Silence

Kapitel 30

~Pov. Yoongi~
Es war nun ein Tag vergangen und ich verließ gerade mein Schulgebäude. Ich machte mich auf den Weg nach Hause und dachte wieder zum etlichen Male an gestern Abend, als ich mich von Jimin verabschiedet habe. Und seit dem konnte ich an nichts anderes mehr denken.

Als ich Jimin den Kuss auf die Wange gegeben hatte fühlte es sich unglaublich schön und vor allem befreiend an, da ich mehr oder weniger den ersten Schritt gemacht habe, nachdem ich zuvor eigentlich abgeblockt hatte. Diese Euphorie und Glücksgefühle hielten auch eine lange Zeit, doch dann kamen langsam doch Zweifel in mir auf.

Jetzt könnte er denken, dass ich nun doch bereit war mehr als Freundschaft zuzulassen und in dem Moment wollte ich auch, dass er das wusste, denn so fühlte es sich auch an. Doch nach und nach kamen auch Zweifel und Sorgen auf: War ich wirklich bereit dafür? Mich auf Liebe einzulassen? Vor allem mich auf einen Jungen einzulassen? Wie würden meine Eltern reagieren? Meine Cousinen und Cousins, meine Tanten und Onkeln, meine Großeltern? Meine Nachbarn, meine Klassenkameraden? In Korea war es noch lange nicht so akzeptiert wie in anderen Ländern, gesellschaftlich und rechtlich gesehen.

Wir würden Passanten auf der Straße reagieren, wenn wir in der Öffentlichkeit zum Beispiel Händchen halten? Oder uns küssten? Die meisten würden vermutlich nicht positiv reagieren und wie sähe das bei Jimin aus? Wäre er bereit dazu, das alles ebenfalls auf sich zu nehmen?

Und eine wichtige Frage war, wollte er das überhaupt noch? Als ich ihm einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, hat er so extrem perplex und auch verwirrt geschaut. Das fand ich im ersten Moment ganz niedlich, aber rückblickend war es doch etwas seltsam. War er überfordert? Ist es ihm zu viel gewesen? Hatte er über all die Dinge vielleicht schon zuvor nachgedacht und sich doch dagegen entschieden? Aber wieso ist er dann trotzdem so vertraut mit mir umgegangen?

Wollte er mir vielleicht auch sagen, dass er doch nichts von mir will? Aber mein Vorschlag etwas mit ihm zu unternehmen hatte er selbst als Date bezeichnet und wollte, dass ich mir etwas überlegte, was wir zusammen machen könnten. Aber vielleicht war das nur als Witz gemeint und er hatte einfach keine Lust sich selbst etwas auszudenken.

Ich konnte mich in der Schule kaum konzentrieren, da all diese Gedanken durcheinander und teilweise zusammenhangslos als großes Wirrwarr in meinem Kopf waren und ich irgendwie versuchte dieses durcheinander zu lösen. Aber meiner Meinung nach hatten all diese Gedanken eine Berechtigung und waren in ihrer eigenen Art und Weise realistisch, was mich unglaublich durcheinander brachte, verwirrte, verzweifeln ließ und sehr verunsicherten.

Vor allem wieso sollte er was von mir wollen? Ich hatte nichts besonderes an mir, eigentlich nur abstoßende und abschreckende Merkmale. Ich war ziemlich dünn, nicht gut gebaut und besonders gut aussehend war ich auch nicht. Ich war völlig unbeliebt, war fast komplett stumm, extrem introvertiert, kam nicht mal mit seinen Freunden auf lange Zeit klar und mein bester Freund war ein Basketball. Meine Noten waren eher durchschnittlich, mein Gesicht war trocken mit ein paar Pickeln und meine Haare hatten eine langweilige Frisur. Meine Outfits waren auch nicht besonders und standen mir auch nicht extrem gut wie anderen Leuten.

Zudem hatte ich einem Menschen unglaublich viel Leid zugefügt und ihn sogar in den Selbstmord getrieben, was vermutlich der größte Makel an mir war. Obwohl es nicht ein Makel war sondern eine schreckliche Tat, ein nicht wieder rückgängig zu machender Fehler der einem Menschen und seinen Angehörigen viel zerstört hat.

All diese Gedanken und vor allem Zweifel verunsicherten und überforderten mich so sehr, dass sich sogar ein paar Tränen in meine Augen bahnten. Ich versuchte sie schnell weg zu blinzeln, doch liefen mir trotzdem über die Wangen. Ich wischte sie schnell weg und schlang meine Arme um mich als wenn ich frieren würde, obwohl wir fast Sommer hatten.