Ich habe Kayla mit großer Freude den Beifahrersitz überlassen, damit sie neben Tyrna sitzen kann. Die unbeobachteten Momente auf dem Rücksitz verbringe ich damit, mich in aller Ruhe zu schämen. Matteo Rush hatte mich fast getragen, nachdem ich vor ihm zusammengeklappt war, wie ein aufmerksamkeitsheischendes Mädchen. Doch das bin ich nicht. Ich bin eine Kämpfernatur. Ihm das jetzt noch so deutlich zu zeigen wie bisher, wird ab jetzt schwierig. Ich hätte die Trigger früher spüren sollen. Ich hätte gehen und Kayla nachdem wir drin waren gleich alleine lassen sollen. Tyrna hätte ihr Gesellschaft leisten können, sie hat mich gar nicht gebraucht. Warum war ich geblieben? Wieso hatte ich mir ein Konzert von Matteo Rush angesehen, in dem Wissen dass meine Psyche all das nicht gut vertragen würde?
„Hey." Eine Hand streift mein Bein und ich zucke zusammen. Kayla hat ihre Türe schon leicht geöffnet und sieht mich mit einem Lächeln auf den Lippen an. „Soll ich noch mit zu dir, oder kommst du allein klar?" Ich schüttle den Kopf. „Nein, mir geht's schon wieder gut. Tut mir leid, dass ich dir den Abend kaputt gemacht habe." Kayla winkt ab und deutet auf Tyrna. „Machst du Witze? Ich habe mit euch beiden getanzt und gesehen, wie dich ein Mann quasi auf Händen getragen hat. Das wäre mir das Geld für die Karte doch glatt wert gewesen." Sie klopft mir noch einmal liebevoll auf mein Knie, dann verabschiedet sie sich von Tyrna. Was ich davon jedoch sehe, lässt mir den Mund offenstehen. Kaylas Lippen nähern sich seinen, doch er weicht gerade noch so aus, so dass sie seine Wange trifft. Das Manöver kenne ich normalerweise andersherum. Die Typen reisen sich sonst um meine beste Freundin. Auch sie merkt, dass sie nicht so ankommt, wie es ihr Plan gewesen war, doch scheint es sich nicht anmerken lassen zu wollen. Sie zwinkert mir noch einmal zu, dann schwingt sie ihre langen Beine nach draußen und verschwindet in der Nacht. „Kannst du bitte noch warten, bis sie drin ist?", frage ich besorgt, während mein Blick sich an meine Freundin heftet. „Klar. Magst du dich vielleicht auf den Beifahrersitz setzen? Ich weiß, dass mein Auto nicht dafür ausgelegt ist, jemanden da hinten sitzen zu haben." Er deutet auf die, zugegeben etwas beengte, Sitzbank, auf der ich mich befinde. „Ach, schon gut. Es ist sind nur 10 Minuten zu mir Nachhause." Tyrna scheint noch nicht zufrieden zu sein und mein Blick ist noch immer auf Kayla gerichtet, die vor der Türe eine Ewigkeit braucht, um ihren Schlüssel herauszufischen. „Ich habe hier Sitzheizung."
Ein Argument, dass mich dann doch letzten Endes überzeugte. Ich steige aus dem warmen Wagen in die kalte Dezemberluft, umrunde das Auto und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. Kayla ist mittlerweile in ihre Wohnanlage verschwunden und ich bedeute Tyrna, dass er losfahren kann.
Wir schweigen eine Weile. Es ist keine unangenehme Stille, es scheint lediglich als würden wir nur beide unseren Gedanken nachhängen, zumindest so lange, bis Tyrna wenige Minuten vor meiner Wohnung plötzlich das Schweigen bricht: „Du hast Matteo heute einen ganz schönen Schock versetzt." Ich sehe betont gelangweilt aus dem Fenster, als würde mich das angesprochene Thema nichts angehen. Dabei ist es mir noch immer so unangenehm. „Ich habe mich schon mehrmals bei ihm entschuldigt. Ich hoffe, das wird zwischen uns nicht zur Gewohnheit." Wenn ich mich für heute auch noch bei ihm revanchieren will, muss ich mich langsam an den Lieferanten der Artischocken wenden. „Oh nein, das war gar nicht so gemeint. Ich habe mich nur gewundert, weil er noch nie nach einem Konzert in den VIP Bereich gekommen ist. Und normalerweise hätte er auch einfach nach den Sanitätern oder der Security wegen dir schicken lassen. Er ist nicht der Typ, der sich so einen Kopf um andere macht, wenn es nicht seine engsten Freunde sind." Nachdenklich über Tyrnas Worte beiße ich mir auf die Lippe und beschließe nichts dazu zu sagen. Was soll ich denn auch dazu sagen? Ich kenne Matteo ja nicht gerade gut. Im Grunde weiß ich gar nichts über ihn, außer dass ich mich mit seinem Job auskenne.
„Ich verstehe nicht, was da zwischen euch gelaufen ist. Im Restaurant hast du ihn doch nicht mal leiden können.", resümiert Tyrna. Oh nein. Ich würde mir von ihm nicht unter meine Deckung sehen lassen, solange ich nicht mal selbst weiß, was da lauern könnte. Darum schlage ich lieber zurück: „Also ich verstehe auch einiges nicht. Wenn du schon so bei mir nachbohrst, dann hacke ich mal bei Kayla und dir ein: Sie ist meine beste Freundin und hat mir nichts von euch erzählt, außer dass du sie Nachhause gefahren hast. Läuft da was zwischen euch?" Tyrnas Gesicht wirkt plötzlich ertappt, als hätte ich eine Schwachstelle entdeckt, die besser verborgen geblieben wäre. „Also da ist nichts zwischen Kayla und mir. Wirklich." Er biegt um die letzte Straße und ich bedeute ihm vor dem unbeleuchteten Laboquiera zu halten. „Ich wohne nur ein paar Schritte davon weg. Den Rest laufe ich." Tyrna scheint nicht erfreut, widerspricht jedoch nicht, sondern fährt in eine freie Parklücke vor dem Restaurant. Als er den Motor ausschaltet, ist es plötzlich still zwischen uns. Unangenehm still.
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Diamanten-Rausch
RomanceWas passiert, wenn ein introvertierter und sensibler Mensch in die harte und egoistische Musikbranche gerät, in der kaum Platz für jemanden scheint, der seine eigene Stärke scheinbar noch nicht gefunden hat? So geht es der jungen Studentin Mel, die...