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1000 Geschichten mit verschiedenen enden
Mal bin ich Held, mal bin ich Dreck
Tausende Fremde die mich von außen gut kennen
Sie wissen nicht was ich versteck
1000 Dinge die mir angeblich gelingen
Doch so einfach ist es nicht
Tausende Lieder die ich nur für mich singe
Aber dieses ist für dich

Johannes Oerding - Zweites Gesicht 

Kapitel 6

Die kühle Oktoberluft durchflutet meine Lungen, während ich einen Fuß vor den anderen setze. Meine Atmung ist schnell, mein Puls erhöht, aber ich spüre, dass sich das Joggen der letzten 3 Wochen mittlerweile auszahlt und meine Kondition mit jedem Mal besser wird. Habe ich es am Anfang gerade so zwei Kilometer geschafft ohne direkt den Wunsch nach einem Sauerstoffzelt zu haben, kann ich mittlerweile ohne große Probleme eine längere Strecke am Strand zurücklegen.

Bragi rennt wie immer fröhlich voraus und versucht die Luft zu fangen. Wir steuern den Hafen an und von weitem sehe ich Enya dort wieder sitzen. Kurz überlege ich ob sie um diese Uhrzeit nicht in der Schule sein müsste, bis mir einfällt, dass im Moment Herbstferien sein müssten. Ich habe hier in Greenore jegliches Zeitgefühl verloren, ich liebe es.

„Hey Enya.", rufe ich ihr von Weitem zu, sehe wie sie kurz hochschreckt, doch als sie mich und vor allem als sie Bragi erblickt winkt sie uns zu. Ich verlangsame mein Tempo und komme bei ihr zum stehen. Auch Bragi hat Enya bereits erblickt und genießt ihre Streicheleinheiten in vollen Zügen. Er hat sich vor ihr auf den Rücken geschmissen und lässt sich seinen Bauch kraulen, was Enya zum Lachen bringt. Freudig beobachte ich die Szene zwischen den beiden, doch mir fällt direkt auf, dass Enya noch schmaler zu sein scheint, als sie eh schon ist. In ihrer engen Leggings und dem weiten Strickpullover scheint sie komplett unter zu gehen. Ihr Gesicht ist kantig, ihre Knochen springen mir förmlich entgegen.

„Bist du wieder am Zeichnen?", frage ich sie und knie mich zu den beiden, betrachte sie von der Seite und innerlich schüttelt es mich fast sie so zu sehen. Blass, ihre Haut scheint eingefallen und grau zu sein. Durch ihre Haltung ist ihr Pullover etwas nach unten gerutscht, ich sehe ihre Schlüsselbeine, die nur von der dünnen Schicht ihrer Haut überzogen zu sein scheinen. Da sitzt kein junges Mädchen von mir, sondern ein Schatten ihrer selbst. Sie blickt zu mir und scheint meinen sorgenvollen Blick direkt zu erkennen, denn sie zieht ihren Pullover sofort nach oben und richtet sich auf.

„Ja, ich hab das Schiff dort gezeichnet.", sie deutet in den Hafen in dem ein altes Segelboot liegt, auf dem gerade ein Mann dabei ist es zu putzen. Dann zeigt sie mir ihren Zeichenblock und ich habe das Gefühl eine Fotografie zu sehen.

„Du hast mit Kohle gezeichnet. Die dunklen Akzente sind dir wirklich gut gelungen, auch die Schattierungen.", ich kann nicht beschreiben warum, aber bei Enya mache ich mir überhaupt keine Sorgen, dass es sie interessiert wer ich bin. Ich habe das Gefühl, sie ist so sehr mit sich beschäftigt und so sehr in Gedanken, dass da kein Platz ist für andere Überlegungen.

„Ich hatte kurz überlegt es bunt zu zeichnen, also darüber zu zeichnen. Aber irgendwie hab ich dann das Gefühl ich mache das Bild kaputt.", erklärt sie mir und zeigt mir ein ausgedrucktes Bild, wahrscheinlich aus dem Internet. Darauf zu erkennen ist ein Porträt von einer Person und darüber in wilden Schattierungen bunte Farben gelegt. Wie wenn man über eine Zeichnung ein abstraktes Bild gemalt hätte.

„Oder es wird dadurch einzigartiger. Was hindert dich daran?", sie scheint über meine Frage nachzudenken, ihre Stirn legt sich in Falten.

„Ich trau mich nicht anzufangen. Und was wenn ich anfange, dann weiß ich vielleicht nicht wann ich aufhören soll? Das ist das schöne wenn man etwas abzeichnet, man weiß, dann wann das Bild fertig ist.", nuschelt sie vor sich hin, so als würde sie einfach ihren Gedanken freien Lauf lassen und scheint dann selbst erschrocken zu sein über ihre Offenheit.

Chaostheorie - Nichts kann entstehen ohne ChaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt