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Der Schnee fällt noch immer lautlos auf die Straße um mich herum und ich mache keine Anstalten mich zu bewegen. Weder vor noch zurück. Doch mir ist klar, dass ich nicht ewig einfach warten kann. Weder auf gute Angebote noch darauf, dass jemand diese Entscheidung hier für mich trifft. Matteo hatte mir gerade eine ganze Menge Dinge gegeben, über die ich lieber in Ruhe nachdenken würde. Doch ich hatte die letzten Wochen genug Zeit, um mir Gedanken über Matteo zu machen. Und auch wenn ich mir wünschte, es wäre anders, so war er doch ständig in meinem Kopf. Wenn Kayla über Rapper gesprochen hat, habe ich sie insgeheim mit Matteo verglichen. Wenn ich draußen unterwegs war, habe ich Ausschau nach seinen Plakaten gehalten. Ab und an hat sich sogar mein Herzschlag beschleunigt, wenn ich ein schwarzes Auto gesehen habe, welches ein ähnliches Model wie sein Mercedes war. Es waren Kleinigkeiten gewesen, doch allesamt teilten mir mit, was ich innerlich schon längst weiß: Matteo ist Teil meines Lebens geworden. Und auch wenn wir die größten Gegensätze bilden, die man sich nur vorstellen kann, so bin ich doch neugierig, wie lange wir es miteinander aushalten könnten. Nur so aus Interesse.

Ohne dass noch länger darüber nachdenke, lege ich schließlich die Hand auf die goldene Türklinke. Sie lässt sich leicht öffnen, doch ihr Gewicht kommt mir unendlich schwer vor. Der Gang, den ich jetzt mache, bedeutet so viel mehr als die bloßen Schritte auf dem Teppichboden.

Der Empfangsraum des Studios ist leer und abgedunkelt, doch ich kenne die Stufen hier herunter in und auswendig. Die Musik dringt aus einer der hinteren Türen, die von dem Raum hier abgehen. Sanftes Licht fällt in den Vorraum, durch den ich mich blind taste. Eine raue Stimme klingt aus dem Studio, der ich wie in Trance folge.

„Das Leben wie im Zugfenster, zieht zu schnell vorbei
Menschen gehen, Menschen kommen rein, wenige bleiben
Ich bereu es Kleines, nein ich bin nicht gut gewesen
Komm nicht zurück, ich hab kein besseres Leben
Es tut mir Leid, dass ich nicht immer ehrlich war.

Doch damit lebe ich jetzt jeden Tag."

Es sind gefühlvolle Zeilen, die Matteo da rappt. Und sie haben etwas an sich, dass mich noch weicher werden lässt, als ich ohnehin schon bin. Ich lehne mich neben die geöffnete Türe und lausche seiner Stimme noch einen Moment. Mir gefällt nicht alles was er rappt, doch seine Stimme, die mag ich. Sie klingt dunkel und rau, wie sein Lachen. Jetzt ist sie so ernst und verbittert, beinahe tiefgründig. Diese Stimme könnte mir verbotene Dinge ins Ohr flüstern, ebenso wie mich in den Schlaf zu lesen. Sie gibt mir ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.

Ich schiebe mich durch den Spalt ins Studio und erblicke zwei Männer. Beide kenne ich bereits. Das Gesicht des einen kommt mir aus der Branche bekannt vor. Er ist ein anerkannter Produzent, der gerade am Pult sitzt und konzentriert die Regler hin und her schiebt.

„Hey, kann man dir helfen?" Die Stimme des anderen Mannes ist streng und vorsichtig. Er beäugt mich einen Moment von oben bis unten und ich muss bei seinem Anblick dagegen ankämpfen ihn mit offenem Mund anzustarren. Sein Gesicht kennt wohl jeder Mensch, der den Begriff Deutschrap schon mal gehört hat. „Ich bin mit Matteo hier.", bringe ich die Worte hervor, die in meinen Ohren so unfassbar unwirklich klingen. Noch vor einer Stunde hätte ich nicht gedacht mit Matteo Rush jemals irgendwo freiwillig hin zu gehen. Und nun stehe ich hier. Auge in Auge mit Al Rapone, dem Mogul des Deutschraps. Er trägt absurderweise einen edlen Anzug, gepaart mit einem Hut und einer Zigarre in der Hand, die bereits zur Hälfte geraucht scheint. Der Mann hat mehr Platten verkauft als Matteo und Sharoon zusammen. Offiziell hat er sich aus dem operativen Geschäft der Produktion zurückgezogen und tritt nur noch sehr selten auf Features oder Events auf, die seinem Image dienen. Er wiederum kennt mich natürlich nicht, woher auch.

„Matteo? Das glaube ich eher nicht." Sein Blick fährt so abschätzig über mich, dass mir übel wird. Mir ist klar, dass Matteo Rush sich niemals mit Frauen wie mir abgibt. Doch das spielt für ihn offensichtlich keine Rolle. Denn er mag mich. Und nichts anderes zählt. Warum sollte es mich dann kümmern, was ein dahergelaufener Rapper von mir denkt? Wenn ich Matteo nun monatelang die kalte Schulter zeigen konnte, schaffe ich es bei diesem Mafioso hier ebenso.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt