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Einige Stunden später erwache ich stöhnend. Egal wer an meine Türe hämmert. Er oder sie hat schon viel zu früh am Morgen eine ganze Menge Energie. Es ist Montag und ich habe eigentlich noch ganze drei Stunden bis zu meiner ersten Vorlesung. Ich schäle mich in meiner Jogginghose aus dem Bett, in das ich erst vor einer Stunde gekrochen bin. Der Track hatte mich bis 8 Uhr wachgehalten, doch er war es wert. Die Kreativität kommt immer nachts bei mir, daher bin ich es gewohnt ab und an eine Nacht durch zu machen. Doch jetzt fühle ich mich gerädert und bin nicht in der Laune dazu mit irgendwem zu sprechen. Doch da es erneut an die Türe klopft, habe ich wohl keine Wahl.

Ich öffne meine Türe einen Spalt weit, denn eigentlich kommt nie jemand spontan bei mir vorbei. Mal abgesehen von den Momenten in denen einer meiner Nachbarn ein Paket für mich annimmt oder ich mir Essen liefern lasse, stört mich niemand hier. Als ich eine ungeduldig wirkende Kayla vor mir stehen sehe, bin ich deshalb umso überraschter und plötzlich hellwach. „Was machst du denn hier?", frage ich, noch reichlich vom Traumland beeinflusst und nicht gerade herzlich. „Ich überfalle dich! Du überlegst es dir sonst noch anders und erzählst mir nicht, was das gestern in Wirklichkeit war. Wenn ich dir Zeit dazu lasse, dann denkst du dir bis zur ersten Vorlesung eine Geschichte aus, die von der Wahrheit ganz weit entfernt ist. Nicht mehr so spannend und peinlich, sondern ganz langweilig." Sie schiebt sich an mir vorbei in mein Zimmer, als hätte ich sie eingeladen. Mir bleibt nur noch hinter ihr die Türe wieder zu schließen.

„Aha. Und hier lebst du also immer noch, ja?" Bei dem Anblick meines kleinen Reiches rümpft Kayla die Nase. Und ich kann es ihr wirklich nicht verübeln. In meinem Bett liegt meine technische Ausrüstung, die Nudeln von gestern stehen noch auf meinem Nachttisch und der Boden ist dekoriert mit allerlei Kleidungsstücken, die nicht gerade frisch von gestern sind. „Ja.", antworte ich daher nur knapp, denn eine Erklärung für das Chaos habe ich nicht parat. Die Scham in mir ist zu laut, um mich da raus zu reden. „Ich habe Frühstück mitgebracht." Kayla hält eine Tüte zwischen uns hoch, aus der es herrlich nach Zimt duftet. „Ist das Bestechungsgebäck?", frage ich kritisch nach, während wir uns beide auf mein Bett fallen lassen. „Neeeiiinnn.", antwortet Kayla mit einer Stimme, die nur so vor Sarkasmus trieft. „Wenn du mir nicht die Wahrheit von dir und Matteo erzählst, dann esse ich alle vier allein. Und wir wissen beide, dass mir von zu vielen Zimtschnecken unheimlich schlecht wird." Kaylas bunte Fingernägel öffnen ganz langsam die braune Tüte und allein bei dem Geruch der mir entgegenströmt, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Der herbe Geschmack von Zimt, zusammen mit dem fluffigen Teig und der sämigen Zuckerglasur obendrauf, liegen mit schon beim Gedanken daran auf der Zunge.

Doch das mit Matteo zu erklären ist kompliziert. Zuerst will ich ihr also widersprechen. Ich will das von gestern als eine ganz und gar außer Kontrolle geratene Situation darlegen. Ein Moment der nach außen hin vielleicht vertraut und echt ausgesehen hatte, es jedoch nicht war. Ich will ihr sagen dass Matteo und ich uns nicht kennen und ihr das von gestern irgendwie als Einbildung verkaufen. Doch das kann ich nicht. Bis zu der Party damals hätte ich mir all das selbst noch einreden können. Ich hätte mir eine Fantasiewelt aufbauen können, in der Matteo nur mit mir spielt, wie die Katze mit der Maus. Um das zu bekommen, was er am Ende will: meine Stimme. Doch seit unseren vielen kleinen Begegnungen wird dieser Mann immer mehr Teil meines Lebens und das, obwohl ich mir doch so viel Mühe gebe, das zu vermeiden.

„Okay, also du willst die Wahrheit?" Kayla richtet sich auf, anscheinend gewappnet für alles was nun kommt. „Absolut.", versichert sie mir und nickt dabei aufmerksam, wie eine sensationsgeile Reporterin, die sich vorgenommen hat, jedes noch so kleine Detail aus mir herauszusaugen. „Und du versprichst, dass du nicht ausflippst?" Ich verschränke meine Beine zum Schneidersitz, um es bequemer zu haben und sehe sie kritisch an. „Nein, kein Bisschen. Ich werde ganz sicher ausflippen. Also, raus jetzt mit der Sprache." Meine Finger fummeln noch einen Moment hilfesuchend am Stoff meiner Hose herum, doch schließlich weiß ich, dass es nichts bringt, sie länger hinzuhalten. Das hier ist Kayla. Meine beste Freundin seit der 5. Klasse. Und sie weiß schon so viel von mir. Ein einfacher Job wird sie nicht von mir wegtreiben.

Diamanten-RauschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt