Lachend betreten wir die Bibliothek.
«Am besten fragen wir die Bibliothekarin dort vorne», sage ich und zeige auf eine kleine, alte Dame, die gerade ein Regal mit Büchern auffüllt. Ryan nickt und gemeinsam nähern wir uns der alten Dame.
«Entschuldigen Sie», beginnt Ryan, die Frau hält in ihrer Arbeit inne und dreht sich zu uns um.
Skeptisch scannt sie Ryan von oben bis unten. Mit seinen schwarzen Trainerhosen, den weissen Nike Schuhen und dem schlabberigen T-Shirt sieht er nicht gerade so aus, als würde er sich ernsthaft für Bücher interessieren.
Dann blickt sie zu mir und ihr Gesichtsausdruck wird weicher.
«Wir wollten fragen, ob Sie hier auch Kochbücher haben», ergreife ich das Wort.
Die Dame überlegt einen Moment und nickt dann.
«Im oberen Stock ganz hinten sollte es welche haben. Habt ihr einen Schulaccount hier?», fragt sie und ich blicke zu Ryan. Dieser nickt.
«Gut. Wenn ihr noch etwas braucht, dann könnt ihr mich ruhig fragen kommen», sagt sie an mich gewandt und ich nicke.
«Vielen Dank für Ihre Hilfe.» Dann schnappe ich mir Ryans Arm und wir steigen gemeinsam die Treppe hoch.
Oben angekommen kann ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen und pruste los.
«Was ist?», fragt Ryan, doch seine Mundwinkel zucken ebenfalls.
«Sie hat dich angesehen als wärst du ein Schwerverbrecher, der ihre Kasse plündern möchte.»
Er grinst mich an und macht ein Gesicht, als ob er wirklich kriminelles in dieser Schulbibliothek vorhat. Wir beginnen beide schallend zu lachen.
«Hey, könnt ihr nicht leiser sein, hier ist Ruhezone», schnauzt uns jemand an und wir drehen uns zu den Tischen um, wo ein paar Schüler und Schülerinnen gerade lernen.
Eine kleine Schwarzhaarige guckt uns wütend an, doch als sie bemerkt wer wir sind, wird ihr Blick versöhnlich.
«Oh, Ryan», stammelt sie. «Ich wusste ja nicht, dass du das bist. Ehm, tut mir leid», sagt sie leise und wird puterrot.
«Macht nichts», winkt Ryan ab und ich könnte schwören, dass er dieses Mädchen wahrscheinlich gar nicht kennt.
Mein Blick schweift zu den hinteren Tischen, auf denen Computer stehen. Ich erblicke einen rotblonden Pferdeschwanz. Ophelia.
Sie spricht immer noch nicht mit mir und hat sich heute in Geschichte auch nicht neben mich gesetzt. Hier hin verschwindet sie also jeden Mittag.
Ich gehe auf sie zu und tippe ihr auf die Schulter. Erschrocken dreht sie sich zu mir um. Dann wird ihr Blick hart.
«Hey», sage ich.
«Was willst du Rose?», fragt sie und reibt sich die Schläfe, als hätte sie Kopfschmerzen.
«Ich wollte mich noch entschuldigen, für das was ich gesagt habe. Du bist überhaupt nicht langweilig, aber in dir steckt so ein interessantes und aufgewecktes Mädchen und ich wünsche mir so, dass du der Welt endlich zeigst wer du bist.»
Sie sagt kein Wort. Dann öffnet sie den Mund und schliesst ihn wieder. Ich möchte sie gerade dazu ermuntern, dass zu sagen was sie denkt, doch dann bemerke ich wieso ihr Blick nicht mehr auf mir liegt.
Ryan ist von hinten an uns rangeschlichen und legt nun einen Arm um mich.
«Hey», sagt er und Ophelia blickt ihn erstaunt an.
«Hallo», murmelt sie leise.
Sie blickt zu Boden und sagt dann mit fester Stimme. «Ich bin gerade dabei eine Arbeit zu schreiben. War wirklich nett mit dir zu reden, Rose. Aber ich habe jetzt keine Zeit.»
Autsch. Das tat weh.
«Wie du willst», sage ich leicht eingeschnappt, schlinge meinen Arm um Ryans Taille und ziehe ihn von ihr fort.
«Wer ist sie? Ich kann mich nicht erinnern sie jemals gesehen zu haben.»
Ryan wirft einen Blick zurück. «Ach, ein Mädchen aus meinem Geschichtsunterricht. Ich habe mich in der ersten Woche mit ihr angefreundet und als dann Fanny und Uma dazukamen ist sie abweisend geworden. Sie muss einfach endlich aus ihrer Komfortzone raus, doch sie lässt sich da nicht rausholen.»
«Hör zu», sagt Ryan und sieht mich dabei eindringlich an. «Ich merke, dass du diesem Mädchen gerne helfen möchtest. Aber gewisse Menschen wollen sich nicht helfen lassen und das musst du akzeptieren. Du hast es versucht und nur das zählt.»
Ich weiss das Ryan süss sein kann, aber dass er für alles die richtigen Worte finden kann, das hätte ich nicht gedacht.
Wir stehen hinter einem grossen Bücherregal. Also schlinge ich meine Arme um seinen Nacken und ziehe ihn zu mir herunter. Ich sehe ihm in die Augen. Sie erscheinen mir dunkler als sonst.
Wie in Zeitlupe beugt er sich zu mir herunter und küsst mich auf die Mundwinkel. Es soll nur ein flüchtiger Kuss werden, doch ich stelle mich auf die Zehenspitzen und ziehen ihn näher an mich.
Seine Selbstbeherrschung zerfällt in dem Moment, als sich unsere Lippen berühren und wir uns stürmisch küssen.
Ich vergesse völlig, dass wir uns in der Schule befinden und uns jeder hier sehen könnte. Es ist mir egal. Doch dieses Gefühl währt nicht ewig.
«Das glaube ich jetzt einfach nicht.»
Ertappt fahren wir auseinander. Mist. Carlos steht mit Ayden am anderen Ende des Regals und starrt zu uns herüber.
Ich schliesse für einen Moment die Augen.
«Wisst ihr, ich habe es mir schon von Anfang an gedacht, dass Ryan mit der Zeit nicht die Finger von dir lassen kann. Doch ich habe mir eingeredet, dass ihr euch sowieso nicht gut versteht und meine Angst unbegründet ist.»
Ich beisse mir auf die Lippen. Ryans Kiefermuskeln spannen sich an.
«Habt ihr gar nichts darauf zu sagen?», fragt Carlos.
«Es tut mir leid», sage ich geknickt.
«Das ist alles?», Carlos Stimme trieft vor Verbitterung.
«Weisst du Rose, du bist das erste Mädchen das ich wirklich liebe und wenn ich ehrlich bin, habe ich mehr von dir erwartet. Ich habe gedacht du wärst schlauer. Denn Ryan ist kein Beziehungstyp und das mit euch wird sowieso nicht für ewig halten. Vergiss nicht, in drei Monaten bist du wieder weg und ich bin mir sicher, es scheitert schon vorher. Das hat es auch bei Amélie.»
Ich weiss das Carlos wütend ist und nicht mehr genau weiss was er eigentlich sagt, doch seine Worte treffen mich schwer. Und wer ist Amélie?
«Jetzt mach mal halblang», sagt Ryan ruhig.
«Von dir will ich gar nichts hören. Ein richtiger Freund spannt einem nicht das Mädchen aus», sagt Carlos laut und ich könnte schwören, die ganze Bibliothek hört gerade mit.
«Mit euch bin ich fertig», ist das Letzte was er sagt, dann stürmt er mit Ayden im Schlepptau davon, der uns kurz einen mitleidigen Blick zuwirft.
Ich könnte heulen, doch ich tue es nicht. Wir sagen beide kein Wort mehr. Schweigend suchen wir uns zwei passende Bücher aus, schlurfen langsam an den neugierigen Blicken der Schüler vorbei und gehen auch nicht auf das Gespräch der alten Dame ein, dass sie mit uns führen möchte.
Als die Tür der Bibliothek hinter uns ins Schloss fällt, reiche ich Ryan die Bücher und sage: «Wir sehen uns dann nach der Schule.»
«Ich habe heute Training. Fahr einfach schon einmal mit Josh und Elijah nach Hause.»
Ich nicke, umarme ihn kurz und laufe so schnell es geht davon.
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FOURever
Teen Fiction«Manchmal sind es Schatten der Vergangenheit, welche uns unsere Wege nicht gehen lassen.» Die siebzehnjährige Rosalita López, kurz genannt Rose, träumte schon als kleines Kind davon, einmal in die USA, dem Heimatland ihrer Mutter, zu reisen. Nun is...