Kapitel 30

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Ich stehe erstarrt am Fenster und sehe wie auf Jack eingeprügelt wird. Er steht noch. Langsam denke ich über den Schock hinaus und nehme meine zitternden Hände wieder wahr.

Ich will gerade runter und ja was ihm helfen? Gegen sechs Typen? Egal. Irgendwas kann ich schon machen.

Ich höre meinen Namen von unten. Es ist Jack der mich ruft. Ich gehe wieder zurück ans Fenster und sehe hinunter. Er schüttelt den Kopf und gibt mir zu verstehen, dass ich oben bleiben soll. Im nächsten Moment geht er zu Boden und der Massigste von allen, tritt gegen seinen Kopf.

Ich schreie auf und ein paar Typen sehen zu mir hoch. Der Erste rennt zur Haustür, aber sie ist Gott sei Dank abgeschlossen. Durch einen Geistesblitz nehme ich mein Handy heraus und wähle 110. Ich musste noch nie einen Notruf absetzten. Das einzige woran ich mich noch erinnern kann, sind die Fakten aus der Grundschule. W-Fragen abhacken.

Die Frau auf der anderen Seite der Leitung versteht mich durch mein Gestotter hindurch irgendwie trotzdem. Sie wird Erfahrung mit sowas haben. Ich versuche so schnell wie möglich alles durch zu geben, denn umso schneller kann jemand kommen.

Es dauert trotzdem eine Ewigkeit bis die Sirenen bei uns sind. Die Typen versuchen zu flüchten, aber die Polizei rennt ihnen hinterher. Die Sanitäter fangen an Jack zu versorgen und ich stürze die Treppe nach unten. Ein Sanitäter hält mich zurück und versucht mich zu beruhigen, aber ich sehe nur Jack, der die Augen geschlossen hat und reglos da liegt. Aus weiter Ferne höre ich, dass es ihm soweit gut geht. Das er durch kommt. Aber diese Worte machen die Situation nur noch realer und schlimmer. Es verdeutlicht mir, dass er dabei hätte umkommen können.

Ich spüre eiskalte Finger auf meinem Gesicht, die mich zwingen von Jack weg zu sehen. Eine ältere Dame steht vor mir und lächelt beruhigend. Sie führt mich zur Haustür und drückt mich nach unten. Meine Beine fühlen sich wacklig an. Ich werde auf die Treppenstufen gesetzt und sie fragt mich was passiert ist. Ich antworte mit brüchiger Stimme und muss immer wieder aufhören, weil die Tränen kommen, aber ich schaffe es. Die Sanitäterin nickt mir zu, ermutigt mich und gibt danach alles an die Polizei weiter. Dann kommt sie wieder zu mir. Erklärt mir, dass sie Jack mit ins Krankenhaus nehmen. Sie fragt mich, ob es jemanden gibt, den ich anrufen kann, der mich fährt, weil ich so auf keinen Fall in ein Auto steigen soll.

Die ersten Personen die mir einfallen, sind meine Familie. Aber ich kann auf keinen Fall Dad zeigen, dass er recht hatte. Und das würde ich auch wenn ich nur Pius anrufe. Dad wüsste sofort bescheid. Wie traurig, dass das alles so weit geführt hat, dass ich noch nicht mal meine Familie für einen Notfall anrufen kann.

Dann fällt mir Finn ein. Meine Hände zittern so stark, dass die ältere Dame es mir behutsam aus der Hand zieht und Finn selbst anruft. Ich bin froh die Geschichte nicht selbst nochmal wiederholen zu müssen.

Zeit spielt gerade keine Rolle, deshalb habe ich keine Ahnung wie lange es dauert bis sie Jack auf eine Trage legen und der Krankenwagen losfährt. Irgendwann in diesem Gewusel ist Finn da. Er bugsiert mich sanft in sein Auto und sagt mir, dass er Allie angerufen hat, weil er denkt, dass ich sie jetzt brauche. Ich frage nicht woher er ihre Nummer hat. So weit kann ich im Moment kaum denken. Wir fahren dem Krankenwagen hinterher zum Krankenhaus. Der Nebel um mich herum lichtet sich zwar langsam, aber er ist immer noch da. Ich fühle mich wie in Watte eingepackt. Nicht alles dringt zu mir durch und ich nehme auch nicht alles so scharf wahr wie sonst.

Auf dem Parkplatz des Krankenhauses kommt uns Allie schon entgegen gerannt. Sobald sie bei uns ist, umarmt sie mich fest und lässt mich gar nicht mehr los. Als wir dann drin sind, übernimmt Finn das reden. Wir werden in ein Wartezimmer verfrachtet und dort warten wir erstmal zwei Stunden. In dieser Zeit beruhige ich mich wieder. Ich mache mir zwar wahnsinnige Sorgen, doch es fühlt sich nicht mehr alles so an wie in Watte eingewickelt. Ab und zu stehe ich auf und gehe im Gang spazieren. Die Krankenhausstühle sind sogar gepolstert, aber das sitzen wird nach einer Zeit trotzdem unangenehm. Das Wartezimme leert sich, aber als wir endlich aufgerufen werden, warten immer noch einige.

Die Krankenschwester führt uns durch verschlungene Gänge und erklärt, dass die Besucherzeiten eigentlich schon vorbei sind, sie aber eine Ausnahme machen. Ich schätze mal das Jack Footballprofi ist, spielt hier definitiv eine Rolle.

„Seien sie bitte leise. Mister Taylor braucht eigentlich noch sehr viel Ruhe.“ Die Krankenschwester nickt uns zu und öffnet dann seine Tür.

Wir treten im Gänsemarsch hinter der Schwester ein. Jack wirkt erschöpft, aber er lächelt als er uns sieht. „Ella“

Ich gehe an sein Bett und nehme seine suchende Hand.

„Ich will das du weißt, dass ich ... ich immer ...“, will er gleich anfangen.

„Sch. Alles gut. Das hat Zeit. Ruh dich aus.“

Jack schüttelt den Kopf und verzieht dann sein Gesicht vor Schmerzen. Er will schon wieder mit einer Erklärung oder Entschuldigung ansetzten, aber ich schneide ihm die Worte ab, indem ich meine Lippen sanft auf seine lege. Er seufzt und entspannt sich. Gesten sagen mehr als tausend Worte. Natürlich ist uns klar, dass sie gesagt werden müssen, aber jetzt ist nicht der geeignete Augenblick dafür.

Wir lösen uns und ich sehe endlich wieder das Strahlen in seinen Augen. Finn tritt ans Bett und ich winke auch Allie her. Auch sie gehört dazu. Sie zögert, aber Finn umfasst ihre Taille und schiebt sie nach vorn. Er lässt seinen Arm dort und spricht mit Jack. Allies Wangen werden rot und auch Finn lässt es nicht kalt, auch wenn er es besser überspielen kann.

„Das meinte ich nicht mit heldenhafter Entschuldigung, Jacky. Du musst es immer gleich übertreiben.“

Wir lachen und es tut so gut in dieser Situation. Ich setze mich zu Jacks aufs Bett, während er angestrengt berichtet, wie fünf Ärzte um ihn herum geschwirrt sind und alles mögliche untersucht haben. Er erinnert sich nicht genau, aber es ist nichts gebrochen. Heftige Prellungen und eine Gehirnerschütterung.
Es ist offensichtlich, dass er uns weismachen will, dass es ihm gut geht, aber man merkt das er nicht so klar ist und heftige Schmerzen hat.

Die Schwester kommt viel zu bald wieder herein und muss uns bitten zu gehen. Jack protestiert und diskutiert so lange bis sie einknickt und wenigstens ich bleiben darf. Was wahrscheinlich daran lag, dass Jack nicht aufgegeben hätte und die Diskussion viel Kraft gekostet hat.

Finn und Allie verabschieden sich und drücken uns. Danach ist es im Zimmer still. Jack zieht mich zu sich und ich klettere ganz vorsichtig in sein Bett. Er macht Platz, sodass ich mich neben ihn kuscheln kann. Er ist warm und seine Umarmung tut gut. Ich werde ruhiger und auch er scheint sich jetzt entspannen zu können. Jacks Augen fallen immer wieder zu, aber er kämpft darum wach zu bleiben.

„Schlaf. Ist ok. Ich bin noch da wenn du aufwachst.“

„Wirklich?“

„Versprochen.“

"Und dann reden wir."

"Ok."

FootballgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt