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Als ich vor der Türe stehe, durch die ich vor ein paar Wochen schon einmal marschiert bin, knete ich mir nervös die Hände. Was mache ich hier eigentlich? Marco hatte mich vor dem Label abgesetzt und war, nur sehr widerwillig, wieder gefahren. Ich hatte ihm versichert, dass ich schon Nachhause kommen würde. Matteo könnte mich ja fahren. Aber in Wahrheit glaube ich nicht, dass Matteo wirklich hier ist. Er ist sicher mit Daisy Davis in diesem Club feiern und ich mache mich hier absolut lächerlich. Oder ich mache mich zur Idiotin, weil ich hier stehe und im Grunde kontrolliere, ob er wirklich noch arbeitet. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Schließlich drücke ich die Klinke der Milchglastüre auf und trete in das Label. Im Eingangsbereich ist nur noch matte Beleuchtung eingeschalten und der Tresen hinter dem letztes Mal die junge Sekretärin gesessen hatte, ist leer. Zögerlich trete ich von der Lounge in den Flur, der zu Matteos Büro führt. Es erleichtert mich zu wissen, dass offensichtlich noch jemand hier ist. Und wer, außer dem Chef selbst, sollte so spät noch arbeiten? Meine Schritte beschleunige ich nun wieder, weil sich in mir die Hoffnung auftut, dass sich zwischen Matteo und mir gleich alles klärt. Ich werde ihm sein Shirt wieder geben und ihm sagen, wie nett es heute war, dass er Marco angerufen hatte. Und wie ich mich für mein Verhalten schäme.

Doch ich schaffe es gar nicht ganz bis zu seiner Türe, denn gerade als ich sie öffnen will, wird sie schon aufgerissen. Ich bleibe stockend stehen. Eine Frau taumelt heraus und zieht einen beigen Mantel über ihr Kleid, welches pechschwarz und hauteng an ihrem Körper liegt. Es ist kurz, kürzer als ich jemals wagen würde eines zu tragen und hat einen Ausschnitt, der tief blicken lässt. Die Haare verbergen ihr Gesicht einen Moment, doch als sie aufsieht, habe ich keinen Zweifel mehr: Ich stehe zum zweiten Mal an diesem Tag, meiner Mutter gegenüber.

„Melinda, Schätzchen. Du auch hier?" Ein Lächeln zieht sich über ihr Gesicht, welches perfekt geschminkt und zurechtgemacht ist. Man sieht ihr ihr Alter so kaum noch an. Würde man uns so sehen, würde man uns sicher für Schwestern halten, wenn man die Verwandtschaft überhaupt erkennen würde. Der einzige Segen den mir die Geburt durch sie damals eingebracht hatte war, dass ich meiner Mutter nicht all zu ähnlich sehe. Ich habe nicht ihren Körperbau und auch unseres Gesichtes gleicht sich nicht sonderlich. Ursprünglich hatten wir die gleichen Haare, doch über die Jahre hatte sie ihre vollkommen kaputtfrisiert.

Jetzt sehe ich mich meiner Vergangenheit schon wieder gegenüber und der Schock sitzt so tief, dass ich kein Wort herausbekomme. Die Achterbahn der Gefühle, die ich heute durchmache, macht es mir unmöglich, auf die Ressourcen zurückzugreifen, die ich mir im Jugendheim antrainiert habe. Zuerst die Angst beim Anblick meiner Mutter, dann das warme Gefühl von Matteo und schließlich noch die Harmonie, die Marco mir mit seinem Ausflug geboten hatte. Und nun wiederholt sich alles: die Hoffnung Matteo hier allein zu treffen wird enttäuscht, stattdessen erwische ich ihn mit meiner Mutter.

Ich sehe sie fassungslos an und wünsche mir so sehr, dass ich träume. Dass all das nur eine Halluzination meines Unterbewusstseins ist und ich gleich aufwache und feststelle, dass ich für den Ausflug mit Matteo zu spät dran bin. Oder dass ich im Bus neben Marco eingenickt bin. Irgendwas, nur nicht diese Realität.

Meine Mutter schnürt sich schnell ihren Mantel zu, um das freizügige Kleid darunter zu verbergen. Ihre Haare sind unordentlich und die Kleidung muss sie sich noch zurechtzupfen, in meinen Augen ist eindeutig, dass sie hier Geschäftsverhandlungen auf ihre ganz eigene Art geführt hat.

„Ich glaube, der hat schon alles was er will, mein Schatz. Jemand wie du wird ihn nicht zu mehr überzeugen können." Ihre Worte gleiten wie Gift in meine Seele. Ich spüre wie all die Enttäuschung und der Schmerz aus meiner Kindheit mich wieder übermannt, wie eine Flutwelle, die mich unter Wasser drückt. Die Gewissheit, dass ich nie so gut, so schön und so selbstbewusst sein werde, wie meine Mutter. Dass ich ihr niemals genug bin. Und offenbar auch für Matteo nicht. Selbst er bevorzugt sie.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt