Kreuzherreneck: 17 ~ Pi

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„Na..." Seine Stimme klang dunkel und ein bisschen heiser, als ob er heute schon zu viel gesprochen hätte. Als ich sie hörte, machte mein Herz den Satz, den ich vergessen hatte.

Ich lehnte mich im Bett zurück und nippte an dem Glas Chardonnay, das ich mir vom Abendessen mit hoch genommen hatte. Es war mein viertes oder so. „Na..." Es tat unwahrscheinlich gut seine Stimme zu hören. Das und der Wein machte, dass der üble Tag heute deutlich in den Hintergrund traten.

Er schwieg am anderen Ende der Leitung und ich war mir nicht sicher, was ich sagen sollte. Also lauschte ich seinem Atem nach, bis ich die Stille zwischen uns nicht mehr aushielt.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll...", gab ich leise zu.

Ich hörte ihn lächeln. „Hallo vielleicht?"

„Na ist doch so ähnlich wie hallo", gab ich leise zurück und holte dann tief Luft. Ich trank noch einen Schluck Wein. „Es tut mir leid... Ich wollte dich nicht rauswerfen..."

„Das kannst du zum Beispiel auch sagen...", murmelte er und seufzte leise. „Ist schon okay. Ich weiß, warum du das gemacht hast... Du bist auch... in illustrer Gesellschaft... Ich wurde in letzter Zeit von einigen Menschen rausgeworfen..."

Ich fragte mich, was er damit meinte, aber die Bitterkeit, die in seiner Stimme mit schwang verbat mir, nachzufragen. Ich wollte nicht in irgendwelchen Wunden herumstochern. Das waren schon so zu viele Mienenfelder, die zwischen uns lagen. „Was machst du gerade...? Es ist schon spät... du musst sicher morgen arbeiten..."

„Ähm..." Nick machte eine Pause. „Ne. Eher nicht."

„Wieso nicht? Hast du Urlaub?"

„Sozusagen... Ich bin suspendiert."

Ich verschluckte mich. „Suspendiert? Was ist passiert?"

Er zögerte einen deutlichen Moment. „Ich war in eine dumme Sache verwickelt... An dem Tag nach dem wir uns gestritten haben? Da ging in nem Einsatz was schief und...", er schwieg einen Moment, „Ich wurde wegen schwerer Körperverletzung suspendiert."

Mir klappte der Mund auf. „Was?"

Nick seufzte schwer am anderen Ende der Leitung und erzählte dann sehr zaghaft und vorsichtig, was damals passiert war. Ich trank dabei zügig den Wein leer. Ich konnte das überhaupt nicht glauben. Das klang nicht nach ihm. Überhaupt nicht. So hatte ich Nick nicht kennen gelernt.

„Und wie lange?", fragte ich.

„Zwei Monate...", gab ich müde zurück.

„Krass.... Das tut mir leid... Ich weiß wie sehr du deinen Job liebst."

„Tja..." Er schluckte hörbar. „Ich muss erstmal diese Belastungsscheiße in den Griff bekommen..."

Belastungsscheiße. Der Psychologe im Krankenhaus hatte gesagt, dass bei mir eventuell auch Anzeichen einer postraumaischen Belastungsstörung würden auftreten können. Meine Eltern hatten mir hier in Düsseldorf direkt einen Therapeuten gesucht. „Kommt die noch von... damals?", fragte ich leise. Von dem Einsatz, bei dem Diana gestorben war.

Nick schwieg einen Moment. „Ja. Auch. Durch die Einsätze in den letzten Jahren ist es nicht besser geworden. Und ---" Er brach ab, aber ich wusste, was er hatte sagen wollen. Vermutlich war es jetzt noch viel schlimmer geworden. Wegen Lüttkenhaus. Verdammt. Wegen mir.

Ich sah zu dem leeren Weinglas in meiner Hand. Ich hatte das Bedürfnis in die Küche zu rennen und es nachzufüllen. „Nick...?"

„Mh..."

„Pass auf dich auf."

Er schluckte. „Du auch, ja?"

Ich schluckte schwer und legte auf.

Gott...

Das hatte ich nicht gewollt. Ich hatte gewollt, dass es mir nach dem Telefonat mit ihm besser ging und nicht noch beschissener nach diesem beschissenen Tag.

Und der Tag war wirklich beschissen gewesen. Mein Vater hatte mich zu früh stocksauer geweckt. Ich war verkatert aufgewacht. Viel zu verkatert. Ich hatte mich nachts aus dem Haus geschlichen, weil ich nicht hatte schlafen können und hatte mich alleine durch die Düsseldorfer Altstadt gedrückt. Ich hatte mich treiben lassen. Treiben. Bis zum Kabüffke. Ewig lang hatte ich die Kneipe angestarrt, lachende Touristen, Studenten, Einheimische beobachtete und mir dann nacheinander zwei, vielleicht auch drei Killepitsch bestellt. Oder waren es vier gewesen? Ich hatte mich mit Norbert unterhalten und Inge und irgendwann, als die Gedanken endlich aufgehört hatten und meine Wolke zurück war, war ich zurück gegangen. Zurück bis nach Hause. Es war ein ganz schönes Stück, aber das war mir egal. Es war mir auch egal, dass ich Krach machte, als ich die die Treppe hoch lief und mein Vater mir einen Anschiss gab und meine Mutter heulte, weil sie sich Sorgen gemacht hatte.

Was mir einfiel. Einfach so zu verschwinden. Ohne Beschied zu sagen! Ob ich verrückt geworden war! Ob ich eine Vorstellung hatte, was für Sorgen sie sich machten! Ob sie mich einsperren sollten.

Ich hatte sie nur angesehen und hätte am liebsten gelacht. Das machten sie, seit sie mich nach Düsseldorf genommen hatten. Seit sie mich in der Klinik „besucht" hatten. Sie sperrten mich ein und erdrückten mich. Ich hielt das nicht mehr aus. Aber das war ihnen nicht klar. Ich war an meinen Eltern vorbei marschiert und ins Bett gegangen.

Dann hatte mein Vater mich morgens aus dem Bett geworfen und mich mit meiner Mutter zum Therapeuten geschleift. Der Termin war einfach fantastisch gewesen.

„Sophie, auf einer Skala von 1 bis 10, wie geht es Ihnen?" Der Therapeut, ein Mann Mitte vierzig, hatte mir und meiner Mum mit gefalteten Händen und überschlagenen Beinen gegenüber gesessen und mich angelächelt. Ich hatte zu meiner Mutter gesehen und kein Wort herausbekommen. Der konnte doch nicht glauben, dass ich ehrlich darauf antworten würde, solange meine Mutter neben mir saß. Ich war volljährig verdammt.

„Sophie ist schwer traumatisiert." Meine Mutter hatte das Sprechen für mich übernommen. „Es ist sehr schwierig mit ihr, seitdem sie wieder zu Hause ist."

Ich starrte sie an. Ich war so wütend auf meine Eltern. Dass sie mir das antaten. Das alles. Das konnte doch nicht wahr sein! Am allerliebsten hätte ich etwas nach ihr geworfen.

„Sophie? Sehen sie das auch so?", fragte der Therapeut.

Ich starrte meine Mutter immer noch schweigend an. Meine Oberlippe zuckte vor Wut. Dann stand ich auf. Griff nach meiner Lederjacke, meiner Tasche und knallte die Tür zum Behandlungsraum hinter mir zu. „Sehen Sie", hörte ich sie noch sagen. Dann verließ ich die Praxis.

Meine Eltern engten mich ein. Sie verstanden mich nicht. Sie verstanden nicht, was mir passiert war. Sie verstanden nicht, dass ich nicht darüber reden wollte und dass ich Zeit für mich brauchte. Vor allem verstanden sie nicht, dass ich meine Ruhe vor ihnen brauchte. Dass ich sie nicht sehen wollte - und Abstand brauchte. Dass ihre Überfürsorge mir den Atem raubte, wie es damals schon gewesen war.

Ich mochte meine Eltern. Aber...

Ich hatte wieder Durst.

Ich lag im Bett, im Dunkeln, und hatte wieder Durst.

Dieser beschissene Tag.

Ich brauchte keine Therapie.
Ich brauchte einfach meine Ruhe.

Und noch ein Glas Chardonnay.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt