Das letzte Einhorn: 18 ~ Pi

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„Also, Sophie..." Die Therapeutin musterte mich offen und lächelte mich freundlich an. Sie trug ein beigefarbenes Twinset und einen beigefarbenen Rock. Sie wirkte nett, aber bieder. Ihre Haare waren beige, die Couch, auf der ich saß, war beige und der Sessel, auf dem sie mit überschlagenen Beinen saß, war ebenfalls beige.

Ich sah mich seit etwa fünf Minuten schweigend in dem fast leeren Raum um. Es war nichts hier drin, außer einem leeren Kallax-Regal, in dem drei nichtssagende Ikea-Kunstdrucke standen und einen ebenso einfallsloser beiger Kunstdruck an der an der Wand. Ob das beruhigend wirken sollte? Beige? Was war das überhaupt für eine Farbe? War das überhaupt eine Farbe?

„Also?", wiederholte ich. Ich hatte die Frage schon vergessen.

„Was wollen Sie hier?"

Was sie wohl sagen würde, wenn ich „Riesling" sagen würde? Ob ich dann direkt eingewiesen werden würde? Oder ob sie den Witz verstehen würde? Ich hob die Augenbraue und war drauf und dran zur Tür zu gehen. Alles in mir sträubte sich dagegen hier zu sein. Ich wollte nicht mit dieser Frau reden. Ich hatte mir noch nicht mal ihren Namen gemerkt. „Wenn ich ehrlich sein soll..."

„Ich bitte darum."

„Nichts", sagte ich.

Die Therapeutin zuckte noch nicht mal mit den Wimpern, schlug nur sehr bedächtig das andere Bein über und musterte mich noch eingehender. „So? Was machen Sie dann hier?"

„Wieso?"

„Nun ja, wenn Sie nichts hier wollen, dann verschwenden Sie meine Zeit und ich Ihre. Dann können wir uns den Zirkus sparen."

Meine Mundwinkel zuckten. „Vermutlich."

„Also: warum sind Sie hier, wenn Sie doch offensichtlich kein Interesse an einer Therapie haben?"

Ich war nicht blöd. Mir war klar, dass sie, wenn ich darauf antworten würde, einen ersten Erfolg verzeichnen würde. Den wollte ich ihr nicht gönnen. Auf der anderen Seite brannte ich darauf mit dem Finger auf meine Eltern zu zeigen und mir die ganze Last von der Seele zu reden. Ich sah zum Fenster. Davor stand ein Kastanienbaum. Er trug bereits reife Früchte, die davon zeugten, dass der Sommer bereits vorbei war und der Herbst bevor stand. Wo war nur die Zeit geblieben?

Ach ja, in Lüttkenhaus Keller...

„Meine Eltern haben mich hergeschickt", sagte ich.

„Warum?"

„Weil ich..." Ich sah wieder zum Fenster. Mir kamen sehr viele Weils in den Kopf. Aber ich entschied mich dagegen. Ich würde ihr keinen dieser Gründe sagen. Ich sah die Therapeutin an und schüttelte den Kopf. „Es ist ein Deal. Sie sperren mich nicht mehr ein, wenn ich zur Therapie gehe."

„Warum sperren ihre Eltern Sie ein?"

Ich lachte trocken. „Fragen Sie das meine Eltern. Ich bin einundzwanzig. Sie haben das Haus hermetisch abgeriegelt und lassen mich bewachen."

„Warum?"

„Weil sie irrationale Ängste haben."

„Ängste sind selten irrational."

Ich legte den Kopf schief. „Ich bin mir sehr sicher, dass diese Ängste irrational sind. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass einem einzelnen Menschen nicht nur eine, sondern gleich drei solcher Tragödien passieren würden?" Ich stand auf und ging zum Fenster. „Ich werde mit ihnen weder über das noch über das andere sprechen. Ich spreche mit ihnen nicht über die Dinge, über die ich laut meinen tollen Eltern mit ihnen sprechen soll. Ich sitze nur meine Zeit ab."

Sie sah mich lächelnd an und nickte dann. „Das ist okay."

„Gut." Ich lehnte mich gegen das Fensterbrett und sah sie an. „Warum beige?"

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt