„Kann ich dir irgendwie helfen?", frage ich an meine beste Freundin Kayla gewandt, die mich von oben bis unten mustert, als hätte ich heute nur einen Kartoffelsack an. Aus ihren geschmackvoll geschminkten Augen kann ich dabei die Enttäuschung beinahe schon ablesen, während wir uns vom Taxi durch die Stadt fahren lassen. „Ich habe mir mehr Mühe mit meinem Outfit gegeben, als ich es sonst tue.", antworte ich auf ihre Gedanken, die sie gar nicht erst laut auszusprechen braucht. „Ich habe rein gar nichts gesagt.", flötet sie, als wären ihre Blicke nicht ebenso offensichtlich wie neonfarbene Leuchtpfeile. Ich sehe wieder nach vorne und versuche mich draußen zu orientieren. Unser Taxi-Fahrer ist zum Glück einer von der schweigsamen Sorte und scheint sich lieber auf das Navigationsgerät in seinem Auto zu konzentrieren, als auf die zwei jungen Frauen auf seiner Rückbank. Ich weiß nicht, wohin genau wir fahren, doch Kayla hatte mich unbedingt zu einer Party schleppen wollen, auf der ich niemanden kennen werde. Meine beste Freundin ist in allen Punkten extrovertiert, in denen ich mich zurückziehe und ohne ihre Bemühungen mich zu sozialisieren wäre ich vermutlich schon längst mit meinem Bett verwachsen. Darüber klinge ich zwar äußerst zynisch, jedoch bin ich ihr tief in meinem Herzen dankbar dafür, dass sie so eine Engelsgeduld mit mir hat und mich liebt, egal ob ich mit ihr auf diese Partys gehe oder mich lieber in meinem Ein-Zimmer-Studenten-Zimmer verkrieche.
Unsere gegengesetzten Persönlichkeiten erkennt man wie so häufig auch heute auf den ersten Blick. Kayla hatte sich in einen hautengen, schwarzen Rollkragen-Pullover gezwängt und dazu einen dunkelgrünen Samtminirock kombiniert. Ihre hohen Schuhe lassen ihre langen Beine beinahe endlos erscheinen und ihre blonden Haare sind perfekt geglättet. „Musst du nicht," erwidere ich nach einer Weile des Schweigens. „Ich weiß, dass Jeans für dich nicht als Partyoutfit gelten und alles andere an mir eigentlich auch nicht." Ich trage meine Haare zu einem schnellen Dutt geknotet, dazu ein schwarzes lockeres Top mit goldenen Knöpfen an der Vorderseite und eine helle Jeans. Meine weißen Sneakers waren schon mal sauberer und ich hatte meine Brille nicht mal gegen Kontaktlinsen eingetauscht. Da ich niemandem sonderlich auffallen will und es auch in einem hübschen Kleid nicht tun würde, mache ich mir für gewöhnlich gar nicht erst die Mühe eines Versuches. Ich bin der Typ Frau, der neben Kayla nicht einen müden Blick abbekommt. Das stört mich nicht, doch dann muss ich mich auch nicht stundenlang in verschiedene Outfits quetschen, in denen ich mich am Ende ohnehin nicht wohl fühlen würde. Außerdem will ich keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich bin die unsichtbare Freundin neben Kayla und in dieser Rolle fühle ich mich seit Jahren sehr wohl. Das bin ich und ich bin es gerne. „Es ist mir egal was du trägst. Hauptsache du fühlst dich wohl und bist bei mir. Wir hatten schon lange keinen Mädelsabend mehr, außerhalb meiner Wohnung. Ich bin froh dich hier zu haben.", versichert Kayla mir und sieht kurz auf ihr Handy.
„Da fällt mir ein: Ich weiß immer noch nicht, auf was für eine Party wir gehen, ich konnte mich nicht vorbereiten!", rechtfertige ich mich, während das Navi vor uns ansagt, dass unsere Ankunft kurz bevor steht. Kayla hatte mich eine Stunde zuvor angerufen und gesagt, ich sollte sie zu einer Party begleiten. Normalerweise lehne ich solche Einladungen stets ab, doch ausgerechnet heute hatte sie ihren Bettel-Modus aktiviert und die beste Freundinnen-Karte gespielt. Und als solche kann ich es natürlich nicht verantworten, sie allein zu einer angesagten Party gehen zu lassen. Außerdem inspirieren mich Ausflüge in die richtige Welt sehr. Zwischen der Uni, dem Musikmachen und meinem Apartment halte ich mich stets in der gleichen Bubble auf. Die gleichen Menschen, die gleichen Wege, die gleichen Einflüsse. Da tut etwas Kontakt zu den Leuten für die ich die Musik mache ab und an ganz gut.
„Das siehst du gleich. Und dir ist ohnehin egal wer auf dieser Party ist, du hättest dich nicht anders angezogen sondern notfalls abgesagt, wenn du dich nicht wohl fühlst." Ich sehe ausweichend aus dem Fenster vor dem die Stadt vorbeirauscht, denn Kayla hat wie so oft natürlich recht. Menschenansammlungen, gepaart mit zu viel Alkohol geben mir im Allgemeinen ein ganz schlechtes Gefühl und in letzter Sekunde überlege ich mir dann doch häufig, dass ich nicht mit möchte. Doch heute nicht. Heute traue ich mich in Kaylas Begleitung nach draußen. „Das wird toll! Ich verspreche dir, das ist keine dieser Uni-Keller-Feiern in denen sich Studenten nur die Birne zulöten bis sie den eigenen Namen vergessen. Das hier ist eine angesagte In-Party auf der stilvoll an Cocktails genippt und viel zu laut Musik gespielt wird, so dass man sich kaum unterhalten kann.", versucht meine beste Freundin nochmal mir das alles schmackhaft zu machen, als das Taxi vor unserem Ziel zum Halten kommt. Während wir aussteigen, gebe ich mir die größte Mühe mein Gesicht zu entspannen und nicht so zerknirscht auszusehen, wie ich mich fühle. Normalerweise versuche ich in Kaylas Anwesenheit nicht an die Arbeit zu denken. Doch heute liegen Zuhause eine Menge unfertige Texte und Lieder herum, die ich vervollständigen sollte. Ich produziere die Musik, zu der Frauen wie sie am Wochenende tanzen. Ich tanze nicht mit ihnen. Doch da mit die Inspiration über die viele Arbeit ausgegangen ist, überrasche ich mich selbst mit etwas mehr Offenheit als sonst.
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Diamanten-Rausch
RomanceWas passiert, wenn ein introvertierter und sensibler Mensch in die harte und egoistische Musikbranche gerät, in der kaum Platz für jemanden scheint, der seine eigene Stärke scheinbar noch nicht gefunden hat? So geht es der jungen Studentin Mel, die...