7 | 31. Kapitel

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Die Laternen waren bereits angegangen und tauchten die Straße, auf der wir auskamen, in ihr warmes Licht. Die Sonne stand tief am Himmel, zog die Schatten lang und es konnte sich kaum mehr um dreißig Minuten handeln, bis sie am Horizont versunken sein würde.

Im ersten Moment kam mir nichts hiervon vertraut vor, während ich tief ein und ausatmend die letzten Überreste der Reiseübelkeit wegatmete. Eine dicke Schneedecke bedeckte den Boden, der durch die vielen Fußabdrücke an manchen Stellen glatt und rutschig geworden war. Es war offenkundig, dass wir nicht länger in London waren. Ich bildete mir sogar ein, das Thermometer müsste im Vergleich zur Winkelgasse um ein paar Grad gefallen sein.

»Wo sind wir?« Noch während ich die Frage stellte, gab ich mir selbst die Antwort.

Es war gar nicht so lange her, dass ich selbst hier gewesen war. Damals hatte ich der Umgebung kaum Beachtung geschenkt und hatte die breite Hauptstraße, auf der wir gerade standen, weitestgehend gemieden. Wie ich alles und jeden gemieden hatte, der mich vielleicht hätte erkennen können. Ich starrte auf die Haustüren, die schneebeladenen Dächer und die Windfänge, ehe ich mich ganz langsam zu Draco umdrehte und meine Frage wiederholte. Ich wollte eine Bestätigung haben.

»Ich wusste nicht, ob du weißt, wo deine Eltern begraben liegen«, sagte er, klang dabei beinahe ein wenig verlegen. Seine Züge gaben nichts preis, waren zu einer Maske des Gleichmuts erstarrt, die mir nur umso mehr verriet, wie sehr er sich vor meiner Reaktion fürchtete. »Vielleicht war es eine miese Idee, wir können -«

»Nein«, unterbrach ich ihn, ohne dabei die Hand zu beachten, die er mir entgegenstreckte. »Nein«, murmelte ich noch einmal und wandte mich zum Gehen. »Es war eine gute Idee.«

»Du klingst nicht überzeugt.« Der Schnee knirschte unter seinen Sohlen, als er eiligen Schrittes zu mir aufholte und mir ganz der Gentleman seinen Arm anbot. Ich hakte mich ein. »Wenn du lieber allein -«

»Nein.« Seine Wärme an meiner Seite stärkte mir den Rücken und zum ersten Mal traute ich mich, mich wirklich umzusehen. Bei meinem letzten Besuch hatte ich mir eingeredet, keine Zeit zu haben – obwohl es vielleicht im Nachhinein besser gewesen wäre, einen anderen Moment für meine Rückkehr auszuwählen. Der Gedanke an den Cruciatus bereitete mir eine Gänsehaut und ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne.

Draco bemerkte es und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mich musterte. »Alles in Ordnung?«

Ich nickte.

Der Grund, wieso ich bei meinem Besuch Mitte der Sommerferien den Blick gesenkt gehalten hatte, war vielleicht genau der gewesen, der mich jetzt langsamer werden ließ. Wenn Draco abermals gefragt hätte, hätte ich es, feige wie ich manchmal war, auf den rutschigen Boden geschoben. In Wahrheit lag es an dem Gebilde, das am Ende der Gasse aufragte, die seitlich abzweigte. Wie magisch zog es meinen Blick an und übte dabei eine beinahe erschreckende Faszination auf mich aus. Statt dem Verlauf der Straße und den übrigen Fußspuren zu folgen, schlugen meine Füße unweigerlich eine andere Richtung ein. Obwohl alles in mir schrie und bettelte, ich möge es mir nicht ansehen.

Zu spät.

Ich konnte es bereits sehen. Der Fidelius-Zauber musste mit James und Lily untergegangen sein. Sirius hatte mir davon erzählt. Der Zauber, der sie – uns vorm dunklen Lord verborgen gehalten hätte, wenn Pettigrew es nicht ausgeplappert hätte. Die Hecke war wild gewuchert in den sechzehn Jahren, seit mein Bruder und ich aus den Trümmern geholt worden sein mussten, die in dem hüfthohen Gras verstreut lagen. Zum größten Teil stand das Haus noch, wenn auch über und über mit dunklem Efeu und Schnee bedeckt. Doch die rechte Seite der oberen Etage war weggesprengt worden. Dort musste der Todesfluch fehlgeschlagen haben. Dort musste das Zimmer sein, das ich in Severus Snapes Erinnerung gesehen hatte, wo er erst über meiner Mutter weinte, ehe er mich für elf lange Jahre von meinem Bruder trennte. Für länger, wenn man es genau nahm.

Unknown Potter III - Fight for the greater GoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt