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Als ich spät am Abend endlich Zuhause bin, will ich nichts anderes mehr als eine heiße Dusche und ein Bett. Doch schon als ich die Türe aufsperre, weiß ich, dass daraus nichts wird. Ich höre merkwürdige Geräusche aus dem Wohnzimmer und bin kurz irritiert, als ich in den Raum trete und meine beste Freundin mit einem Buch in der einen und einem Taschentuch in der anderen Hand sehe. Sie schnieft und sieht aus, als würde sie schon eine ganze weile weinen. „Alles gut bei dir?", frage ich und sie sieht erschrocken auf. Sie war also wiedermal so vertieft, dass sie die Türe nicht gehört hatte. „Nein, gar nichts ist okay. Er hat sie verlassen, weil sie eine Affäre mit einem anderen Gott hatte, aber das war schon lange bevor sie sich gekannt haben. Und jetzt stirbt er vielleicht, ohne dass sie sich je gesagt haben, dass sie sich lieben und...", Kayla schnieft und schneuzt einmal geräuschvoll in das Taschentuch. „Bücherschmerzt?", frage ich, während ich mich müde neben sie auf unser Sofa fallen lasse. Sie nickt und schiebt einen alten Kassenzettel zwischen die Seiten ihres Buches. Ich schwöre, diese Frau hat unzählige Lesezeichen und doch findet sie jedes Mal irgendetwas, dass sie stattdessen nutzt, um sich ihren Lesefortschritt zu merken.

Kayla wischt über ihre Augen und blinzelt mich dann an. „Du siehst müde aus.", stellt sie dann fest und ich nicke. „Ja, das bin ich auch." Wir schweigen einen Moment, beide in Gedanken versunken, während Kayla sich langsam von ihrem Buch-Drama zu erholen scheint. Sie lehnt den Kopf an meine Schulter atmet noch mal zitternd ein. Bücher sind für sie das, was für mich die Musik ist. Wir flüchten hinein wenn die Außenwelt zu viel ist. Wie sehr wünschte ich mir jetzt in einen Song hineindriften zu können. Doch das habe ich, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, eigentlich schon den ganzen Tag getan. Jetzt ist es an der Zeit der Realität in die Augen zu sehen, am besten mit meiner besten Freundin zusammen.

„Also ich habe gestern Nacht nichts gesagt, als ich Nachhause gekommen bin und eindeutige Geräusche aus deinem Zimmer gehört habe. Ich habe auch nicht viel gesagt, als der heißeste Rapper Deutschlands wenige Stunden später mit eindeutiger Gestik dein Zimmer verlassen hat. Und ich habe nichts gesagt, als du heute Morgen mit roten Augen und dennoch lächelnd aus eben jenem Zimmer gewankt bist." Kayla zieht die Beine an und lässt ihre Aufzählung einfach so stehen.

„Ja, du bist wirklich eine zurückhaltende, dezente Freundin.", gebe ich zu und angle mir eine Handvoll Chips aus der Schale vor uns. Ich brauche dringend etwas Essbares. Wenn ich weiter so mit Matteo arbeite, muss ich mir Essen mit ins Studio nehmen, denn hätte Jonathan uns nicht ab und an, an Grundbedürfnisse wie frische Luft und Trinken erinnert, wären wir heute wohl gar nicht mehr aus dem Studio gegangen. Mit Matteo befinde ich mich einfach jedes Mal in einer realitätsfernen Blase, die mit meinem eigentlichen Leben rein gar nichts gemein hat. Aber es ist schön, der Realität ab und an zu entfliehen. Ich weiß nur nicht, ob es gesund ist, das zu oft zu tun.

„Ja, das kann ich manchmal sein.", bestätigt Kayla mich, während sie mir einen Chip aus der Hand mopst. „Und habe ich darum nicht irgendwas verdient? So eine Art Erklärung vielleicht? Ein kleines Freundinnen-Update?" Ich höre in ihrer Stimme wahrlich wie scharf sie auf Details ist, sich jedoch versucht zurück zu halten. Ich stöhne, während ich aufstehe und die zwei Meter zur Küche überbrücke. Ich kann das nicht ohne Essen. Ich öffne den Kühlschrank und halte Ausschau nach etwas Essbarem. Reste von spanischem Reis fallen mir ins Auge und ich muss an den Mann denken, der ihn mir vorgestern noch vorbeigebracht hatte. „Sagen wir mal so, wir müssen in Zukunft unsere Tapas wo anders essen gehen.", wage ich mich vor, während ich den kalten Reis herausnehme und auf einen Teller stelle. „Nicht dein Ernst!", kommentiert Kayla, während ich den Teller in die Mikrowelle stelle. Sie lehnt sich über die Sofalehne und sieht mich aufmerksam an.

„Doch. Und Matteo wirst du hier so schnell nicht wieder sehen. Sieh mich bitte nicht so an..." Die Augen meiner Freundin können die Anklage die darin liegt nicht verbergen. Ich weiß, dass sie eigentlich mein Bestes will. Aber einen ihrer Lieblingskünstler hier in unserem Wohnzimmer zu sehen, das hätte sie sicherlich glücklich gemacht. „Ich arbeite mit ihm zusammen und dabei belassen wir es auch. Ich habe nicht vor, das..." ich deute in die Richtung meines Schlafzimmers, „... noch einmal zu wiederholen." Und das meine ich ernst, auch wenn Kayla es mir laut ihrem Blick kein bisschen abkauft. „War er nicht gut?", hackt sie nach und ich zucke die Schultern. Ich wusste, dass sie bohren würde. Und ich weiß, dass es mir besser gehen wird, wenn ich all das einmal abgeladen habe.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt