„Was macht ihr denn schon hier?" Ich schrecke vom Mischpult hoch, auf dem ich wohl etwas eingenickt sein musste. Die Türe des Tonstudios hatte sich eben geöffnet und Al Rapone tritt ein, dicht gefolgt von einem genervt wirkenden Jonathan. „Sie sitzt auf meinem Platz.", bemerkt er sogleich korrekt. Matteo sitzt auf dem Sofa und sieht ebenso müde aus, wie ich mich fühle. Schnell reibe ich mir einmal übers Gesicht, um eventuelle Speichelfäden oder sonstige Spuren einer durchzechten Nacht zu beseitigen. Die dunklen Augenringe, die ich sicherlich habe, kann ich zwar nicht wegwischen, doch die rühren von einer Müdigkeit, die ich mit nichts außer einer ordentlichen Portion Schlaf vertreiben könnte. Und außer der bleiernen Schwere in meinen Gliedern habe ich noch ein sehr starkes Gefühl: Hunger. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie spät, oder besser gesagt, früh, es schon ist. In einem Tonstudio ohne Fenster, da verfliegt die Zeit einfach sehr unbemerkt.
„Warum schon? Wir sind immer noch hier.", sagt Matteo ungerührt und seine Worte klingen motivierter, als ich ihm zugetraut hatte. Dabei fällt mir auf, dass ich eine ganze Nacht mit ihm zusammen war. Eine Nacht mit Matteo Rush. Wow, das hatte ich mir irgendwie andres vorgestellt. Wir hatten die ganze Zeit nur über Matteos Texten gegrübelt und an ein paar Beats gebastelt. Es war keine aufregende Sache und doch eine der schönsten Nächte, die ich jemals mit jemandem verbracht hatte.
„Seid ihr verrückt? Sag bitte nicht, ihr habt hier irgendwas Ekelhaftes im Studio angestellt. Ich will hier noch arbeiten!", beschwert Jonathan sich. Matteo öffnet den Mund, doch weil ich schon weiß, dass nur Mist rauskommen wird, schalte ich mich ein. „Nein, wir haben nur gearbeitet." Der Produzent sieht mich verwundert an, als würde es ihn überraschen, dass ich überhaupt eine Stimme habe.
„Na dann zeigt mal, was ihr so gemacht habt. Doch hoffentlich nicht für dein Album, oder? Sonst musst du es umbenennen in irgendwas Weiblicheres.", kommentiert Al Rapone, doch ich höre ihm deutlich an, dass es ein Scherz ist. Er klatscht eben Matteo ab und lässt sich neben ihn aufs Sofa fallen. „Nein muss ich nicht. Mel hat ehrlich gesagt mehr Eier in der Hose, als die meisten Männer im Deutschrap, metaphorisch gesehen. Das wird ein banger Album, gerade wegen ihrer Note." Das Blut schießt mir schon wieder in den Kopf, doch statt mich schüchtern abzuwenden hebe ich das Kinn und sehe Matteo direkt an. „Also auch praktisch gesehen, meine Eierstöcke haben viel mehr zu bieten als eure Eier." Al Rapone lacht ein, wenn überhaupt möglich, noch dunkleres Lachen als Matteo und klingt dabei eher wie ein von allen Kindern geliebter Onkel und nicht wie der Godfather der Rap-Szene. „Okay, Spaß bei Seite: Die Dame hat also an meinen Knöpfen rumgeschraubt, ja? Dann lasst mal bitte das Ergebnis hören." Jonathan lässt sich auf einen Stuhl neben mich an das Pult fallen und sieht mich interessiert an. Offenbar ignoriert er die Witze der Jungs auch lieber. Die Eigenschaft macht ihn mir gleich noch sympathischer.
„Hier, den habe ich komplett gemacht und den hier, den hast du ja schon bearbeitet, den habe ich nur etwas abgeändert." Ich stelle den Track auf den Lautsprechern an, so dass ihn jeder hören kann. Es macht mich sehr nervös, hier neben zwei erfahrenen Rappern und ihrem Produzenten zu sitzen und ihnen zu zeigen, wie ich an den Tracks herumgepfuscht habe. Schließlich habe ich das nicht professionell gelernt. Es sind nur zwei simple Tracks, die Matteo geschrieben hat. Meine Version dafür ist nicht besser als die von Jonathan, sie ist nur anders. Ich wollte die Tracks mehr auf Mattos Stimme fokussieren, nicht zu sehr auf Verspieltheit außenherum. „Eine Hook würde ich hier vielleicht noch nehmen, jedoch würde ich die nicht von einer Frau singen lassen. Vielleicht eine stark gepinchte Männerstimme.", erkläre ich Jonathan dazu, während die zwei anderen Männer beginnen sich hinter uns leise zu unterhalten. Der Produzent neben mir dreht noch ein paar Knöpfe, so dass der Beat etwas softer klingt und eingängiger ist. Er nickt langsam zur Musik, während ich mich zwinge nicht zu Matteo zu sehen. Ich bin froh, dass es zwischen uns jetzt so entspannt ist. Wir zwei haben wirklich nur Musik gemacht, auch wenn ich ab und an Probleme hatte mich bei seinem Anblick nur auf die Stimme zu konzentrieren. Seine Hände auf meiner Haut hatten mich zwar kurzzeitig zu anderen Gedanken hingerissen, doch es war nur ein Funken, nur eine Vision was in einem anderen Universum zwischen uns sein könnte. Und unsere Freundschaft läuft so gut an, dass ich sie sicher nicht mit ein paar Tagträumen zerstören möchte, die ohnehin nur zwischen dunklen Studiowänden existieren. Außerdem bin ich froh, dass Matteo mich kein einziges Mal gebeten hatte, für ihn zu singen. Und ich bin froh darum, denn ich weiß, dass ich heute Nacht eingeknickt wäre. Ich habe ihn nicht verurteilt für das was er mir gebeichtet hat und ich habe keinen seiner Texte kommentiert. Und ich hätte für ihn gesungen. Was macht dieser Mann nur mit mir?
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Diamanten-Rausch
RomanceWas passiert, wenn ein introvertierter und sensibler Mensch in die harte und egoistische Musikbranche gerät, in der kaum Platz für jemanden scheint, der seine eigene Stärke scheinbar noch nicht gefunden hat? So geht es der jungen Studentin Mel, die...