Kapitel 41: Ryan

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Ich tauche prustend auf und stütze mich keuchend am Beckenrand ab.

«Boah Ryan, wachsen dir Schwimmhäute, oder was?», fragt Ayden und linst Will dabei anerkennend über die Schulter, um einen Blick auf die Stoppuhr werfen zu können.

«Er hat recht. Du bist nicht normal. Wie schaffst du es deine Topzeit immer wieder in den Sand zu setzen?» Will sieht mich ungläubig an.

Carlos ignoriert die Kommentare unserer Freunde und klettert ohne jegliche Reaktion die Leiter hinauf, als er plötzlich zu Lächeln beginnt.

«Oh Shit, Rose ist im Anmarsch.» Ayden fuchtelt wild mit den Händen.

«Was?», frage ich und er sieht mich ernst an. «Sie kommt direkt auf uns zu.»

Ich weiss in solchen Situationen sollte man sich nicht umdrehen, doch ich tue es trotzdem. Und siehe da, Rose stöckelt mit ihren neuen Plateauschuhen an unserem Trainer vorbei und als er sie gerade zurückhalten will, deutet sie auf mich und er lässt sie ohne weiteres gehen. Verdammter Mist.

Als sie uns erreicht, sieht sie zuerst meine Freunde an und dann mich.

«Hey Rose, was geht?», fragt Ayden und grinst sie freundlich an.

«Hi, ehm ich wollte nur Fragen» Sie hält einen Moment inne und sieht mich an. «Ryan, hast du einen Moment Zeit? Ich muss mit dir reden.»

Ich werde nicht nein sagen, dass weiss ich in dieser Sekunde, in der sich unsere Blicke treffen und ich mich in ihren Augen verliere.

«Klar», krächze ich und klettere aus dem Becken. Ihr Blick wandert kurz meinen Oberkörper entlang und verharrt dort einen Moment zu lang.

«Wollen wir in die Garderobe?», frage ich und sie sieht schnell wieder nach oben, in mein Gesicht.

Dann nickt sie und gemeinsam gehen wir in Richtung der Garderoben. Dabei kann ich Carlos Blick förmlich auf mir spüren. Ich schnappe mir im Vorbeigehen noch mein Badetuch und schlinge es mir um die Hüften.

Dann setze ich mich auf eine der Bänke und deute ihr hin, sich ebenfalls zu setzen. Sie schüttelt nur den Kopf und verschränkt die Arme vor der Brust.

«Also was gibt's?», frage ich so neutral wie möglich.

Innerlich frage ich mich, ob sie mich überreden will es noch einmal zu versuchen. Denn wenn sie das tut, weiss ich nicht, was ich erwidern soll. So sicher über meine Entscheidung wie ich mir zum Zeitpunkt der Trennung war, bin ich mir schon lange nicht mehr.

«Ryan, ich vermisse dich.»

Mit diesem Anfang habe ich nicht gerechnet und ich presse fest meine Lippen zusammen, um nichts dieser Art zu sagen.

Ich möchte abwarten, was sie mir sonst noch zu sagen hat, denn sie öffnet gleich wieder den Mund.

«Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Du weisst es wahrscheinlich noch gar nicht, aber meine Mutter ist hier zu Besuch.»

Verdattert sehe ich sie an. «Ist etwas passiert?», frage ich sofort und mache mir sogleich ziemliche Sorgen.

Was wenn jemandem in ihrer Familie etwas zugestossen ist? Aber wäre sie dann hier, um mir das zu sagen?

«Nein, also eigentlich schon, aber nicht so wie du denkst. Um es kurz zu machen, meine Grosstante ist gestorben. Ich kannte sie zwar nicht so gut, aber sie stand meiner Grossmutter und meiner Mutter sehr nahe. Sie hat meiner Grossmutter ihr Anwesen vererbt und weil es so gross ist werden wir wahrscheinlich umziehen.»

Ich bin verwirrt und weiss nicht was ich dazu sagen soll. Wieso erzählt sie mir das alles?

«Cool, das freut mich für euch.»

Rose sieht mich an und ein leichtes Lächeln umspielt ihre Lippen. «Du checkst es nicht, oder?»

«Was sollte ich nicht checken? Sie hat euch ein schönes Haus vererbt und ihr zieht um. Das war's, oder?»

Ihr Grinsen wird breiter. «Nicht ganz.»

«Was nicht ganz?» Langsam werde ich ungeduldig. Ich friere am ganzen Körper und ziehe das Badetuch enger um mich.

«Meine Grosstante war Amerikanerin.»

«Na und?», gebe ich zurück.

«Ryan, wir ziehen nächstes Jahr nach Amerika.»

Entgeistert starre ich sie an, um zu sehen, ob sie es wirklich ernst meint.

«Ich meine es ernst», sagt sie, als ob sie meine Gedanken gelesen hat.

«Das Haus ist in Lynwood und meine Grosseltern werden nach den Sommerferien einziehen. Ich spiele mit dem Gedanken schon mit ihnen vor zu gehen.»

Lynwood. Das ist nicht weit von hier. Reglos sitze ich auf der Bank und verdaue die Nachricht, die sie mir gerade mittgeteilt hat. Rose bleibt in Amerika. Wir müssen keine Fernbeziehung führen. Ich muss also keine Angst haben, dass sie so enden wird, wie meine Beziehung mit Amélie.

Endlich löse ich mich aus meiner Schockstarre, lasse das Badetuch fallen und schlinge meine Arme um sie.

«Ihh, du bist ganz kalt», quietscht sie, erwidert aber die Umarmung.»

«Und weiss du was das Beste ist?», haucht sie in mein Ohr.

«Nein, was?»

«Ich darf vielleicht meinen Abschluss an dieser Schule machen, wenn ich endlich Autofahren lerne.»

Ich lasse sie los und grinse sie an. «Dann wird es aber langsam Zeit.»

Sie lächelt zurück und plötzlich fällt mir wieder ein, welche unausgesprochenen Worte noch zwischen uns liegen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden. «Ich vermisse dich auch», sage ich schliesslich und blicke sie intensiv an. Sie erwidert meinen Blick.

«Ich hatte Angst dich zu verlieren, wenn du wieder zurückgehst. Es war eine voreilige Entscheidung und ich bereue sie seitdem zutiefst. Ich hoffe du kannst mir verzeihen, denn meine Gefühle für dich sind immer noch die Gleichen.»

Sie verknotet ihre Hände ineinander und wippt mit den Füssen hin und her, was ziemlich niedlich aussieht.

«Ryan», sie holt tief Luft. «Ein Teil von mir versucht dich zu verstehen, aber ein anderer Teil, der grössere, fragt sich, wieso du deshalb Schluss gemacht hast. Wieso du es nicht einmal versuchen wolltest. Für uns.»

Ich habe nicht das Gefühl, dass das Gespräch in die Richtung läuft, wie ich es gerne haben möchte. Sie nimmt meine Hand.

«Im Moment passieren gerade so viele Dinge. Ich meine ich werde auswandern, das muss ich zuerst einmal verdauen. Ausserdem werde ich über die Ferien nach Hause gehen. Ob das mit dem Abschluss hier in Santa Monica für nächstes Schuljahr funktioniert, weiss ich noch nicht.»

Sie macht eine Pause und sieht mich unglücklich an.

«Ich will ehrlich sein. Die letzten Wochen waren schlimm für mich und ich habe dich wirklich geliebt, ich tue es jetzt noch. Aber die letzten Wochen haben mir auch gezeigt, dass ich etwas für Carlos empfinde, was vorher noch nicht da war.

Ich möchte nichts überstürzen, sondern erst einmal abwarten. Im Moment bin ich nicht bereit für eine Beziehung. Deshalb wäre es am besten, wenn wir es so belassen wie es ist. Ich muss zuerst meine Gefühle sortieren, denn es ist viel passiert. Verstehst du das?»

Ich habe das Gefühl ein Hammer schlägt auf mein Herz und zerschlägt es in tausend Stücke. Plötzlich fehlt mir die Luft zum Atmen und ich schliesse für einen Moment die Augen.

Carlos hat es geschafft. Er hat sich in ihr Herz gekämpft, während ich aufgegeben habe.

Es ist keine Abfuhr, die sie mir hier erteilt. Noch nicht. Noch habe ich eine Chance. Die Hoffnung hat mich noch nicht verlassen. Ich werde mich gedulden müssen und versuchen, sie wieder für mich zu gewinnen.

Denn noch ist nichts verloren.

Es steht unentschieden.

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