Kreuzherreneck: 17 ~ Pi

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Seit zwei Tagen starrte ich die Wand an. Die Wand war hellgelb gestrichen. Das Poster von diesem Festival hing noch immer leicht schief. Ich hatte es nie gerade gehängt, mich hatte es nie gestört. Daneben hing eine Collage mit Fotos von früher. Darauf starrte ich seit zwei Tagen. Ich war nicht mal zum Essen herunter gekommen. Meine Mutter hatte mir das Essen hoch gebracht, aber ich hatte es nicht angerührt.

Sie hatten mich abgeholt und mich wie versprochen mit nach Düsseldorf geholt. Innerlich hatte ich geschrien. Rebelliert. Ich wollte nicht hierher zurück. Ich wollte auf gar keinen Fall hier sein. Nicht in diesem Haus.

Aber jetzt war ich hier, saß in meinem Kinderzimmer fest und starrte seit zwei Tagen katatonisch die gelbe Wand an.

Mir fehlten die Beruhigungsmittel. Ich schlief nicht. Ich hatte Alpträume und Panikattacken. Ich hielt die Nähe zu meinen Eltern nicht aus. Ich hielt Geräusche nicht aus. Ich hielt Gespräche nicht aus. Ich wollte die ganze Zeit duschen. Ich wollte mit Nick reden und mich bei ihm entschuldigen, was ich ihm an den Kopf geknallt hatte - aber ich war so wütend auf ihn, dass er mir nichts gesagt hatte.

Ich wollte meine Wolke zurück. Ich wollte zurück in meine Blase aus Valium und Schmerzmitteln und Schlaf.

Immerhin saßen meine Eltern nicht mehr unentwegt in meinem Zimmer.

Mein Blick wanderte zurück zu der Collage. In meinem Kopf pochte es unerlässlich. Ich hatte das Gefühl, dass die Wand sich auf mich zu bewegte. Langsam, aber sicher rückte sie immer weiter auf mich zu. Immer weiter, bis der Raum immer kleiner und kleiner wurde und die Luft immer weniger wurde und ich ---

Ich riss das Fenster auf und rang nach Luft. Diese Panikattacken machten mich fertig. Sie mussten aufhören.

„Pi?" Meine Zimmertür ging auf. „Hey... Mama sagt, ich soll dir sagen, es gibt gleich Essen." Maja stand in der Tür und lächelte mich knapp an.

Ich blinzelte. Ich konnte nicht sagen, wann ich sie zuletzt gesehen hatte. An ihrem Geburtstag? Vermutlich. „Hey..."

„Darf ich?"

Ich zuckte mit den Schultern und sah zu, wie meine kleine Schwester mein Zimmer betrat. Sie war gar nicht mehr so klein und mir nicht wirklich nah. Wir hatten nie ein wirklich gutes Verhältnis gehabt. Ich wusste nicht, woran das lag. Vielleicht daran, dass sie sich viel aus dem ganzen materiellen Zeug machte und ich nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie mich für undankbar hielt und meinte ich sei... egoistisch und dramatisch. Ich glaube, sie hatte nie wirklich verstanden, was Carries Tod mit mir gemacht hatte. Wie schlimm das für mich gewesen war. Sie hatte sicher auch viel zurückstecken müssen in der Zeit... aber... sie verstand es nicht. Sie hat it Carrie nie etwas anfangen können.

„Sorry, dass ich nicht früher gekommen bin." Sie setzte sich vorsichtig ans Fußende des Bettes. Sie war stark geschminkt. Ihre blonden Haare waren akkurat in Wellen frisiert und fielen ihr über die Schultern. Das weiße Spitzenkleid, das sie trug, reichte ihr bis auf die Mitte ihrer Oberschenkel. „Wir waren noch in..." Sie brach ab und sah unter sich. „Papa meinte, du bräuchtest Ruhe."

Hatte er vermutlich. Wirklich vermisst hatte ich Maja allerdings nicht.

„Ich hab was für dich", sagte sie dann und reichte mir ein Handy. Mein Handy. „Mama hatte das noch in ihrer Tasche. Sie meinte, vielleicht willst du es allmählich wieder haben."

Sie warf mir das Handy zu und sah zu, wie ich wie versteinert darauf starrte. Ich hatte ganz vergessen, dass Bernicke es mir ins Krankenhaus gebracht hatte. Ich war so zugedröhnt gewesen mit Beruhigungsmitteln, dass ich mich nicht daran erinnern konnte. „Oh Gott..."

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt