Kapitel 11

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Kapitel 11

Ihre Hoffnung, einfach durch die Wände zu gehen, war zerstört, als sie auf dem Weg zur Hinrichtung geführt wurden. Nicht einmal wenige Stunden nach dem versuchten Diebstahl waren sie verurteilt worden. Die Zeit zwischen der Festnahme und dem Weg zum Scheiterhaufen hatten sie in einem Kerker verbracht. Dieser war zu ihrer Überraschung magisch gesichert gewesen, sodass eine Flucht unmöglich gewesen war.

Obwohl Isanami nervös wurde, hatte sie doch mehr Angst um Travis, als um sich. Ihr würde das Feuer nicht schaden, doch der Werwolf würde wohl sterben. Bis sie herausfanden, wer sie war, würde es zu spät sein.

Isanami blickte nach oben in die Krone des Mutterbaums. Dass man hier einen riesigen Scheiterhaufen errichtet hatte, war wirklich lachhaft und extrem gefährlich.

Langsam begann Isanami, Wörter in einer alten, vergessenen Sprache anzustimmen. Sie wusste, dass jeder sie verstehen und doch nicht übersetzen konnte. Ein einfaches Lied, das in den Ohren aller Anwesenden klang und nur einen einzigen Zweck erfüllte.

Oh Regen fall herab.

Tropfe, tropfe auf das Grün.

Ihre Stimme glitt durch die Menschen und schlängelte sich durch das Holz des Mutterbaums.

Oh Regen hör mein Lied.

Falle, falle herab.

Ein Tropfen fiel, während sie dem Scheiterhaufen immer näher kamen, doch Isanami ließ sich davon nicht beirren.

Sing mein Lied mit deiner Stimme.

Sing mein Lied mit deiner Kraft.

Ein weiterer Tropfen folgte und es gesellten sich immer mehr hinzu, während sich der Baum beugte, als würde er sich selbst gegen das Feuer wehren wollen.

Oh Regen falle falle.

Komm zu mir herab.

Der Regen wurde zu einem unaufhörlichen Strom, der das Feuer löschte. Die Elfen starrten hinab, denn keiner von ihnen konnte sich erklären, woher dieser Regen kam. Es war, als würde er Mutterbaum weinen.

Es war unmöglich, dass es hier drinnen regnete. Neben Isanami und Travis, der seinen Blick starr gerade aus gehalten hatte, liefen die Bibliothekarin und die Wachen. Während der Zeit im Kerker hatte Travis nur wenig gesprochen, doch er hatte Isanami klar gemacht, dass sie keine Schuld trug.

Kaum waren sie am Scheiterhaufen angekommen, rauchte es lediglich noch. An Feuer war nicht mehr zu denken. Isanami hörte, wie die Elfen tuschelten und sie hörte Worte wie „eine Ewigkeit dauern, bis alles trocken ist".

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass die Elfe, die eigentlich an der ganzen Sache schuld war, sehr nachdenklich wirkte. Von wem der Befehl wirklich gekommen war, die beiden hinrichten zu lassen, war fast klar. „Wir verschieben die Hinrichtung!", sagte die Bibliothekarin laut, damit alle Anwesenden ihre Entscheidung mithörten.

„Sehr viel mehr bleibt ihnen nicht übrig", murmelte Isanami, die leise schnaubte.

Von Travis kam keine Reaktion, obwohl sie geglaubt hatte, dass er etwas sagen würde. Oder zumindest die Augenbrauen heben würde.

„Bringt sie zurück in den Kerker. Wir müssen alles trocknen", sagte die Elfe gedankenverloren mit einem Blick auf Isanami.

Diese atmete schwer, versuchte aber, sich ihre Erschöpfung nicht anmerken zu lassen.

Nicht gerade sanft wurden die beiden zurück in den Kerker gebracht. Der Weg zum Scheiterhaufen war schon anstrengend gewesen, doch als sie den Kerker erreichten, war sie völlig fertig.

Unter WölfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt