Kapitel 28: Ryan

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Heute ist Montag, der erste Schultag nach den Ferien. Ich habe keine Lust. Das ist zwar nichts Neues, doch es liegt ausnahmsweise nicht an den Lehrern oder den öden Fächern.

Nein, heute ist der Tag, an dem wieder alles so sein wird wie zuvor. Den Rest der Ferien habe ich entweder mit meinen Freunden oder mit Rose verbracht. Und damit meine ich nicht Rose und meine Familie.

Ein paar Mal sind wir zwar meine Eltern im Restaurant besuchen gegangen und haben gleich dort gegessen. Und jedes Mal hat es sich so wie ein inoffizielles Date angefühlt.

Ausserdem waren wir auch oft gemeinsam joggen und als Harper mit ihren Freunden und Rose in den Zoo gehen wollte, habe ich mich frech angeschlossen. Da wir sowieso nur als Aufpasser für den Beginn galten, hatten wir anschliessend viel Zeit für uns.

Ich habe sie besser kennengelernt und sie ist nicht nur wunderschön, sondern auch klug und wir haben in vielen Dingen gemeinsame Interessen. Ich war seit drei Jahren nicht mehr verliebt und kann meine Gefühle daher nicht deuten.

Klar könnte man jetzt sagen ich bin ein Macho, doch ich hasse Typen, die über ihre Gefühle Gedichte oder Briefe schreiben. Das ist etwas für Waschlappen.

Ich stehe schon unten in der Küche und schnappe mir schnell noch eine Banane und einen Proteinriegel für das spätere Training, da wir jetzt wieder härter trainieren, weil bald die Jugendmeisterschaft ansteht. Rose kommt die Treppe herunter.

Sie trägt einen kurzen, schwarzen Jeansrock und ein weisses Rüschentop. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie richtig scharf aussieht und deswegen gleich wieder nach oben gehen kann, um sich umzuziehen. Denn so halte ich es den Rest des Tages neben ihr nicht aus.

Doch Josh sitzt neben mir und ich möchte nicht, dass er noch mehr mitbekommt als er ohnehin schon weiss. Josh hat mir die letzten Tage mehr als nur einmal einen komischen Blick zugeworfen. Rose grinst mich an.

«Buenos días.»

«Hola guapa», antworte ich und grinse anzüglich zurück. Ich kann es halt doch nicht lassen.

Sie kichert bei meinem Spitznamen für sie. Josh grunzt ihr ein kurzes Morgen zu, für mehr ist er heute nicht im Stande.

Er ist zwar kein Morgenmuffel, doch ist er dieses Wochenende sehr spät nach Hause gekommen und hat wohl einen Kater.

Zehn Minuten später sitzen wir im Auto und warten auf Elijah.

«Was treibt dieser Zwerg eigentlich?», fragt Josh von der Rückbank aus, auf die ich ihn verbannt habe, damit Rose neben mir sitzen kann.

«Ich weiss es nicht.» Ungeduldig trommle ich auf dem Lenkrad herum.

Dann endlich kommt er aus der Tür geschlurft und watschelt gemächlich über den Kiesplatz.

«Na endlich», sagt Josh, als Elijah sich neben ihn auf den Sitz fallen lässt.

«Sag mal, warst du noch kurz in der Parfümerie?» Josh rümpft angewidert die Nase und als ich losfahre, lässt er sofort das Fenster herunter.

«Nun übertreib mal nicht», verteidigt sich Elijah.

Doch auch Rose und mich trifft nun der beissende Gestank seines Parfums.

«Übertreib du's nicht, Kleiner», sage ich und Rose blickt zu Elijah nach hinten, der wie ich im Rückspiegel sehen kann, unwohl auf dem Sitz herumrutscht.

«Keine Sorge Elijah. So schlimm ist es nicht. Aber pass auf, weniger ist bekanntlich mehr.»

«Ist gut, danke Rose.»

«Für wen hast du dich denn so hübsch gemacht? Gibt es da ein paar Mädchen, die du gerne aufreissen möchtest?», fragt Josh unverhohlen.

«Josh», zischt Rose empört.

«Die muss ich nicht aufreissen. Sie kommen alle freiwillig.»

Abrupt trete ich aufs Bremspedal und fahre an den Rand. Rose sieht mich irritiert von der Seite an, doch ich muss das jetzt schnell klären.

Ich drehe mich zu Elijah um und gucke ihn ernst an. Josh neben ihm kann sich das Lachen kaum verkneifen.

«Elijah, du bist gerade einmal fünfzehn. Also solltest du in diesem Alter noch keine Mädchen aufreissen. Also bitte sag das nie wieder.»

Streng blicke ich ihm in die Augen, doch er guckt nur herablassend zurück.

«Guter Ratschlag grosser Bruder. Weisst du, genau das habe ich von DIR abgeschaut. Also verteile mir hier bitte keine väterlichen Ratschläge, wenn du in diesem Alter auch etliche Mädchen aufgerissen hast.»

Ich schiele kurz zu Rose rüber, doch die zuckt nicht einmal mit der Wimper. Ohne ein Wort zu sagen, fahre ich weiter.

Der Kleine hat verdammt recht. Und das weiss er, das weiss Josh, das weiss ich, mein Gott das weiss sogar Rose.

Ich parke auf dem Schulparkplatz und steige aus. Elijah verabschiedet sich von uns und geht in Richtung Turnhalle.

Mit Josh und Rose im Schlepptau, laufe ich auf den Eingang zu und begrüsse ein paar Freunde, die gerade die erste Zigarette des heutigen Tages rauchen.

Josh erblickt einen seiner Teamkollegen und sagt: «Viel Spass in der Schule. Wir sehen uns dann später.»

«Bis dann», ruft Rose und wir laufen gemeinsam weiter, bis wir an ihrem Schliessfach vorbeikommen.

«Ich muss noch kurz meine Bücher holen, aber du kannst schon gehen, wenn du willst.»

Nein will ich nicht.

«Ich warte auf dich», sage ich entschlossen und stütze mich an der Wand ab.

«Ryan, Alter was geht?», ich drehe mich um und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Aydens rotblonde Haare sind völlig zerzaust und seine Hose sitzt zu tief.

Er sieht aus wie eines dieser Calvin Klein Models. Er kommt zu mir und hält mir die Hand hin. Ich schlage ein.

«Hey Rose», er nickt ihr zu und sie grüsst ihn ebenfalls.

«Sag mal, hast du Fanny irgendwo gesehen?», fragt er an Rose gewandt und seine Augen glänzen spitzbübisch.

«Nein, wieso?», fragt Rose ein wenig verwirrt.

Sie muss Aydens komisches Verhalten wohl auch bemerkt haben.

«Ach, nur so.»

Auffordernd hebe ich eine Augenbraue.

«Ich erzähl es dir später», sagt er knapp und klopft mir auf die Schulter, ehe er weitergeht.

Jetzt bin ich noch verwirrter als zuvor. Ich weiss Ayden ist nicht hässlich und er kann ein ganz anständiger Typ sein, wenn er will. Aber Fanny?

Nun, ich werde es wahrscheinlich beim Mittagessen erfahren.

«Na dann bis später», sage ich an Rose gewandt und streiche ihr kurz über die Schulter.

«Bis nachher.»

Steif gehen wir auseinander. Es liegt nicht daran, dass ich zu schüchtern bin, um sie zu küssen.

Im Gegenteil. Ich habe schon viel schlimmeres in der Schule getan. Es ist nur so, dass es im Moment noch geheim bleiben muss. Und genau das ist das Aufregende daran.

Ich schultere meinen Rucksack. Der Tag kann beginnen. Mit wenig Motivation schlendere ich in meine Philosophieklasse und lasse zwei Lektionen Medizinethik über mich ergehen, wobei ich die meiste Zeit blaue Kringel in mein Heft male.

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