7 | 23. Kapitel

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Nachdenklich und tief getroffen von McGonagalls Standpauke verließ ich ihr Büro und streunte danach erst einmal ziellos durch die Korridore. Wann immer ich das Geräusch von Schritten hörte, wandte ich mich in die entgegengesetzte Richtung. Ich wollte nicht, dass irgendwer mich jetzt zu Gesicht bekam. So vollkommen durcheinander, dass ich nicht viel mehr tat, als das Briefkuvert unter meinem Umhang verborgen zu umklammern und die Lippen aufeinander zu pressen.

Unter keinen Umständen wollte ich mir die Worte der Professorin zu sehr zu Herzen nehmen. Aber ich konnte nichts gegen das stetige Echo tun, welches sich wie eine Schallplatte immer und immer wieder in meinem Kopf wiederholte.

Sie verstecken sich hinter dem Wunsch, Ihren Bruder beschützen zu wollen!

Das tat ich doch nicht, oder? Tatsache war, ich wollte nicht, dass der dunkle Lord mich als Waffe gegen seinen Erzfeind einsetzte. Wenn Harry Potter die Wahl bliebe, mich zu retten oder den Mörder unserer Eltern zu töten, sollte er letztere Option nehmen. Ich wollte nicht schuld sein, wenn er durch mich in eine Falle gelockt wurde, wie es damals mit Sirius der Fall gewesen war.

Sie nutzen diesen Wunsch als Entschuldigung, tatenlos zuzusehen, wenn Unrecht geschieht.

Ich wollte mich nicht rechtfertigen müssen. Meinte sie, mir gefiel meine Rolle? Wirkte es, als würde ich darin aufgehen, sie gar genießen? Am liebsten hätte ich mit dem Fuß auf den Boden gestampft oder gegen eine der Rüstungen getreten, an denen ich vorbeikam. Wenn ich einschritt, würde das nicht nur mein Leben gefährden. Es würde auch Draco in Gefahr bringen. Inzwischen war ich längst über den Punkt hinaus, an dem ich nur für mich selbst Verantwortung trug.

Wie viel tun Sie im Namen dieser fehlgeleiteten Weltansicht?

Zu viel. Das ließ sich absolut nicht beschönigen. Bei Merlin, ich hätte einen lebenslangen Aufenthalt in Askaban mehr als verdient, wenn all dies vorbei wäre. Nicht, dass ich das wollte oder mich gar freiwillig inhaftieren lassen würde. Immerhin hatte ich eine Vorstellung davon, wie Dementoren waren, welche Erinnerungen sie in mir wachriefen. Tief durchatmend schloss ich bei dem plötzlich klammen Gefühl die Augen und drängte die Schreie zurück, die wie Phantomgeräusche in meinen Ohren klingelten.

Am Eingang der großen Halle blieb ich stehen, verharrte im Schatten des Portals und starrte die Haustische hinunter. Der verlockende Duft von Speisen stieg mir in die Nase, doch ich ignorierte mein Magenknurren, nahm es eigentlich kaum wahr. Auch durch die Schüler sah ich eher hindurch, als sie wirklich zu sehen. Gryffindors, Ravenclaws, Hufflepuffs. Sie alle waren still. Von der früheren Gesprächigkeit war keine Spur, wie so üblich schaufelten sie mit gesenkten Köpfen ihr Essen in sich hinein.

Nur an meinem Haustisch zeigte sich wenigstens ein bisschen Leben. Einige Schüler der unteren Stufen warfen sich gegenseitig einen magischen Flummi zu und lachten dabei. Konnte man ihr Verhalten kaltherzig nennen? Sie kannten es von zu Hause aus vielleicht nicht anders, fühlten sich nicht so in die Enge gedrängt wie viele andere im Saal, die täglich um ihre Familien bangen mussten.

"Mariah."

Ich fuhr zusammen und wirbelte herum. Instinktiv hatte ich nach meinem Zauberstab gegriffen und richtete die Spitze selbst dann noch auf den dunkelhaarigen Zauberer, als ich in ihm Severus Snape erkannte.

Schweigend funkelten wir uns einige Sekunden lang an, dann bedeutete er mir mit einer unwirschen Geste, meine Waffe zu senken. "Sei nicht albern! Pack deinen Stab weg."

"Und dann?" Herausfordernd reckte ich das Kinn. "Was willst du von mir? Immerhin hast du in den Wochen seit Schuljahresbeginn auch nicht für nötig gehalten, dich mit mir abzugeben." Es scherte mich nicht, dass meine Worte unfair waren. Viel zu schwer fiel es mir, sie leise genug zu fauchen, damit keiner der zu Mittag essenden Schüler auf uns aufmerksam wurde. Dass Lupins Nachricht an mich wie Feuer unter meinen Fingern zu brennen schien, trug sicherlich einen nicht unerheblichen Teil dazu bei.

Der ehemalige Lehrer für Zaubertränke trat einen Schritt auf mich zu. Sein Umhang wallte in dem Luftzug auf, der durch das angelehnte Schlossportal von draußen herein fegte, und die Fackeln an der Wand zuckten gefährlich, was die Schatten auf seinem Gesicht unheimlich in die Länge zog. Er scherte sich nicht um meinen Zauberstab, der sich beinahe in seine Brust bohrte. "Das, meine liebe Tochter, beruht wohl auf Gegenseitigkeit."

"Nenn mich nicht so!", fauchte ich und ignorierte bestmöglich die Tatsache, dass meine rechte Hand ein wenig zitterte. Ich wollte nicht ausprobieren müssen, ob ich einen Fluch gegen ihn aussprechen konnte und ich war mir sehr sicher, dass er sich dessen sehr genau bewusst war. "Das Recht, mich deine Tochter schimpfen zu dürfen, hast du verloren, als du mich zum zweiten Mal angelogen hast."

Seine dunklen Brauen zogen sich zusammen, ein Ausdruck, bei dem ich als Kind immer die Flucht ergriffen hatte. Es war die letzte Warnung, dass ich gleich eine Grenze überschreiten würde, nach der es für gewöhnlich eine Woche Stubenarrest oder später Zauberverbot gab.

Allerdings überraschte er mich, indem er nur ganz sacht mit den Fingerknöcheln über meine Wange strich. "Du hast recht."

"Wie?" Die Aussage überrumpelte mich so sehr, dass ich ganz vergaß, Abstand zwischen uns zu bringen.

Kurz huschte sein Blick über mich hinweg in die Große Halle, versicherte sich über unser Alleinsein. Die Carrows hockten wie die Geier oben am Lehrertisch und bewachten das Mittagessen, weshalb von ihnen schon einmal keine Gefahr ausging, belauscht zu werden. "Ich habe darin versagt, dich zu beschützen, wie es ein guter Vater tun müsste." Er präzisierte nicht, worauf er anspielte - vielleicht wirklich auf die vage Option hin, ungewollte Zuhörer zu haben. Ich hätte gerne behauptet, in seinen schwarzen Augen wenigstens Reue schimmern zu sehen, doch natürlich war dem nicht so. Möglicherweise war er über all die Jahre einfach geübt darin geworden, keine einzige seiner Emotionen zu offenbaren. "Ich habe darin versagt, vorausschauend genug zu handeln, um dir deinen Leidensweg zu ersparen. Du hättest eine unbeschwerte Schulzeit haben sollen, du hättest -"

"Nur Merlin weiß, was hätte sein können", schnitt ich ihm den Satz ab und schaffte es endlich, mit einem schweren Schlucken von ihm wegzutreten. "Was bringt es uns schon, darüber nach zu sinnieren?"

"Willst du mich ein Stück begleiten?" Nach wie vor gänzlich unbeeindruckt von der Tatsache, mir unbewaffnet gegenüber zu stehen, deutete er mit einer Handbewegung Richtung Schlossportal. "Weg von neugierigen Ohren?"

Eigentlich wollte ich das nicht, nein. Ich könnte gut auf seine Gesellschaft verzichten und hätte mir ein Gespräch mit ihm nicht Aufschub geboten, den Brief lesen zu müssen, hätte ich wohl abgelehnt. Stattdessen steckte ich meine Waffe weg und neigte leicht den Kopf, wie ich es mir vor all den Jahren bei ihm abgeschaut hatte. "Nach dir."

Wir sprachen erst wieder, als wir einige Meter vom Schlossportal aus hinter uns gebracht hatten. Dicke Pfützen pflasterten unseren Weg und es war beinahe unmöglich, auch nur einer von ihnen auszuweichen. Irgendwann gab ich den Traum von trockenen Schuhen auf und achtete nicht länger auf meine Schritte.

Zumal wir wenigstens oben herum trocken blieben. Ein kleiner Schwenk seines Zauberstabs, ein oder zwei ungesagte Zauber des Schulleiters und um uns bildete sich eine Art Blase, durch die weder Wind noch Regen an uns herankamen. Selbst die Lautstärke des Unwetters und das ferne Donnergrollen waren leiser geworden, wie bei einem Radio, dessen Ton man auf ein bloßes Hintergrundgeräusch reduziert hatte.

Diese Geste, so simpel sie auch war, machte mir gerade mit dem Hintergrund des heutigen Morgens und unserem mühsamen Weg hin und zurück von den Gewächshäusern bewusst, wie viel ich noch zu lernen hatte. Ich vergaß in meiner aktuellen Situation einfach immer wieder, dass ich erst siebzehn war. Meine Schullaufbahn war noch nicht fertig, dafür hatte ich aber bereits alle drei Unverzeihlichen ausgesprochen.

"Wirst du mich an deinen Gedanken teilhaben lassen?"

Unknown Potter III - Fight for the greater GoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt