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Vier Stunden später sitze ich im Bus ans andere Ende der Stadt. Mein Unterleib findet das alles andere als witzig und ich schlage die Beine fester übereinander. Das Ziehen kann ich ignorieren. Sogar das Bedürfnisse aufs Klo zu müssen. Doch meine Aufregung nicht. Mein Magen schlägt Purzelbäume, während ich in dem fast leeren Bus aus dem Fenster sehe. Die Regentropfen scheinen sich ein Wettrennen darauf zu liefern, während sie über mein Spiegelbild gleiten. Ich hasse es, dass ich mich extra hübsch gemacht habe. Nicht zu viel, denn ich will nicht, dass er sich darauf etwas einbildet. Doch in meinem Hoodie habe ich nicht gewagt in die Höhle des Löwen hineinzumarschieren. Ich trage eine enge dunkle Jeans, dazu einen weinroten Pulli, der eine Schulter frei lässt. Meine Haare liegen in offenen Wellen um mein Gesicht und meine Sneakers habe ich versucht vom gröbsten Schmutz zu befreien. Im Spiegel sehe ich meine großen Augen, die mit Make Up sicher beeindruckender wirken würden. Doch damit komme ich nicht gut zurecht. Um mich etwas unauffälliger zu fühlen habe ich wieder meine große Mütze angezogen, die das Anlehnen an der kühlen Scheibe erträglicher macht. Bei jeder Welle im Boden ruckelt der Bus und ich verkrampfe mich. Blasenentzündungen müssen eine Erfindung des Teufels sein. Und ich weiß nicht, ob mein Ausflug diese Qual überhaupt wert ist.

An der nächsten Haltestelle steige ich aus und kralle meine Fingernägel mich in die Riemen meines alten Rucksacks, während ich nach dem hohen Gebäude Ausschau halte. Es sieht nicht sehr beeindruckend aus, nur ein weiteres graues Hochhaus in der schmutzigen Skyline meiner Stadt. Doch anders als bei anderen Gebäuden, bekomme ich schwitzige Hände, während ich darauf zulaufe. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich den schwarzen Wagen neben dem Eingang parken sehe. Bevor ich es mir anders überlegen kann, laufe ich mit zügigen Schritten auf die Türe zu und finde mich in einer modernen Eingangshalle wieder. Mein Gang ist sicherer als ich mich fühle, während ich auf den Aufzug zuhalte. Hoffentlich verrenne ich mich mit dieser Aktion nicht vollkommen. Am Ende ist er gar nicht da oder, was noch schlimmer wäre, will mich nicht sehen. Eine Zurückweisung hätte ich nach meinem Verhalten gestern schließlich verdient.

Die Eisentüren vor mir öffnen sich mit einem Pling und ich trete in den engen Aufzug. Mein Blick sucht die verschiedenen Stockwerke ab und ich lese an drei von ihnen den Namen Rush Music. Obwohl ich vermute, dass am untersten der Empfang ist, drücke ich auf das oberste Stockwerk. Matteo postet gerne eine weite Aussicht von seinem Büro, oder ein Foto von sich davor. Daher hoffe ich, dass das nicht nur ein Konferenzraum ist in dem er das Abzieht. Gerade weil ich ihn nun etwas kennen gelernt habe, bin ich mir immer noch mehr als bewusst, dass Rapper wie er um sich herum eine vollkommene Scheinwelt errichten. Denn obwohl er einen teuren Wagen fährt, hat er sicher nicht oft Zeit ihn auszufahren. Meistens verbringen Musiker wie er ihre Zeit in stickigen Tonstudios oder langweiligen Besprechungen. Eine Pause oder eine adrenalingeladene Tour sind für die meisten der Himmel auf Erden. Und für einen Labelboss wie Matteo, sind die Termine sicher noch viel enger geschnürt. Während andere Rapper ein Management, Marketingfirmen und ein Label für sich arbeiten lassen, hat er das alles selbst gegründet und führt es hier in seinem Unternehmen. Lediglich eine Agentur für die Tourneen hat er, wenn man dem Eintrag auf Wikipedia glauben möchte.

Als der Aufzug ganz oben ankommt, steige ich mit unsicherem Schritt aus. Vor mir baut sich eine Milchglastüre auf, in der mit dekadenter Protzigkeit goldene Lettern eingelassen sind. „Matteo Rush, hat also ein goldenes Türschild.", murmle ich und schüttle den Kopf. Mit einigem Schwung öffne ich die Türe, die ein beachtliches Gewicht aufweist und finde mich vor einem mattschwarzen Tresen wieder. In der Ecke stehen lederne Sessel und eine glänzende Kaffeemaschine. „Guten Tag, kann ich ihnen behilflich sein?" Eine schlanke junge Frau sitzt hinter dem Tresen und sieht mich prüfend an. Unsicher richte ich meine Brille auf der Nase zurecht und beginne an meinem Plan zu zweifeln. Aus irgendeinem Grund hatte ich die Sekretärin oder Empfangsdame vollkommen vergessen. Alle großen Labels haben so etwas, damit keine x-beliebigen Leute, so wie ich, hier hereinspazieren können.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt