Kapitel 38

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Kapitel 38

Es war ein schmerzhafter Prozess, das wusste sie.

Einen Augenblick lang blieben die Einhörner noch stehen, bevor sie umdrehten und verschwanden. „Wann ist die nächste Vollmondnacht?", fragte Ciira leise, während sie in die Dunkelheit starrte.

Isanami hob den Blick in den Himmel. „In zwei Tagen", sagte sie und versuchte weiterhin, ihre Gefühle zu verstecken. Diese drehten im Moment gerade durch.

Sie freute sich, die Möglichkeit zu bekommen, Travis wiederzubeleben. Und trotzdem war sie traurig, dass ein Einhorn geopfert werden musste. Ihr wäre es am liebsten gewesen, dass es gar nicht soweit gekommen wäre. In Gedanken ließ sie die Zeit, die sie mit Travis verbracht hatte, Revue passieren.

Sie vermisste seine Nähe so sehr, dass ihr die Erinnerungen unendliche Schmerzen verursachten. Wie hätte sie die Ewigkeit über ertragen können, wenn die Einhörner abgelehnt hätten?

Natürlich könnte sie einen Mann finden, doch durch ihre Macht und ihr Aussehen, war das nicht so einfach. Travis war der Erste und Einzige gewesen, der sie mochte, wie sie war. Obwohl sie nicht sehr viel Zeit mit ihm verbracht hatte, fühlte sie sich zu ihm hingezogen.

Und was würde aus seinem Rudel werden? Würde seine Schwester die Führung übernehmen?

Darüber wollte Isanami nicht nachdenken, denn die Nachricht von Travis Tod würde hoffentlich niemals dort ankommen. Nicht, wenn er bald wieder lebte.

Die zwei Tage musste sie noch durchhalten, auch wenn ihr klar war, dass sie jede einzelne Sekunde mit Travis vermisste. Dieser lag als Wolf in dem Kristallsarg. So ruhig und beschützt, als würde er nur schlafen.

Ihr Herz wurde schwer und die beiden Tage, die sie zum Warten gezwungen war, waren grausam.

Doch endlich kam der Tag des Vollmonds und sie machte sich mit Travis und ohne die beiden anderen, auf den Weg zum See.

Ciira und Finn durften nicht anwesend sein, das wusste sie. Nur dem Toten und die Person, die das Horn abtrennte, war es erlaubt, am See zu sein. Sie hatte den beiden versprochen, bald mit ihm zurückzukehren.

Auf dem Weg zum See des Lebens, sprach Riri auf einmal. „Wird es wirklich funktionieren?", fragte sie und klang hoffnungsvoll. Anscheinend vermisste sie Travis ebenso.

„Ja, das wird es", versicherte Isanami und wünsche sich, auch Riri zu helfen, doch für sie war es zu spät.

Ob sie überhaupt wieder ins Leben zurückfinden konnte, war nicht klar. „Darf ich dabei sein oder muss ich wegbleiben? Ich gehöre immerhin zu Travis."

„Du bist ein Geist. Du kannst sein, wo immer du hinkannst", meinte Isanami, denn die Toten konnten nur an dem Ort bleiben, an dem sie gebunden waren. Es war immerhin gar nicht möglich, dass sie sich entfernte.

Damit schien Riri zufrieden. Sie flog neben Isanami her und seufzte traurig. „Ich vermisse es, ihn zu ärgern", bemerkte sie traurig.

„Ich vermisse ihn auch", murmelte Isanami, die Travis in seinem kristallenen Sarg neben sich schweben hatte.

Der Pfad, der zum See des Lebens führte, war breit genug dafür. Und auch gut bei Dunkelheit zu laufen. Der Mondschein, der ihnen den Weg wies, tauchte die Landschaft in ein silberblaues Licht. Je näher sie dem See kam, desto heller wurde es. Das war das Besondere am See des Lebens. Er leuchtete im Vollmondschein, als würde die Sonne scheinen.

Kleine Glühwürmchen flogen umher und verschwanden, sobald Isanami die Lichtung betrat. Nahe des Sees standen bereits einige Einhörner und sahen ihr entgegen. Der Altar, der in Form einer Rose aufgebaut war, würde dazu dienen, das Horn zu Staub zu zermahlen. Dort war eine kleine Vertiefung angebracht, sodass es mit Erdmagie zerrieben werden konnte.

Unter WölfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt