Kreuzherreneck: 17 ~ Moritz

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Ich wusste, dass ihn das provozierte. Und ich wusste, dass ihm dabei eine Sicherung rausfliegen würde. Es war kalkuliert.

Aber es tat so weh. Es tat einfach so weh.

Seit ich verstanden hatte, seit ich wirklich verstanden hatte, was ich getan hatte, tat es einfach zu weh. Da war der Schlag, der mich treffen sollte eine Erlösung. Ich musste fast lächeln.

Er war so ein Idiot. So ein gestresster Idiot. Der Schmerz war mir egal. Er würde mir gut tun. Gegen den anderen Schmerz war er tatsächlich irrelevant.

Ich hatte meiner besten Freundin das ihr wichtigste auf der ganzen Welt weggenommen. Carrie. Ich war schuld daran. Ich allein trug Schuld daran. Niemand sonst. Ich hätte es verhindern können. Ich allein.

Nick war wütend und hitzig und er hatte sich überhaupt nicht im Griff. Es war einfach, ihn zu provozieren. Deshalb war ich überrascht, dass der ersehnte Schlag ausblieb. Er stand vor mir, mit flammendem Zorn in den Augen und es kostete ihn offensichtlich alles an Kraft um sich zurückzuhalten.

Er sollte glauben, dass ich Carrie das angetan hatte. Er sollte mir ruhig nochmal die Nase brechen. Ich wäre dankbar. Dann wäre der Schmerz in meiner Brust, der Schmerz in meinem Herzen, vielleicht nicht mehr ganz so allgegenwärtig.

Du provozierst mich absichtlich." Er atmete tief durch. „Du warst das nicht. Das weiß ich."

„Verpiss dich, Nick", flüsterte ich und wartete auf den Schmerz, der noch immer nicht eintrat.

„Du hast mich provoziert...", sage er leise und angespannt. „Ich weiß, dass du es nicht warst. Jana hat es zugegeben."

Ich schloss die Augen. Diese dumme... Ich seufzte schwer. Jetzt kam der Schmerz. Aber anders als erwartet. Er kam mitten aus meiner Brust. Tränen schossen mir reflexartig in die Augenwinkel und ich schluckte. „Ja, ich hab dich provoziert. Aber ich bin schuld daran. Und jetzt hau endlich ab." Ich drehte mich um und schloss mit zittrigen Fingern die Tür auf.

Nick sah mir angespannt dabei zu. „Was meinst du damit?"


Aber ich ließ ihn stehen.

Das würde ich ihm nichts sagen. Vielleicht hätte ich es ihm erzählt. Vorher. Vielleicht, wenn er sich mir gegenüber nicht so idiotisch aufgespielt hätte. Ich hatte ihm alles erzählt, was ich wusste. Ich hatte ihm vertraut. Und er war direkt zur Polizei gerannt. Danach.

Er hatte mich verraten.

Bernicke hatte alles gewusst.

Von meinen Gefühlen zu Pi.
Von unserer gemeinsamen Nacht.
Dem Sex.
Der Trennung von Jana.

Alles, was ich ihm im Vertrauen erzählt hatte. Vorher.

Ich hatte wieder und wieder Verhör über Verhör über mich ergehen lassen müssen und diesmal war ich das Gefühl nicht los geworden, dass es etwas mit Jana zu tun hatte. Es war so eine Ahnung gewesen.

Ich hatte mir erst keinen Reim darauf machen können, aber dann... dann hatte es einfach nur noch weh getan, als ich es verstanden hatte. Ich war so dumm gewesen. So naiv. Dass ich es nicht gesehen hatte.

Diese ganzen Fragen dienten nur dazu herauszufinden, ob Jana wirklich dazu fähig war, das Pferd umzubringen und vielleicht Pi Jahre später zu entführen. Aus Eifersucht.

Und ich war schuld daran.

Ich hätte es kommen sehen müssen.
Ich hatte es gewusst.
Ich hatte gewusst, dass sie krank war.
Ich wusste, wie sie war.
Wie sie sein konnte.
Ich hatt gewusst, dass sie manchmal ihre Medikamente nicht nahm.

Ich hatte gewusst, dass sie sich damals im Internat in den letzten Monaten stark verändert hatte und ich hatte nichts gemacht. Ich hatte ihren Eltern nichts gesagt. Ich hatte gedacht, dass ich es irgendwie im Griff hatte. Dass ich es...

Aber ich hatte es unterschätzt.

Ich hatte keine Kraft mehr gehabt. Ich hatte es Pi gesagt. Damals im Wald
Ich kann nicht mehr.

Ich hatte Jana wirklich geliebt und versucht für sie da zu sein, aber ich hatte auch Pi geliebt und diese Zerrissenheit hatte mich aufgefressen. Dass die Krankheit Jana so verändert hatte, hatte es nicht leichter gemacht und...

Es hätte einfach leichter sein sollen.

Ich hatte nur einen leichten Moment haben wollen. Mit Pi. Nur einen. Und dieser eine leichte Moment... war in einer Katastrophe geendet.

Ich würde mir das nie verzeihen.
Ich hätte das verhindern können.
Ich hätte Jana daran hindern können.
Ich hätte nicht Schluss machen dürfen.
Ich hätte einfach mit ihr zusammenbleiben müssen. Sie vor sich selbst retten. Das aushalten. Sie war zu labil gewesen.
Ich hätte das ausgehalten.

Jetzt saß sie in U-Haft. Wegen dem, was Lütti getan hatte. Sie hatte es gewusst.

Wie ich.

Sie trug genauso Schuld an dem, was er Pi angetan hatte wie ich an der Sache mit Carrie.  Sie hätte es verhindern können.

Wie ich.

Hätte.
Würde.
Könnte.
Lauter Konjunktive.
Lauter Möglichkeiten, die niemals mehr eintreffen würden.

Ich war schuld daran.
Ich war schuld daran, dass Carrie tot war.

Ich würde mir das nie verzeihen.
Ich würde Jana das nie verzeihen.
Jana würde mir das nie verzeihen.
Pi würde Jana nie verzeihen.

Pi würde mir das nie verzeihen.

So weh konnte eine gebrochene Nase überhaupt nicht tun, wie die Erkenntnis, dass ich Jana  und Pi auf jede erdenkliche Art verloren hatte.


........

Hätte,  hätte, Fahrradkette.

Guten Morgen,  Freunde der Sonne.
Der Vorsprung ist dahin. Das wollte ich mal anmerken.  Dieser Mai voller Samstags, der keiner war , hat mir letztlich das Genick gebrochen 😅🤪🤯 wird jetzt höchstwahrscheinlich etwas sparsamer hier zugehen müssen...

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt