Gleichgültigkeit

69 3 0
                                    

,,Ist wirklich alles in Ordnung?'', fragte Sam nun zum dritten mal.

Er saß auf ihrer Couch und beobachtete Alice dabei wie sie den Kuchen anschnitt. Schokoladenkuchen, ihre Lieblingssorte. Äußerlich schien er ziemlich gefasst, doch in seinem Inneren tobte ein gewaltiger Sturm, der jedes Mal erzitterte, wenn er auch nur einen kurzen Blick auf ihr Handgelenk warf. Der Therapeut hatte nie wirkliche Hassgefühle für den Joker gehegt, im Grunde war er nur ein weiterer Patient, der vielleicht ein wenig verrückter, als alle anderen war. Aber nun, da das Zeichen seiner Grausamkeit auf ihrer Haut zu erkennen war, konnte er verstehen, wenn ihm die Menschen noch sehr viel schlimmeres, als nur den Tod wünschten.

,,Es ist alles in Ordnung, Sam, wirklich, ich werde es überleben'', beschwichtigte sie ihn, rieb dabei kurz über den geröteten Striemen, der in Form und Farbe beinahe einem Armband glich. Es war keine wirkliche Wunde, dennoch schmerzte die Stelle noch immer. ,,Im Grunde ärgere ich mich vor allem darüber, dass ich mich immer von ihm provozieren lasse. Ich weiß genau, was er vorhat und dennoch bin ich so töricht und lasse mich von ihm ködern. Aber ich kann nicht anders, der Joker hat etwas an sich, dass mich manchmal einfach rasend macht.''

Sam rieb sich über seine brennenden Augen, während er ihren Worten lauschte. Er war müde, und das schon so lange. Seitdem er in der Anstalt arbeitete, gab es nicht eine Nacht, in der er wirkliche Ruhe fand. Immerzu kreisten seine Gedanken, kreisten und kreisten, im Takt des unendlichen Karussell des Lebens. Dennoch machte er weiter. Hoffend, betend, vielleicht doch etwas ändern zu können. Mehr zu sein, als sein verlogener Vater, in dessen Augen er immer nur ein Versager gewesen war.

,,Ganz ehrlich?'', seufzte er, ,,ich weiß nicht ob mir das so gefällt.''

,,Was meinst du?'', fragte Alice, die mit zwei beladenen Tellern auf ihn zu kam, von denen sie ihm einen reichte, bevor sie selbst Platz nahm.

,,Ich könnte den Kerl schon alleine deswegen erwürgen, weil er es gewagt hat dich überhaupt anzurühren. Aber da wir hier eben von dem Joker sprechen, weiß ich nicht, was ich davon halten soll, dass er dir nicht schon längst schlimmeres angetan hat. Ich kann irgendwie nicht fassen, dass er noch nicht versucht hat dich ernsthaft zu verletzten, dich sogar vor Zsasz beschützte. Versteh' mich bitte nicht falsch, aber ich bin mir nicht sicher, ob das bei einem Kerl wie ihm wirklich so gut ist. Ob er nicht doch etwas größeres und sehr viel grausameres mit dir vorhat. Ich werde aus ihm einfach nicht schlau. Man kann ihn nicht einschätzen. Du etwa? Und komm mir jetzt bitte nicht mit: Ich kann es einfach spüren, Sam'', versuchte er ihre Stimme überspitzt nachzuäffen, woran er mehr als kläglich scheiterte. ,,Sowas zählt jetzt nicht.''

,,So klinge ich überhaupt nicht!'', setzte sich Alice lachend zur Wehr.

,,Und ob, schrill und piepsig wie ein Mäuschen.''

Sie konnte genau hören, dass er es unterdrückte laut loszulachen. Die Arme vor der Brust verschränkt, gab sie zurück: ,,Dr. Miller, sagen sie mir falls ich mich irre, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie meine Einschätzung zu diesem Thema überhaupt nicht hören wollen.''

,,Oh, doch natürlich! Bitte, Miss White, erleuchten Sie mich mit ihrem Wissen.'' Alice ging natürlich auf die Spielerei ein und erwiderte: ,,Sie nehmen mir zwar dadurch eines meiner schlagkräftigsten Argumente, Sir, aber ich komme ihrer Bitte dennoch mit Freuden nach.''

Nun konnte Sam es sich nicht mehr verkneifen, er prustete los. Alice schalt ihn lächelnd, und begann dann, in einem ernsteren Tonfall: ,,Normalerweise ist es so, dass die meisten Insassen ein klares, für uns Therapeuten, greifbares Ziel vor Augen haben, das sie mit ihren Taten erreichen wollen. Sei es Geld, Macht, Anerkennung, manche beginnen sie aus Liebe, aus Hass, oder Rache. Der Joker, der ist da ziemlich eigenwillig. Natürlich liebt er die Show, die Zuschauer und den Applause, aber das ist es nicht allein. Er liebt das was er tut. Er lebt dafür, Sam'', erklärte sie, ,,er will das Chaos verbreiten, um zu zeigen wie primitiv und grausam die Menschen wirklich sind. Wie schnell sie dazu bereit sind, sich gegenseitig zu zerfleischen. Das wir hinter der Fassade in Wirklichkeit, so sehr wir auch vorgeben etwas anderes zu sein, nicht mehr sind als Monster und Barbaren. Die einander, ohne Reue, die schlimmsten Dinge antuen würden, wenn wir uns dazu getrieben sehen. Wir würden morden, stehlen oder noch sehr viel grausamere Taten begehen. Und um das zu beweisen geht er sogar soweit, dass er seinen eigenen Tod in Kauf nimmt. Es gibt kein Halten. Und weißt du was das wirklich erschreckende ist?'', fragte sie ihn. ,,Sollte er jemals wieder die Chance bekommen auch nur einen Fuß in Gotham zu setzten, wird er nicht aufhören bis die ganze Stadt in Flammen steht. Er wird niemals aufhören. Man wird ihn nicht stoppen können, mit keinen Mitteln dieser Welt, weil er sich vor nichts fürchtet und er einfach nicht aufhören will. Und das macht ihn so unberechenbar und gefährlich. Er ist wie ein Tornado, der auf seinem Weg, alles und jeden vernichtet. Zuweilen wie Sand, der einem durch die Finger gleitet.''

DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt