Mein Handy klingelt. Schon ein paar Sekunden lang. Doch ich kann es in Kaylas Chaos einfach nicht finden. „Verdammt noch mal, wo ist es?", murmle ich wütend, während ich einige ihrer Klamotten auf den Boden werfe. Ich hatte mein Smartphone neben mich gelegt als ich begonnen habe an dem Ärmel eines neuen Pullovers zu stricken, doch Kayla hat sich gleichzeitig für ihr Date umgezogen und es unter ihren abgelehnten Kleidungsstücken verschüttet. Endlich taste ich nach dem Gegenstand und drücke noch während ich es hervorziehe auf das grüne Telefon.
„Ja?", melde ich mich panisch, als ich Jonathan Namen auf meinem Display sehe. „Mel, er hat angebissen. Wie ein ausgehungerter Fisch nach einem Wurm." Ich überlege einen Moment, ob mein Chef mich veräppeln will, denn ich habe keine Ahnung, von was er spricht. „Reden wir von dem Parfüm-Label? Von denen hatten wir doch schon länger eine Zusage, oder?" Panisch klappe ich meinen Laptop auf und sehe nach, ob Jonathan mir irgendwelche eMails zukommen hat lassen, die ich nicht gesehen habe. Normalerweise verpasse ich nie eine Nachricht von meinem Boss, das ist untypisch für mich.
„Nein Mel, ich rede von Matteo Rush. Du hast doch gesagt, es geht klar, wenn ich deine Probetracks bei seinem Label vorspiele. Er hat die Hook nicht mal zwei Sekunden gehört und du warst schon engagiert." Es fühlt sich an, als weiche alle Hitze aus meinem Körper und Schmetterlinge explodieren in meinem Magen. Jonathan Begeisterung klingt so überzeugend, dass ich ihm glatt glaube, dass die Idee, die er mir vorgeschlagen hatte, eine Gute gewesen war. Beinahe bin ich zu erstarrt um zu reden, doch mit großer Mühe finde ich meine Stimme wieder: „Sein Label, oder Matteo selbst?", hacke ich verunsichert nach und zwirble eine meiner Haarsträhnen zwischen meinen Fingern hin und her.
„Matteo ist sein Label, Mel, das weißt du doch. Er lässt niemand anderen über seine Musik entscheiden. Ich fühle mich schon geschmeichelt, dass ich ihm Tipps geben darf." Mein Mund wird plötzlich trocken, als mir klar wird, was Jonathan da sagt. Ich werde Matteo wiedersehen. „Ich... Jonathan... ich weiß nicht, ob ich so professionell sein kann.. wenn... ich...", ich schäme mich für mein Zögern. Diesmal hat es nichts mit meinem Stottern zu tun, es liegt schlicht daran, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll.
„Matteo hat mir eine eMail geschrieben, in der er verspricht, dass du dir über ihn keine Sorgen machen musst. Ich weiß nicht was zwischen euch vorgefallen ist und ich will es um ehrlich zu sein auch gar nicht wissen. Die Entscheidung liegt ganz allein bei dir. Er macht ein Angebot, du kannst ablehnen oder annehmen, wie bei jedem anderen Auftrag auch. Aber ich denke Cash wird dir den Kopf abreisen, wenn du diesen Deal ausschlägst. Und ich würde die nächsten Monate einen schlecht gelaunten Matteo aushalten müssen und das ist in der Produktionsphase die Hölle. Aber kein Druck." Ich höre den Witz aus Jonathans Stimme heraus und würde gerne mitlachen. Doch er hat ja keine Ahnung um was es hier geht. Mein Chef versichert mir noch, dass er mir die Vertragsdetails per eMail zukommen lässt und verabschiedet sich dann. Ich lasse mich seufzend gegen das Sofa fallen und versuche das Chaos in mir zu begreifen, welches Jonathan mit seinem Anruf eben bei mir hinterlassen hat. Ich starre auf den unordentlichen Sofatisch vor mir, auf dem sich Zeitschriften, eine Kerze und Essensreste von gestern Abend türmen. So chaotisch wie der Tisch aussieht, fühlt sich mein Gehirn nun auch an. Die verschiedensten Informationen wirbeln durcheinander, ohne dass ich sie einordnen kann.
„Mel, ich gehe jetzt los, findest du der Lippenstift ist zu grell?" Kaylas Stimme dringt nur gedämpft zu mir. Matteo... ich werde ihn wieder sehen. Allein bei dem Gedanken daran spüre ich ein Kribbeln in meinem Magen und ein Prickeln unter meiner Haut. Ein Treffen würde wieder Kontrollverlust bedeuten. Würde ich das überstehen? Matteo stellte ja bekanntlich immer so einiges mit meinem Inneren an.
„Hallo? Mel?" Perfekt manikürte Fingernägel schnipsen vor meinem Gesicht herum. Ich zucke zusammen. „Hm?" Ich sehe zu meiner besten Freundin und Mitbewohnerin auf und sie schüttelt leicht den Kopf. „In welcher Welt bist du gerade? Techno? Klassik? Oder doch Rockmusik?" Ihr Ton klingt amüsiert, als wäre ich ein kleines Kind, welches sie gerade aus seinen Tagträumen reist. „Nein... eher Rap.", stammle ich und blinzle einige Male, ehe ich wieder auf die Strickarbeit in meinen Händen starre. Wie sollte ich ihm nur gegenübertreten? Wie sollte ich mit dem umgehen, was zwischen uns passiert ist? Warum sollten wir... „Ich tue jetzt mal so, als würde ich nicht innerlich ausrasten." Kayla sieht mich unter ihrem neuen Pony hindurch neckend an. „Rap?", hackt sie nochmal nach und ich kann es ihr nicht verdenken. Seit der Sache mit Matteo hatte ich schließlich einen großen Bogen um die Sache gemacht, zumindest beruflich. Ich würde mir selbst in die Tasche lügen, wenn ich behaupten würde, nie Rap gehört oder mich über die Branche auf dem Laufenden gehalten zu haben. „Ja, Rap.", gebe ich deshalb resignierend zu. Rap. Drei Buchstaben, die so viel bedeuten. Es ist nicht nur eine Musikrichtung, ein Genere. Es bedeutet mich meine berufliche Zukunft oder mein Versagen auf voller Strecke. Und das liegt ab jetzt in Matteos Hand. Wenn ich bei seinem Projekt versagen würde, bräuchte ich mich beim Rest der Rap-Szene nicht mehr blicken lassen.
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Diamanten-Rausch
RomanceWas passiert, wenn ein introvertierter und sensibler Mensch in die harte und egoistische Musikbranche gerät, in der kaum Platz für jemanden scheint, der seine eigene Stärke scheinbar noch nicht gefunden hat? So geht es der jungen Studentin Mel, die...