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Ich nestle nervös an meiner Tasche herum, als ich auf das Klingelschild drücke. Jonathan Sitz befindet sich nicht weit von meinem Studentenheim weg, mitten in der Innenstadt. Das Bürogebäude, in dem er sich niedergelassen hat, sieht von außen sehr schlicht und unauffällig aus, was mich beruhigt. Ein Label, welches so groß ist wie das von Rush-Musik oder mein eigenes, hätte mich eher abgeschreckt. Der Türsummer erklingt und ich trete ein. Der Flur ist schlicht, jedoch sauber und ich finde gleich am Eingang eine Tafel mit allen Firmen, die hier ihren Sitz haben. Sobald ich mich orientiert habe, steige ich in den Aufzug in den dritten Stock. Ich hätte auch die Treppe nehmen können, doch das Letzte, was ich möchte ist außer Atem bei meinem neuen Chef anzutreten.

Ich checke mein Aussehen noch einmal im Spiegel. Meine blonden Haare habe ich zu einem hohen Zopf nach hinten gebunden und dazu Jeans, Sneakers und einen schlichten Pulli kombiniert. Musikproduzenten sollten sich stets im Hintergrund halten und dafür bin ich nicht nur gut gekleidet, sondern auch perfekt geeignet. Ich habe gerade noch Zeit zu checken, ob meine Brille sauber ist, als der Aufzug mit einem Pling ins Stocken gerät. Die Türen gleiten auf und vor mir wird eine weitere Türe aufgehalten, von einem jungen Mann.

„Hey, na das ist aber eine Überraschung, dich wieder zu sehen." Jonathan lächelt mich offen an und winkt mich mit sich. Seine Haare hat er, wie auch letztes Mal nach hinten gegelt und ansonsten trägt er nur Schwarz. Ich mag seinen schlichten Stil, der sich optisch an seine unaufgeregte Persönlichkeit anzupassen scheint. „Darf ich dir etwas zu Trinken anbieten? Ich habe Wasser, Kaffee oder Tee?" Zu meiner Überraschung landen wir nicht in einem großen Büro, sondern in einer Art Ein-Zimmer-Wohnung. Nur dass statt dem Bett ein voll eingerichtetes Büro hier aufgebaut wurde. Und im Gegensatz zu der kühlen Atmosphäre die ich erwartet hatte, empfängt mich hier sofort eine Wärme, die ich aus Büros bisher nicht kenne. „Wasser, danke.", bitte ich bescheiden und nehme auf dem Sofa Platz, welches mir von Jonathan angeboten wird. Er selbst lässt sich wenig später ebenfalls darauf fallen und sieht mich auffordernd an. „Also, was treibt dich hier her? Bist du bei Matteo im Studio auf den Geschmack gekommen?" Ich höre in seiner Stimme dass er keinen Scherz macht, sondern mich ganz ernst nimmt. Dennoch beginnen meine Hände etwas zu schwitzen und ich suche nach den richtigen Worten um ihm meine Idee näher zu bringen. Zuhause vor meinem Spiegel klang das alles etwas leichter.

„So kann man das auch ausdrücken.", beginne ich. „Also du hast meinem Label eine Anfrage geschickt, dass du darüber nachdenkst ein Praktikum zu vergeben und da dachte ich, ich bewerbe mich mal." In Jonathan Gesicht erkenne ich ein Schmunzeln. Er nimmt mich nicht ernst. Wie auch? Er kennt mich als kleines, schüchternes Mädchen an der Seite des großen Matteo Rush. Doch ich habe es satt mich hinter Matteo zu verstecken. Oder meinen Eltern. Oder meiner Geschichte. Nicht mal mehr hinter meinem Diamanten. „Ich meine es ernst. Ich arbeite schon eine Weile mit Cashs Label zusammen, ich denke sein Name ist dir ein Begriff. Außerdem habe ich bereits einige erfolgreiche Songs abgemischt oder auf den Tracks gesungen, ich kann alle vorweisen. Und wenn das noch nicht ausreicht, um in die engere Auswahl zu kommen, dann..." Ich stocke einen Moment. So viele Jahre habe ich mit aller Gewalt versucht, mein Geheimnis zu hüten. All die Jahre habe ich mich lieber hinter dem Schein des Diamanten versteckt, als er selbst zu sein. Und das, obwohl ich keinen Grund dazu hatte. „... dann hoffe ich mein Künstlername sorgt dafür. Man nennt mich in der Szene auch den Diamanten."

Nach meinen Worten nickt der große Musikproduzent eine kurze Weile, als verarbeite er die ganzen Informationen, die ich ihm hier gerade eröffne. Er nippt kurz an seinem Getränk, ich schätze es ist Kaffee, ehe sich mir wieder ganz zuwendet. „Du bist der Diamant?", hackt er nach. Ich nicke bestätigend.

„Du hast Songs für Sharoon, Fahid und andere große Namen produziert und eingesungen?" Wieder nicke ich. „Und du verweigerst Matteo seit geraumer Zeit eine Zusammenarbeit, für die er wesentlich weiter gegangen ist, als es normalerweise seine Art ist, richtig?" Nun schlucke ich. Einen von Jonathan größten Kunden zu vergraulen ist mit Sicherheit kein besonders guter Start bei seiner Firma. „Ja das stimmt. Aber als Musikproduzentin muss man sich auch entscheiden können, welche Jobs man annimmt und welche nicht.", verteidige ich mich schnell. Schließlich soll es nicht so klingen, als wäre ich nicht bereit alles zu tun, um im Musikbusiness weiter zu kommen. Ich will es, weil ich gut darin bin und nicht, weil ich sonst nichts kann oder scharf auf Anerkennung bin. Das sollte meine bisherige Anonymität garantiert haben.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt