Viktualienmarkt: 25 ~ Pi

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Ich stieg aus der U-Bahn aus und orientierte mich. Ich stand am Stachus. Zum Glück war ich schon oft genug in München gewesen, dass ich mich gut auskannte. Ich lief die breite Neuhauser Straße Richtung Rathaus hinunter ohne auf die Geschäfte zu achten und wich dem hektischen Treiben aus. Weihnachtsdekoration hing in den Geschäften, Menschen hetzten eilig an mir vorbei, um die letzten Einkäufe zu erledigen und ich... ich war hier, um... naja, jedenfalls nicht, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen.

Hierher zu fahren war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Eine dumme Kurzschlussreaktion auf mein Gespräch mit dieser Kommissarin. Bernicke. Ich war vorgestern auf dem Präsidium gewesen und hatte Akteneinsicht in meinen Fall bekommen. Unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft. Mein Anwalt war dabei gewesen. Mein Vater hatte den Familien Anwalt auf Düsseldorf zu mir geschickt, immerhin. Mehr Kontakt hatte ich mit Vater nicht. Einen ganzen Tag hatte ich mit dem Anwalt über den Akten gesessen und nicht nur einmal einen Kurztrip nach Bali unternommen.

Am Ende war ich mit den Nerven am Ende gewesen und hätte alles gegeben für einen Drink. Und mit alles meine ich alles.

Vor dem Münchner Rathaus blieb ich stehen. Das Gedränge auf dem Christkindlmarkt war irre und ich hatte Mühe, die Orientierung zu behalten. Eigentlich hätte ich darüber schlendern wollen, aber ich hatte Angst, dass der Drang nach einem Glühwein zu groß werden würde, also lief ich zielstrebig an den Büdchen vorbei.

Es war ein Fehler herzufahren, noch dazu allein. Ich hätte zumindest Bescheid sagen sollen, was ich machte, aber das hatte ich nicht getan. Ida hatte ich gesagt, dass ich nach Düsseldorf fahren würde und Nick... mit Nick hatte ich eigentlich gar nicht gesprochen. Ich hatte ihn nicht beunruhigen wollen. Es lief so gut, seit ich wieder da war. Er gab sich solche Mühe mit mir und ich strengte mich wirklich an. Wir schrieben und telefonierten und gestern hatten wir zusammen gekocht. Bei mir, damit es mir leichter fiel in dieser Wohnung zu sein. Wir hatten wirklich Spaß gehabt... kleine Schritte.

Geküsst hatten wir uns noch nicht... es hatte einfach noch nicht gepasst.  Er war sehr vorsichtig mit mir und vielleicht war das auch gut. Ich war nüchtern. Meine Wolke war weg.

Oh, das hier war wirklich eine ganz dumme Idee.

Ich sah auf mein Handy. Gogglemaps sagte, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Ein kleines Café, etwas abseits vom Viktualienmarkt. Ich betrat es und mir schlug nach eisigen Kälte draußen wohlige Wärme entgegen.

Ich setzte mich an einen Tisch in der Ecke, zog meine Jacke aus und sah auf mein Handy. Noch fünf Minuten. Ich war zu früh.



Nervös sah ich auf die Uhr. Ich wartete schon eine halbe Stunde und ich hasste es, zu warten. Es war sicherlich eine dumme Idee, dieser Kurztrip nach München – noch dazu ganz allein. Ich hatte keinem gesagt, was ich vor hatte. Vielleicht hätte ich es tun sollen und zumindest Mo mit hernehmen sollen. Wenn ich ihn darum gebeten hätte, er wäre sicher mitgekommen.

Mich hatte das alles umgehauen. Als ich diese ganzen Protokolle gelesen hatte, hatte mich das kalt erwischt. Im Wesentlichen kannte ich ja die meisten Details des Falls. Aber bei einer Nebenakte war mir fast vor Überraschung der Kaugummi aus dem Mund gefallen. Und deshalb saß ich jetzt hier und wartete.

Zehn Minuten noch, dann würde ich aufstehen und gehen. Einfach gehen. Ich würde meine Zeit nicht an diesen Vollidioten verschwenden, auch nicht, um meine Fragen zu beantworten, die diese Protokolle offen gelassen hatten. Zehn Minuten bekam er noch. Dann würde ich ---

Ich hörte das leise Klingeln der Türglocke und sah zum Eingang.

Innerlich erstarrte ich. Zu spät. Ich brauchte nicht mehr zu warten, er war da. Ich erkannte ihn sofort. Er hatte sich eigentlich kaum verändert. Der Scheitel saß immer noch genau so fest wie zu Schulzeiten. Sein Blick fiel sofort auf mich, aber er brauchte etwas länger um mich zu erkennen. Ich wusste nicht, worüber er so entsetzt war. Mich generell zu sehen oder über die dunkle Haarfarbe, die ich aus der Klinik mit gebracht hatte. Langsam kam er näher und blieb dann mit einigem Abstand vor mir stehen. „Sophie."

„Daniel." Ich schluckte und musterte ihn mit einigem Argwohn.

Er rang sich ein Lächeln ab. „Darf ich?", fragte er und schob den Stuhl ein Stück zurück. Er setzte sich vorsichtig und sah mir dann offen ins Gesicht. „Man, es fühlt sich an, als ob das Ewigkeiten her ist..."

„Es ist Ewigkeiten her", gab ich zurück und versuchte mich zu entspannen. Es war seltsam ihn zu sehen. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. War es am Abiball gesehen? Vermutlich. Danach war ich nach Heidelberg gegangen und er zum Studium nach München. Den gesellschaftlichen Verpflichtungen bei seinen Eltern war ich großräumig aus dem Weg gegangen. Ihn hatte ich gemieden, wann immer es möglich gewesen war.

Daniel musterte mich nun deutlich offener und blinzelte dann. Seine Miene entspannte sich zusehends und er lächelte. Von der Arroganz von damals war wenig übrig geblieben. Die hatte ihm damals aber auch nur selten im Gesicht gestanden, wenn wir nur zu zweit gewesen waren. „Wie geht es dir?", fragte er leise. „Ich hab von dieser Geschichte mit Lütti gehört... Krasser Scheiß."

„Deshalb bin ich hier." 





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Na...? Habt ihr das erwartet? Têtê a têtê mit dem bösen Wolf mit Blick auf den Pferdemetzger auf Viktualienmarkt? Markaber? Romatisch? herapeutisch? Man weiß es nicht? ^^

Und wo das hinführen soll?

Dann spekuliert mal schön *g*

🐺⭐

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt