlafen warteten wir darauf, dass wir endlich die geheimen Gänge unterhalb der Stadt betreten und uns auf den Weg in den Palast machen konnten.
„Räuber! Räuber in Sicht!", rief plötzlich einer der Legionäre.
Ich riss meinen Kopf in die Richtung herum, in die er zeigte.
Tatsächlich, eine ganze Gruppe dunkel gekleideter Männer kam im höchsten Tempo auf uns zu geritten.
So ein Mist!Auch alle anderen schienen nun bemerkt zu haben, dass wir uns so schnell wie möglich in Sicherheit bringen mussten, denn es breitete sich Panik aus, jeder redete durcheinander und Flavia Helena, die Frau meines Bruders quetschte sich schon panisch durch das halb geöffnete Tor.
„Rein da mit Euch!", befahl der Legionär, der mich vorhin aus dem Wagen geholt hatte.
Er packte mich mit einem festen Griff am Arm und schob mich durch das Tor in die Stadtmauer, wo Helena sich ängstlich an die Wand gepresst hatte.
Nach mir kamen meine Mutter, Aviana und die meisten anderen Sklaven und zum Schluss mein Bruder.
Ich sah gerade noch so, wie die Legionäre ihre Schwerter zogen, die im Mondschein aufblitzten, dann wurde das Tor mit einem Ächzen und Knarren geschlossen.Wir blieben zurück in der Stille, allein eine Fackel erleuchtete die Dunkelheit.
Magnus, der Sklave meines Bruders - den er aber eher als engen Vertrauten sieht - schnappte sich die Fackel und stieg die steinernen Stufen hinab in die engen, dunklen Tunnelgänge.
Wir folgten ihm, einer nach dem anderen, mein Bruder bildete das Schlusslicht.
Ich griff sowohl nach seiner Hand, als auch nach der von Aviana, die direkt vor mir lief. Wir hassten beide diese Gänge, in denen man sich so leicht verirren konnte wenn man sich nicht auskannte. Mein Bruder dagegen war mal wieder die Ruhe selbst. Er hatte schließlich schon mehrmals in Gefechten mitgekämpft, für ihn war das hier einfach nur ein kurzes Zwischenereignis, das die Nacht etwas weniger langweilig machte.Während unserer Wanderung durch den Untergrund Roms sprach niemand von uns. Man hörte nur unsere Schritte, die nacheinander über den steinigen Boden gingen. Es war ziemlich warm hier drin und es roch etwas modrig, die Luft war alles andere als frisch. Die Fackel, die Magnus circa 20 Meter vor uns in der Hand hielt warf flackernde Schatten an die Wand, ihr Licht erreichte uns am Ende der Karawane jedoch fast nicht mehr.
Ich tappte also mehr oder weniger blind durch die Tunnel, die Hand meines Bruders, die meine drückte nahm mir jedoch die Unbehaglichkeit.Nach einer gefühlten Ewigkeit stiegen wir wieder Stufen hinauf, wobei ich mir fast den Kopf an der Decke stieß, so niedrig war sie. Magnus öffnete eine Holztür und nachdem wir alle durch sie hindurch gingen befanden wir uns im Freien, im Garten des Palastes.
Erleichtert ließ ich die Hände von Aviana und Augustus los. Umzingelt von Palmen und Pinienbäumen, sowie einem kleinen Bach der sich durch die grüne Wiese schlängelte, atmete ich erst einmal die frische Luft ein. Der Garten hier erinnerte mich sehr an unser Landhaus, welches ich für die nächste Zeit wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.Uns war jedoch keine Pause gegönnt, denn Magnus lief sofort weiter, direkt auf das Eingangstor zu. Wir waren schließlich erst wirklich sicher, wenn wir uns im Inneren des Palastes befanden.
Auch wenn dieser Eingang nicht der Haupteingang war, wurde er von vier Wachen bewacht, denn manchmal konnte es passieren, dass sich irgendjemand irgendwie Zugang zum Garten verschaffte.Nachdem sie uns kurz mit ihren prüfenden Blicken gemustert hatten, nickten sie meinem Bruder zu und traten dann zur Seite, damit Magnus das hohe Eisentor öffnen konnte.
Einer nach dem anderen traten wir ein und schließlich wurde das Tor hinter uns geschlossen.Wir waren wieder zu Hause, wir waren wieder im Palast. Doch ich freute mich kein bisschen darüber, denn das bedeutete dass ich unter der ständigen Beobachtung meines Vaters stand.
So als ob er schon auf uns gewartet hatte, kam mein Vater um die Ecke und lief langsam, aber majestätisch auf uns zu.
Die rote Schärpe die er über seinem Gewand trug schleifte ihm über den blank polierten Marmorboden hinterher, der goldene Kranz den er auf dem Kopf trug glänzte im Licht der vielen an den Wänden befestigten Fackeln mit der golden verzierten Decke um die Wette. Er setzte ein Lächeln auf, während er uns immer näher kam, seine Augen jedoch strahlten keinerlei Wärme aus. Im Gegensatz zu seinen wirren, grauen Haaren waren sie so schwarz wie die Nacht, pure Kälte und Strenge.Zwei Meter vor uns blieb er stehen. Niemand wagte etwas zu sagen, alle warteten schweigend ab was er als Nächstes tun würde.
„Flavia, meine Süße! Komm her zu mir, lass dich umarmen!", rief er dann und breitete seine Arme aus.
Erst war ich mir nicht sicher, ob er meine Mutter, Augustus' Frau oder mich meinte, denn Vater nannte uns drei immer nur beim Familiennamen.
Doch dann schaute er mir mit einem Lächeln in die Augen und forderte mich stumm auf, zu ihm zu gehen.Also reckte ich mein Kinn und kam ohne sein Lächeln zu erwidern auf ihn zu. Dann ließ ich mich von meinem Vater drücken und legte zögerlich eine Hand auf seine Schulter um ihn nicht zu verärgern.
„Ich freue mich schon auf deinen großen Tag, Flavia! Morgen wirst du ihn kennenlernen.", raunte er mir dicht an meinem Ohr zu und ich musste kräftig schlucken während sich eine Gänsehaut an meinem Hals bildete.
Seine Stimme war so kalt, man suchte jegliche Spur von Liebe vergeblich.Auch toll fand ich, wie er sich überhaupt nicht nach meinem Wohlergehen oder der Reise erkundigt hatte. Nein, er war natürlich direkt auf meine Hochzeit zu sprechen gekommen, auf die ich kaum mehr warten konnte.
Ekelhaft, ich hätte mich am liebsten übergeben.

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The Slave's Darling
Historical Fiction106 n.Chr. Flavia Olympias ist die Tochter des Kaisers vom Römischen Reich. Eigentlich führt sie ein relativ angenehmes und luxuriöses Leben, das sie größtenteils auf dem Landhaus der Familie verbringt. Doch ihr Vater hat schon wieder einen Mann au...