Dornröschen: 9

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Anfang Oktober vor drei Jahren

Es war einmal ein Königspaar, das wünschte sich lange schon ein Kind. Endlich weissagte ein Frosch der Königin die Geburt eines Kindes. Zum Fest holte man auch die zwölf Feen des Landes, die Prinzessin zu segnen, die dreizehnte überging man jedoch, für sie war kein Goldteller mehr da. Sie platzte jedoch herein in das Fest und verfluchte die Prinzessin zum Tod durch den Stich einer Spindel im fünfzehnten Jahr.

Doch hatte eine Fee ihren Segen noch nicht gesprochen und milderte den Tod zu hundertjährigem Schlaf. Der König ließ alle Spindeln im ganzen Lande verbrennen.

Mit fünfzehn Jahren fand die Prinzessin in einem Schlossturm eine alte Frau beim Spinnen, griff neugierig nach der Spindel, stach sich in den Finger und fiel schlafend hin. Alle Menschen und alles im Schloss fiel die Prinzessin ebenfalls in einen tiefen Schlaf und hohe Dornenhecken wuchsen ringsum das Schloss.

Man hörte im ganzen Land von der Prinzessin als dem Dornröschen, doch Prinzen, die es suchten, starben jämmerlich in den Dornen. Als hundert Jahre um waren, hörte wieder ein Prinz davon, die Dornen wurden zu wunderschönen Blumen und ließen ihn ein. Dornröschen erwachte von seinem Kuss, alles erwachte und man feierte die Hochzeit.

In meinem Märchen nicht. Hier gibt es keinen Prinzen. Das verspreche ich euch. Und die Prinzessin sitzt immer noch in ihrem Kerker.

***

„Wir müssen das bleiben lassen", sage ich und ziehe meinen Slip an. Daniel beobachtet mich aus dunklen Augen und rümpft gekränkt die Nase. „Warum? Macht es dir keinen Spaß mehr?"

„Soll ich ehrlich sein?", frage ich zurück und streife mir mein Shirt über. „Mir ist das zu anstrengend. Ehrlich."

„Wieso?" Er zuckt die Schultern. „Wir sind das Kamasutra doch noch gar nicht ganz durch."

Er übertreibt maßlos. So markerschütternd ist der Sex mit ihm wirklich nicht. Aber ich werde einen Teufel tun und sein Ego zerstören. So gemein bin ich nicht. Ich heiße mit Nachnamen ja nicht von Söder. „Hör mal, Daniel, dieses ganze Theater davor und danach, dieses Rumgezicke zwischen uns, das ist mir echt zu anstrengend." Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß, dass du eigentlich ein feiner Kerl bist und dein harter Kerl-Image nicht verlieren willst, aber... diese Show zwischen uns, dieses Vorspiel", ich male Anführungszeichen in die Luft, „ehrlich... das ist zu viel."

„Pi...", setzt er an, aber ich seufze nur schwer. Das Gespräch hatten wir seit dem Sommer schon ein paar Mal. Trotzdem benimmt er sich am nächsten Tag jedes Mal wieder wie das Arschloch, das er ist. Mir gegenüber und meinen Freunden gegenüber. Vor allem Moritz und Jana gegenüber.

Er streckt die Hand aus und hält mich überraschend sanft am Handgelenk fest. Ich sehe auf seine Hand und mache mich energisch los. Es macht keinen Sinn. Ich glaube, von Söder hat sich irgendwie zwischen von Santorini und jetzt in mich verguckt. Das ist nicht gut. Ich greife nach meiner Jeans und schlüpfe hinein. „Es hat echt Spaß gemacht mit dir." Ich beuge mich zu ihm hinunter und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

Er starrt mich an. „Also war's das jetzt?!"

Ich nicke und kann mir ein Schlucken nicht verkneifen. Er sieht total enttäuscht aus. Soll ich mich entschuldigen? Ich lasse es bleiben und schließe leise die Tür hinter mir.

***

Das Geräusch dröhnte noch immer. Seit Stunden riss es an mir. So laut und durchdringend, dass ich es kaum noch aushielt. Mein Körper reagierte gestresst. Mein Herz raste. Meine Ohren schmerzten. Ich war todmüde und musste unbedingt zur Ruhe kommen, aber der Lärm ließ mich nicht. Ich konnte einfach nicht.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt