7 | 1. Kapitel

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Wind brauste auf und trieb mir mein Haar aus dem Gesicht, als ich im trüben Abendlicht inmitten des kleinen Dorfes Godric's Hollow in einer kleinen Seitenstraße auftauchte. Eine Sekunde lang musste ich innehalten, in der ich das Übelkeit erregende Gefühl der Enge des Apparierens verdaute und gierig meine Lungen mit der frischen Luft des ausklingenden Sommers füllte.

So sehr ich diese Art der Fortbewegung hasste, ermöglichte sie mir doch ein gewisses Maß an Selbstbestimmung in dieser Welt, wo das Tattoo an meinem linken Arm mich für immer als eine der Bösen kennzeichnen würde. Jeder Auror, jede Person aufseiten des berühmten Harry Potter würde nicht zögern, den Stab gegen mich zu erheben. Dabei wussten sie nicht einmal von meiner schlimmsten Tat.

Den Tod Albus Dumbledores schrieben sie nicht zuletzt dank der Publicity des Tagespropheten dem Mann zu, der jahrelang unter dem Schutz des einst mächtigsten Zauberers der Welt gestanden hatte. Nur die Augenzeugen des Mordes und der engste Kreis des dunklen Lords wussten über die wahren Begebenheiten Bescheid. Nicht der schwarzhaarige Lehrer für Zaubertränke hatte den Schulleiter auf dem Gewissen, sondern ich.

Die Übelkeit war inzwischen abgeklungen, abgelöst von einem flauen Gefühl im Magen. Wenn möglich vermied ich die Erinnerung zurück. Aber es änderte nichts daran, dass mich diese stechend blauen Augen über ihren halbmondförmigen Brillengläsern verfolgten, kaum dass ich die Augen schloss.

Tief durchatmend verdrängte ich den Gedanken, so, wie ich es schon in den vergangenen Wochen getan hatte und begann bedächtig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Kleine Häuser säumten meinen Weg über das unebene Pflaster und warfen das Geräusch meiner Schritte zurück.

Unbehaglich zog ich mir die Kapuze meines Umhangs tiefer ins Gesicht. In diesem Dorf wohnten Zauberer und Muggel Tür an Tür und ich hoffte, dass ich beide Parteien durch meine Erscheinung fernhalten konnte. Ich wollte mit keiner Person etwas zu tun haben, auch so waren meine Sorgen bereits groß genug.

Heute Abend würde der Übergriff auf meinen Bruder stattfinden. Sowohl mein Verlobter als auch mein Ziehvater würden an der Jagd auf ihn teilnehmen, nur mich hatte der schwarze Lord aufs Abstellgleis verschoben. Offiziell mit der Aussage, er wolle mich in der Hinterhand behalten, aber inoffiziell ... Ich war ganz froh darum. Immerhin hatte ich Harry Potter seit jener denkwürdigen Nacht nicht mehr gesehen und offen gestanden zweifelte ich daran, meine Hand gegen ihn erheben zu können.

Den Kopf gesenkt huschte ich über den Dorfplatz, an dem großen Kriegerdenkmal vorbei, welchem ich kaum Beachtung schenkte. Mein Schatten wurde mit jeder verstreichenden Sekunde länger und ich konnte lauten Gesang aus dem an den Platz angrenzenden Pub hören. Die Tür schwang auf, als ich gerade daran vorbeikam. Sie entließ zwei Muggel in die Freiheit, die zweifellos schon zu viel intus hatten, um sich um die Veränderungen und das über ihren Köpfen hängende Damokles-Schwert zu kümmern oder mich näher wahrzunehmen. Taumelnd hielten sie sich aneinander und an ihren Bierkrügen fest.

Hastig wich ich den beiden Männern aus, als mich der Gestank nach abgestandenem Alkohol traf. Ich rümpfte die Nase und hob mir eine Hand vor den Mund. Zu dieser relativ frühen Stunde bereits betrunken. Sie stanken schlimmer als Hippogreifenmist. Bei solchen Beispielen verstand ich, wieso mein Herr sie des Lebens für unwürdig hielt. Für Unkraut, das zum Wohle des Rosenstamms geschnitten und ausgerottet werden musste.

Wie von selbst schlug ich den Weg in eine kleine Seitengasse ein, die ein Schild als Church Lane kennzeichnete. An ihrem Ende auf einer leichten Anhöhe befand sich eine kleine Kirche und, durch eine niedrige Mauer abgegrenzt, das von mir Gesuchte.

Ich beschleunigte meine Schritte und zog den Umhang enger um mich herum, wobei ich eine Hand fest um den Ebenholzstab in meiner Tasche schloss. Längst war er mir so vertraut, wie mein Haselstab es damals gewesen war und mit der rauen Beschaffenheit des Holzes zwischen meinen Fingern fühlte ich mich gleich viel wohler.

Das Tor am Eingang des Friedhofs quietschte in der Stille des frühen Abends und veranlasste mich dazu, einen unruhigen Blick über die Schulter zu werfen. Es war nicht unbedingt die Tatsache, dass ich mich vor etwas fürchtete. Wovor auch? Niemand hier konnte mir ernsthaft Schaden zufügen. Aber was sollte den Besuch einer Todesserin, allseits unter dem Namen Caitlyn Snape bekannt, an einem Grab in Godric's Hollow rechtfertigen?

Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. "Du verhältst dich albern, Mariah", tadelte ich mich selbst. "Der dunkle Lord kennt deinen wahren Namen seit über einem Jahr. Wer sollte dir also damit noch Schaden zufügen können?"

Genau genommen konnte ich das wohl nur selber. Ich konnte bis jetzt nicht sagen, wie ich meine Maske hatte aufrechterhalten können, als er mir meinen Namen ohne weiteres um die Ohren gehauen hatte. Vielleicht waren es die versammelten Todesser gewesen, vor denen ich mein Gesicht nicht verlieren wollte, nicht verlieren durfte. Die Narbe in meinem Gesicht kennzeichnete auch so schon auf schrecklichste Weise die Niederlage, welche ich einmal erlitten hatte. So etwas würde mir kein zweites Mal passieren.

Entschlossen schob ich das Tor endgültig auf und ignorierte das Kreischen der ungeölten Scharniere. Die gepflasterte Straße wurde von einem sandigen Weg abgelöst, der mich durch Unebenheiten zwang, meine Schritte zu verlangsamen. Staub wallte auf, von dem Luftzug meines Umhangs aufgewirbelt und heftete sich auf meine Kleidung, während ich mir meinen Weg zwischen den Grabsteinen entlang suchte.

Ich hatte keine Ahnung, wo genau ihr Grab lag. Flüchtig ließ ich meine Augen über die teilweise verwitterten Namenszüge wandern und biss mir das ein oder andere Mal auf die Unterlippe, wenn ich mir die Daten ansah. So viele Familien waren im Verlauf des ersten Zaubererkriegs ausgelöscht worden. So viele weitere würden im kommenden folgen. Nicht zuletzt dank meines Mitwirkens.

Letztendlich fand ich mein Ziel. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an und erschwerte mir das Schlucken, gleichzeitig hatte ich den Eindruck, man hätte mir einen dieser schweren Grabsteine auf die Brust gelegt. Nur noch schwerlich gelang es mir, meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen, als ich mich langsam vor den weißen Marmorstein hockte und mit beiden Händen den Stoff über meinem Haar zurückschob.

James Potter
*27. März 1960 †31. Oktober 1981
Lily Potter
*30. Januar 1960 †31. Oktober 1981

Die Namen meiner leiblichen Eltern. Sie zu lesen war eher weniger überraschend. Ich hatte gewusst, dass sie mich hier erwarten würden. Doch was mich viel mehr schockierte, war der dritte Name. Direkt darunter eingemeißelt stand:

Mariah E. Potter
*31. Juli 1980 †31. Oktober 1981

Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod.

Rote Strähnen rutschten mir über die Schultern, als ich für einen Moment um Fassung kämpfend den Kopf senkte. Die Lippen fest aufeinandergepresst konnte ich nicht umhin, als mir eine Wahrheit einzugestehen. Vielleicht war der Name hier besser aufgehoben. Wäre ich in der damaligen Halloween-Nacht wirklich hier in diesem kleinen Dorf umgekommen, hätte ich meine Eltern niemals auf diese Art verraten können. Wie enttäuscht sie von mir sein mussten.

Langsam zückte ich meinen Zauberstab und beschrieb mit ihm einen kleinen Bogen, woraufhin ein Bund weißer Lilien auf dem Grab erschien. Ihre Blätter bewegten sich sanft im abkühlenden Abendwind und ich starrte sie an, unfähig, einen Muskel zu rühren.

Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich die Feuchtigkeit auf meinen Wangen kaum wahrnahm. Unbemerkt tropften Tränen von meinem Kinn auf die Erde zu meinen Füßen.

"Lily?"

Unknown Potter III - Fight for the greater GoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt