Kapitel 36: Ryan

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Scheisse. Wie konnte das Gespräch so ausser Kontrolle geraten?

Ich fahre mir verzweifelt durch die Haare und gehe zurück in die Halle. Lautes Jubelgeschrei dringt in meine Ohren und ich könnte vor Wut schreien.

Ayden, der vorhin verschwunden ist, steht nun wieder neben dem Schwimmbecken, blickt aber immer wieder kurz in Richtung Tribüne. Ich werfe ebenfalls einen Blick dorthin, um zu sehen, wen Ayden da die ganze Zeit ansieht und in der Hoffnung, dass vielleicht Rose wieder dort ist.

Aha, wie könnte es auch anders sein. Fanny steht dort und neben ihr dieses Mädchen mit dem rotblonden Pferdeschwanz, eine weitere Freundin von Rose, doch ihr Name fällt mir im Moment gerade nicht ein.

Langsam suche ich die Tribüne ab. Von Rose fehlt jede Spur.

Mein Blick kreuzt sich mit dem von Fanny und als sie sieht, dass ich allein bin, steht sie auf und stupst die Rothaarige in die Seite.

Mist, sie kommen in meine Richtung. Hilfesuchend blicke ich mich um, um einen Ausweg zu suchen, nicht mit ihnen sprechen zu müssen. Wie soll ich ihnen erklären, wieso Rose gegangen ist? Das ich eben mal das Herz ihrer Freundin gebrochen habe? 

Ich spüre jetzt schon Fannys tötender Blick auf mir, welcher mir klipp und klar deutlich macht, dass ich ein Versager und unter ihrer Würde bin.

Ich will mich gerade bei meinem Trainer in Sicherheit bringen, als Fannys Stimme mich daran hindert.

«Hey Ryan», ruft sie und ich bleibe abrupt stehen.

Langsam drehe ich mich zu den beiden um. Ayden verfolgt das Ganze sichtlich verwirrt und kommt schnellen Schrittes zu uns herüber.

«Hey ihr beiden», sage ich und nicke ihnen zu.

Die Rothaarige blickt mich kurz an, rückt ihre Brille zurecht und sieht dann schüchtern zur Seite.

«Sag mal hast du Rose gesehen? Sie ist doch vorher mit dir abgezischt, oder Ophelia?»

Aha, Ophelia heisst sie also.

Ich nicke ernst. «Jap, sie ist gegangen.»

Gleichgültiger könnte meine Stimme nicht sein. Oh Gott, ich bin so ein Arschloch.

«Wohin?», fragt Ophelia sichtlich verwirrt.

«Das weiss ich nicht», gebe ich zurück, was auch stimmt.

«Ryan, wieso ist sie gegangen?», fragt Fanny scharf und blickt mich dabei prüfend an.

Ich kann die Wahrheit nicht länger verbergen, sie werden es sowieso erfahren.

«Ich habe Schluss gemacht», rücke ich leise heraus und meide dabei die Blicke der anderen.

Ophelia schnappt hörbar nach Luft.

«Du bist so ein Vollidiot Ryan, weisst du das?», sagt Fanny ruhig und ich nicke.

«Komm Ophelia wir müssen zu ihr. Sie ist bestimmt nach Hause gegangen.»

«Nein», sage ich bestimmt. «Das ist immerhin mein Haus und ich verbiete euch hinzugehen.»

«Weisst du was?», Fannys Augen verengen sich zu Schlitzen. «Ich schere mich einen Dreck darum, wem das Haus gehört. Im Gegensatz zu dir interessieren uns die Gefühle von Rose und wir spielen nicht einfach so damit herum. Wenn ich dich wäre, würde ich also ganz still sein. Ausserdem denke ich nicht, dass deine Mutter ein Problem damit hat, wenn wir sagen, dass wir zu ihr wollen.»

Sie hat recht. Und ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, zeigt sie mir die kalte Schulter, packt Ophelia am Arm und zieht dann ab.

Besser gesagt stapft sie geradewegs auf Carlos zu und redet auf ihn ein. Carlos sieht erschrocken zu mir herüber und ich wende den Blick ab.

Ayden öffnet den Mund, um was zu sagen, doch ich schüttle den Kopf. «Spar dir deinen Kommentar.»

Dann trotte ich wie ein begossener Pudel in Richtung Sitzbank. Ich lasse mich auf die Bank plumpsen und stütze die Hände in den Kopf.

Nach einer Weile lässt sich jemand neben mir nieder.

Ich sehe auf. Es ist Chase. Mit verschränkten Armen sieht er mich abwartend an.

«Was?», frage ich, wobei meine Stimme kratziger klingt als beabsichtigt.

«Wieso hast du mit ihr Schluss gemacht? Und ich möchte die Wahrheit wissen», fordert er mich auf und ich sehe ihn verzweifelt an.

«Ich möchte keine Fernbeziehung mit ihr führen. Weisst du, ich möchte entweder alles oder nichts.»

Er nickt. «Das verstehe ich. Aber überleg mal, so wie du sie behandelst, hast du noch keine behandelt. Das sehe ich genau. Die anderen Mädchen wie Chayenne hast du nach einer Weile völlig ignoriert.»

«Es passt einfach nicht», versuche ich mich ein letztes Mal aus der Situation zu retten. Ich möchte nicht im Geringsten daran denken, vorhin einen Fehler gemacht zu haben.

«Ryan, verdammt», sagt Chase und steht abrupt auf. «Wovor hast du wirklich Angst?»

Wenn ich ihm nicht antworte, wird er sehr wahrscheinlich gehen und mich in Ruhe lassen, doch irgendein Gefühl in mir sagt mir, dass es falsch wäre. Ich muss es ihm einfach sagen.

«Ich möchte keine Fernbeziehung mit ihr führen. Ich habe Angst sie gehen zu lassen. Das uns das Gleiche passiert, wie mit Amélie und mir. Das wir uns zu sehr verändern», bringe ich schliesslich mit Mühe heraus.

Schlagartig wird sein Blick weicher und er setzt sich wieder neben mich auf die Bank.

«Ich möchte sie nicht verlieren. Ich will sie bei mir haben. Ich will mit ihr Spass haben, unvergessliche Sachen erleben, wie zusammen Zelten gehen oder so. Ich möchte mit ihr in der Cafeteria sitzen und lachen, wissen was gerade in ihrem Leben so abgeht und sie heimlich in der Besenkammer des Hausmeisters küssen. Der Gedanke daran, dass sie bald weit weg von hier sein wird, macht mich verrückt.»

«Ach du Scheisse, dich hats wirklich voll erwischt. Streich den Satz mit der Besenkammer und du könntest glatt in Romeo und Julia mitspielen», sagt er grinsend und klopft mir auf die Schulter.

«Also ganz wichtig: Rose ist nicht Amélie, merk dir das. Sie würde dir das nie antun, was Amélie dir angetan hat. Also wenn ich du wäre, würde ich das wieder in Ordnung bringen. Es ist noch nicht zu spät. Gib euch eine Chance. Ausserdem habe ich einmal mitbekommen, wie sie sich mit Uma über Colleges in Amerika unterhalten hat. Wer weiss, vielleicht kommt sie nach ihrem Schulabschluss wieder her und studiert ganz in der Nähe von dir. Ryan, ich kenne dich schon so lange und du bist normalerweise nicht so eine Person, die schnell aufgibt, wenn gerade keine Lösung in Sicht ist. Im Gegenteil, du suchst die Lösung wie kein anderer. Also kann ich dir nur einen Tipp geben: Kämpfe. Glaube mir, wenn du es nicht tust, dann wird es ein anderer tun und du weisst wer ich meine. Carlos und du seid gar nicht so verschieden, wie ihr immer denkt.»

Mit diesem Satz nickt er mir noch einmal kurz zu und gibt mir dann einen Schubs in Richtung Ausgang.

«Ich sage Mike, dass du kurzfristig noch weg musstest.»

Dankbar blicke ich ihn an.

«Danke Chase, du bist wirklich der Beste.»

Er winkt ab. «Für sowas sind Freunde schliesslich da und jetzt verschwinde endlich.»

Grinsend schnappe ich mir mein Handtuch und schlüpfe in meine Badelatschen.

Dann renne ich in die Garderobe und ziehe mich in rekordschnelle um, dass ich das Gefühl habe schwarze Punkte vor meinen Augen zu sehen.

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