Kapitel 46

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Es ist so weit. Ich stehe vor Dads Tür und bin kurz davor zu klingeln. Mein Finger schwebt über der Klingel, aber ich brauche noch einen Moment. Ich atme einmal tief durch und drücke sie dann durch.

Nervös warte ich. Die Tür öffnet sich und Dad lächelt mich an. Ich bin unsicher wie ich mich verhalten soll. „Hallo Dad.“
„Komm rein.“ Er öffnet die Tür weiter und ich trete ein. Wir gehen schweigend ins Wohnzimmer. Es sieht ganz anders aus. Mums Sachen fehlen auffällig. Dad hat die Lücken noch nicht wieder gefüllt. Ich frage mich ob das auch in seinem Inneren so ist.

Die Wände sind kahl. Die meisten Bilder fehlen. Genauso wie die vielen Kissen und die Deko auf den Fensterbrettern. Es wirkt alles sehr leer. Ein kleiner Stich durchzuckt mein Herz. Egal was Dad auch getan hat, es hat ihm weh getan Mum gehen zu sehen.

„Setzt dich doch. Willst du was trinken?“
„Gern.“ Ich habe gelernt solch ein Angebot anzunehmen, sonst sind alle so verwirrt was sie jetzt tun sollen und ich erzeuge den Eindruck als wollte ich nicht lange bleiben und ich will Dad nicht verunsichern. Dieses Gespräch muss funktionieren. Wir können so nicht weiter machen. Genauso wie bei Mum stehe ich auch hinter Dad. Natürlich wird es einige Zeit dauern bis ich ihm wieder vollkommen vertraue, doch er ist mein Dad. Ich liebe ihn und kenne ihn. Das wird wieder.

Er setzt sich seufzend und ich gebe ihm die Zeit die er braucht um seine Gedanken zu sortieren.
„Es tut mir so leid, Spatz.“
Ich nicke nur. Was soll ich auch darauf antworten.
„Ich weiß das was ich getan habe war nicht richtig und jetzt muss ich mit den Konsequenzen leben.“ Seine Stimme hört sich traurig und fast schon gebrochen an. „Es tut mir leid.“ Er sieht zu mir auf und in seinen Augen liegt ehrliche Reue und Bedauern.
„Ich will das du weißt, dass ich dich immer glücklich sehen wollte und ich dachte das Jack dich früher oder später verletzten wird. So tief wie ich deine Mum und ich wollte dich davor beschützen.“ Er lacht freudlos auf. „Von außen betrachtet kann man gute Ratschläge geben, doch dabei lief bei mir selbst alles schief.“
„Es ist ok Dad.“
„Ist es nicht, Spatz. Ich habe so viel falsch gemacht und ich kann nicht alles wieder gut machen. Ich hoffe nur das irgendwann alles wieder so gut ist, dass du mich wieder ansehen kannst.“
Ich lege meine Hand auf seine und sehe ihn an. „Das hoffe ich auch. Mir ist die letzten Tage eines klar geworden und ich will das du das weißt. Ich will dich nicht aus meinem Leben streichen. Du wirst genau wie Mum immer ein Teil davon sein. Es ist viel schief gelaufen, doch ...“ Ich schlucke. „Ich kann dir verzeihen. Es wird Zeit brauchen bis ich dir wieder vertrauen kann, aber ich ... bin für dich da, wenn du mich brauchst.“
Ich sehe Tränen in seinen Augen aufblitzen sehen und es berührt mich mehr als ich dachte. Dad weint nie. Er war für mich immer ein Berg, den nichts unter kriegen lassen konnte und dem keine Schwäche in die Knie zwang.

„Danke.“
„Ich will auch das es zwischen uns wieder normal wird. Wir werden einfach daran arbeiten müssen.“
Ein hauchzartes, wackliges, aber hoffnungsvolles Lächeln erscheint in Dads Gesicht.

Wir schweigen eine Weile und hängen unseren jeweiligen Gedanken nach. Dann räuspert sich Dad. Er sieht mich dabei nicht an, sondern starrt in seine Tasse. „Wie geht es Mum?“

Ich lehne mich zurück. Schwieriges Thema. „Ganz gut. Sie wird auch noch einige Zeit brauchen, aber sie wirkte gestern sehr gefasst.“
Dad nickt erleichtert, wenn auch traurig.
„Sie hat einen neuen Job.“
„Wirklich?“
Ich nicke und Dad sieht langsam wieder auf. Er ist über dieses Thema genauso unsicher wie ich, aber ich verstehe das er wissen will, ob es Mum gut geht. Man streicht nicht von einem auf den anderen Tag die Person aus seinem Leben, die man mal geliebt hat und mit der man Jahrzehnte zusammen gelebt hat.
„Ja sie war glücklich darüber. Sie arbeitet im Javi´s ab heute.“
„Oh! Ist das nicht dort wo Jack und du euer erstes Date hattet?“
„Das weißt du noch?“ Ich bin vollkommen überrascht.
„Auch wenn es nicht so aussah, war ich wahnsinnig glücklich darüber dich neben Jack so strahlen zu sehen. Ich wollte nur das dieses Lächeln nicht verschwindet, aber mir ist jetzt klar, dass das der völlig falsche Weg war.“
„Vergessen wir das, ok? Lass uns einfach weiter machen.“
„Einfach weiter machen...“, murmelt er. „Klingt gut. Ich arbeite dran.“
„Wir arbeiten dran.“
Er nickt glücklich. „Als nächstes muss ich mich wohl noch bei Jack entschuldigen.“
„Hast du Pius schon erreicht?“
Seine Miene umwölkt sich. „Nein. Er nimmt meine Anrufe nicht an.“
„Lass ihm Zeit.“
„Es ist nur ... schwierig.“
Ich kann ihn verstehen. Seine eigene Familie nicht geschlossen hinter einem zu haben, ist hart. Aber wir werden uns schon wieder zusammen raufen.

„Also wie war dein Urlaub?“, wechselt er zu einem unbeschwerteren und vor allem leichteren Thema.
Ich erzähle ihm davon und es wird immer lockerer zwischen uns. Die Stimmung ist nicht mehr verkrampft und vorsichtig und es fühlt sich endlich gut an. Wir lachen sogar ein paar Mal zusammen. Er erzählt mir von der Arbeit und das er tatsächlich Fortbildungen zum Thema Social Media besuchen will! Ich musste dabei wirklich lachen, aber es ist schön das er sich neuen Sachen öffnen will und bereit ist sich zu ändern.

Der Abschied war auch entspannt und ich fahre mit einem sehr guten Gefühl nach Hause. Die Sorge die im Hintergrund immer in meinem Kopf war, ist weg und ich fühle mich jetzt sehr frei. Gleichzeitig hoffe ich das Pius sich bald bei Dad meldet. Es wäre ihm sehr wichtig. Er hat Mum verloren. Ich glaub er kann nicht auch noch uns verlieren. Aber ich bin sehr optimistisch gerade. Das wird schon alles wieder werden.

Am Rückweg gehe ich noch kurz bei Mum vorbei. Es ist ungewohnt zwei Häuser anfahren zu müssen, wenn ich mit meinen Eltern reden will, doch auch das wird sich bald einspielen.
Wir reden über ihren gelungenen ersten Arbeitstag und ich helfe ihr noch ein wenig die Wohnung weiter einzuräumen. Mila kam auch kurz vorbei und zusammen haben wir gegessen. Es war ein toller Tag heute und ich bin jetzt voller Hoffnung und Optimismus das sich alle Probleme langsam auflösen werden.

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