9. Mordgedanken und wütende Großmütter

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Nicky saß still da, mit angezogenen Beinen, sein Blick verunsichert und ängstlich. Hatte ich selbstsüchtig gehandelt? Aber mehrere Jahre lang hier festsitzen, war so gar nicht mein Ding. Das Betthäschen von Markus zu werden, mit kranken Spielchen wann immer ihm danach ist, noch viel weniger. Ein Kind hier sechs Jahre gefangen zu halten, konnte ich auch nicht akzeptieren. Vermutlich hätte er ihn irgendwann aus Langeweile umgebracht und ihn vergraben. Ich wollte nicht, dass Nicky hier länger festsaß. Er war ein Kind, sollte aber da draußen sein, mit seinen Freunden durch die Gegend laufen, Blödsinn machen und - ich kann es nicht fassen, dass ich das jetzt denke, aber - zur Schule gehen und entscheiden ob er sie total überflüssig findet, oder ob er ein absoluter Streber mit Wissensdurst ist und er gleich danach zur Uni gehen muss, weil es ihm zu wenig Info war, wie bei meiner Schwester. Hab ich nie verstanden, wie das funktioniert.

Ich seufzte und sah den Spalt an der Wand an. Die Sonne schien und ihr Licht leuchtete zu uns hinunter. Ich hatte ganz vergessen zu fragen, wo wir waren. Vermutlich würden sie mir das aber eh nicht sagen. Ich war schon ziemlich lange unterwegs gewesen. Wer weiß, vielleicht waren sie über die Grenze gefahren? Suchte irgendwer überhaupt nach mir? War ich schon als verschollen und als tot erklärt worden, oder machte man das erst nach Jahren?

Bisher tat sich nichts, was nach Rettung aus meiner misslichen Lage aussah. Aber wenn ich so darüber nachdachte, würde ich mich auch nicht retten. Ich meine, ich bin einfach so abgehauen und hab mich in letzter Zeit auch nicht wirklich nett verhalten.

Grübelnd strich ich mir durchs Haar. Eigentlich wollte ich nicht gerettet werden. Schließlich sagte ich sonst auch immer ‚selbst ist die Frau' und habe bisher auch das meiste alleine hinbekommen. Ich schätze diesmal musste ich allerdings zugeben, dass es einfacher wäre, wenn jemand uns bei unserer Flucht helfen würde. Frustriert schüttelte ich den Kopf.

Wenn ich es doch tatsächlich ohne Hilfe schaffen würde, uns irgendwie hier herauszuschmuggeln, was würden wir dann machen? Wo würden wir hingehen? Ich hatte kein Geld, meine sowie auch Nickys Kleidung waren für den Herbst da draußen, nicht gerade geeignet. Ich saß immer noch in diesem furchtbaren Kleid da. Was würde ich jetzt für einen von meinen Hoodies tun...

Wenn ich wüsste, wie man Auto fährt, könnte ich zumindest ein Auto stehlen. Ja genau, ich war so schwach, ich wäre wahrscheinlich gar nicht schnell genug. Markus bräuchte vermutlich nicht mal zu rennen, um mich zu erwischen. Mal ganz abgesehen davon, hatte ich keinen blassen Schimmer wie man ein Auto kurzschließt. Da helfen auch nicht die Bilder von meinen Krimis, langsam wurde ich wütend.

Ich hatte nicht mitgezählt, wie viele Keller ich in der letzten Zeit bewohnt hatte, aber wieso waren alle Keller dunkel, hässlich und kalt. Wer designt denn sowas? Ich meine, wenn man schon so ein großes Anwesen baut, kann man dann nicht wenigstens auch einen netten Keller dazu bauen? Mit Fußbodenheizung, schönem Licht und guter Belüftung; ein extra Badezimmer wäre auch der Hammer... Ich schüttelte den Kopf, nicht mal Lesestoff hatten wir hier. Ja, ich weiß, in welchem Keller war schon Lesestoff? Aber es wäre zumindest mal etwas anderes.

Vermutlich werde ich entweder an Langeweile, Hunger oder wer weiß, vielleicht hatte Markus sogar Waffen hier?, sterben.

Mein Bauch knurrte, ob wir wohl noch etwas zu Essen bekommen würden? Wenn ich Markus wäre, würde ich jetzt meine Gefangenen aushungern, damit sie freiwillig alles tun. Definitiv zu viele Krimis gelesen und geguckt und meine Panik schlich sich langsam wieder an. Was hatte Nicky sechs Jahre lang immer in diesem Keller gemacht? Geschlafen? Sich selbst Geschichten ausgedacht? Staubkrümel gezählt? Kämpfe gegen Spinnen und Käfer gewonnen? Darauf gewartet, dass etwas passierte? Nur was, außer verprügelt zu werden?

Also wenn ich Nickys Oma wäre, hätte ich Markus schon längst versucht zu vergiften. Ich meine, wenn sie für ihn kochte, könnte sie doch einfach irgendwas mit hineinmischen. Blausäure, Arsen und was es sonst noch so an Giften gibt. Hauptsache man stirbt daran! Ich wäre schon längst freiwillig zum Killer geworden und hätte es dann stolz der Polizei erzählt! Wer war jetzt der Psychopath?! Ich schüttelte den Kopf. Ich musste grinsen als ich an Cluedo denken musste. Umgebracht mit einer Rohrzange in der Küche. Ich raufte mir das Haar und starrte auf meine Füße.

Kalte KellerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt