7 | 70. Kapitel

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Sie ließen mich in der heulenden Hütte zurück. Einige Sekunden noch lauschte ich ihren Schritten hinterher, deren Geräusch selbst der Tarnumhang nicht zu verbergen vermochte. Doch spätestens als sie den Tunnel erreichten, verstummten sie und ich war mit mir, meinen Gedanken und meinem toten Vater allein.

Wieder flossen die Tränen, als ich sein regloses Gesicht anstarrte. Viele Menschen sahen im Tod friedlich aus. Spätestens, wenn man ihnen die Augen schloss, konnte man sich einbilden, sie würden nur schlafen.

Nicht bei ihm.

Das viele Blut ruinierte diesen Eindruck, ließ in blass aussehen wie einen Inferi. Er hatte es zu mir gesagt. Hatte mir gesagt, dass er für mich sterben würde. Unsere Beziehung war phasenweise jedoch so schlecht gewesen, dass ich es nicht mehr für möglich gehalten hatte. Doch wenn Severus Snape eins getan hatte, dann hatte er letztlich sein Wort gehalten. Er war für mich gestorben.

Die Sache mit dem Elderstab jedoch verstand ich nicht. Sicher, ich glaubte Hermine in dem, was sie mir als Motiv des dunklen Lords dargelegt hatte. Allerdings hatte ich mich nie tiefer mit Zauberstäben auseinandergesetzt. Mehr als der Satz "Der Zauberstab sucht sich den Zauberer" fiel mir zu dem Thema beim besten Willen nicht ein.

"Du hättest es mir sicher erklären können, nicht wahr, Vater?", presste ich hervor. Er hätte es nicht verstanden, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Selbst in meinen eigenen Ohren klangen meine Worte undeutlich und abgehackt.

Zornig kniff ich die Lider zusammen, fest genug, um Sterne zu sehen. Es half wenig, die Tränenflut einzudämmen. Unaufhaltsam quollen sie hervor, während mein Atem zittrig und stoßweise kam, meine Brust unkontrolliert bebte.

Dabei musste ich mich zusammenreißen!

Dort draußen jenseits der verrammelten Fenster tobte eine Schlacht. Pause hin oder her, wenn Harry sich nicht stellte, würde das Morden von vorne beginnen.

Der Gedanke an meinen Bruder schärfte meinen Geist. Langsam zählte ich rückwärts, lauschte auf das beständige Ticken einer unsichtbaren Uhr und tat einige sehr bewusste Atemzüge. Der metallische Geruch kehrte mit aller Gewalt zurück und ich gab mein Bestes, die damit einhergehende Übelkeit zurückzudrängen. Mein Magen rebellierte.

Ein letztes Mal drückte ich die Hand meines Vaters. Ungeachtet der Kälte, die er ausstrahlte, beugte ich mich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Der Mangel einer Reaktion ließ meine Tränen abermals fließen, doch ich verbot mir, erneut in Schluchzer auszubrechen.

Ich musste gehen. Musste mich losreißen. Und erneut die Beherrschung zu verlieren, wäre diesem Vorhaben nicht zuträglich.

Mühsam, als wäre ich um Jahre gealtert, kämpfte ich mich auf die Beine. Eine Hand zur Wand ausgestreckt, verharrte ich einige Sekunden, bis mein Kreislauf sich an meine neue Position gewöhnte.

Es tat weh, meinen Vater hier liegen lassen zu müssen. Doch als ich an der Tür verharrte und auf seine leblose Gestalt zurücksah, musste ich mir unwillkürlich eingestehen, dass ich gegenwärtig nichts für ihn tun konnte. Ihn in Würde fortschaffen, wie der dunkle Lord es den Menschen oben im Schloss für ihre Toten offeriert hatte, stand nicht in meiner Macht. Wo hätte ich ihn hinbringen sollen?

Nein, entschied ich. Der dunkle Lord würde in dieser Nacht nicht in die heulende Hütte zurückkehren und als Zuflucht bot sich das vermeintlich verfluchte Haus ebenfalls nicht an. Ich selbst wusste nicht, wo ich gleich hingehen würde; hatte keinen Plan, was ich tun würde. Hier war er sicherer.

***

Wie klamm mein Umhang eigentlich war, wurde mir erst bewusst, als ich aus dem Schatten der peitschenden Weide heraus zurück aufs Schlossgelände trat. Ich war müde, mein Körper ausgelaugt und dementsprechend fühlte sich die warme Frühsommerbrise unverhältnismäßig kalt an.

Fröstelnd schlang ich die Arme um mich.

Es war nach wie vor dunkel. Das Schreien und Rufen war verklungen, die Schlacht war zum Erliegen gekommen. In der Ferne konnte ich einige Gestalten sehen, die von Bündel zu Bündel huschten, offenbar auf der Suche nach Überlebenden.

Wie viel Zeit blieb noch von der Stunde, die der dunkle Lord ihnen gewährt hatte? Wie viel Zeit hatte ich in der heulenden Hütte an der Seite meines Vaters gewacht?

Wehmütig blickte ich hinauf zu den Mauern, die für mich zu einem zweiten Zuhause geworden waren. Einem Zuhause, in dem ich seit den Geschehnissen am gestrigen Abend nicht länger willkommen sein würde. Hermine hatte recht. Das Vernünftigste wäre wohl, mich auf direktem Weg zur Appariergrenze zu begeben. Ich könnte in die Vereinigten Staaten gehen, wo mich keiner kannte. Mit einer neuen Identität beim MACUSA, dem amerikanischen Zaubereiministerium, anfangen und vielleicht bekäme ich irgendwann die Möglichkeit, als Heilerin meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Unser Kind könnte nach Ilvermorny gehen, was zwar nicht Hogwarts wäre, aber –

Eine Gestalt am Waldrand erweckte meine Aufmerksamkeit. Sie war quasi aus dem Nichts erschienen. Als wäre sie appariert ... oder aber als wäre sie zuvor unter einem Tarnumhang verborgen gewesen.

Mein Herz begann zu galoppieren. Ein schrecklich flaues Gefühl, das mir die Brust zusammenschnürte und in mir den Eindruck erweckte, nicht richtig Luft zu bekommen. Ehe ich es verhindern konnte, setzten sich meine Beine in Bewegung.

Umso näher ich dem Wald kam, desto eindrücklicher wurde die Kälte. Ich zitterte immer heftiger, musste die Arme immer fester um mich schlingen und doch vermochte ich dem zunehmend trostlosen Gefühl nichts entgegen zu setzen.

Dementoren.

Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie dort waren. Sie glitten zwischen den Bäumen dahin, nahmen jedoch weder von mir noch von der Gestalt unmittelbar vor ihnen Notiz.

Inzwischen war ich mir beinahe sicher, dass es sich bei ihr um meinen Bruder handelte. Ich traute mich nicht, näher zu gehen, wollte nicht, dass er mich eventuell wahrnahm. Daher hielt ich mich abseits und schob die Kapuze über mein verräterisches rotes Haar. Seine Schultern hingen herab, während er einfach nur ins Leere starrte. Eine dumpfe Ahnung beschlich mich, dass er mich nicht einmal bemerkt hätte, wenn ich direkt vor ihm stünde. Er schien in seiner vollkommen eigenen Welt.

"Tut es weh?"

Die Stimme klang gespenstig, beinahe ängstlich. Ihr Klang bestätigte mir aber gleichzeitig meine Vermutung. Sie war unverkennbar.

Doch mit wem sprach er?

Obwohl es schwer war, gegen das von den Dementoren verursachte beklemmende Gefühl der Hoffnungslosigkeit anzukommen, kniff ich die Augen zusammen und versuchte, in den Schatten um ihn herum etwas zu erkennen.

Da war nichts. Dem ungeachtet schien er ganz eindeutig inne zu halten und auf eine Antwort zu lauschen. Als er wieder sprach, fuhr ich zusammen. "Ich wollte nicht, dass ihr sterbt", sagte er. Die Worte klangen, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Als wäre es nicht seine bewusste Entscheidung gewesen, sie zu formulieren. "Keiner von euch. Es tut mir leid -"

Der Wald war vollkommen still. Sehr zu meinem Leidwesen. Er bewahrte mich nicht davor, auch nur ein einziges Wort meines Bruders zu hören.

"- so kurz nachdem dein Sohn geboren war ... Remus, es tut mir leid -"

Angestrengt schluckte ich gegen den Kloß an, der sich erneut in meiner Kehle zu bilden begann. Meine Nase kribbelte. Eigentlich eine Überraschung, dass ich nach der letzten Nacht überhaupt noch Tränen übrig hatte. Ich verkniff sie mir und krampfte die Finger so fest um den Zauberstab in meiner Tasche, bis sie von der Anspannung schmerzten. Es half. Wenigstens etwas.

"Ihr werdet bei mir bleiben?", fragte Harry und allmählich begann ich mich zu fragen, ob dies wohl seine Form der Einstimmung auf das war, was ihn im Herzen des Waldes erwarten würde.

Stellte er sich vor, wie es war, mit den Toten zu sprechen? Wen er sich wohl vorstellte? Unsere Eltern mit Sicherheit. Sirius vermutlich. Remus, wenn ich daraus schloss, was er zuvor gesagt hatte. Ich verkniff mir ein wehmütiges Seufzen.

"Sie werden euch nicht sehen können?" Es kam keine Antwort. Wenigstens nicht für mich hörbar. Und doch schien er sie zu erhalten, denn er straffte sich. Schien seinen Entschluss zu fassen. "Bleib in meiner Nähe", flüsterte er und wenngleich er mich nicht meinte, wusste er schließlich nichts von meiner Anwesenheit, fühlte ich mich angesprochen.

Unknown Potter III - Fight for the greater GoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt