,,Und was hältst du von der neuen Therapeutin?'', fragte der Riddler, als er sich zu dem Mann gesellte, der bis zu diesem Zeitpunkt, allein an seinem Tisch gesessen hatte.
Es war ein komisches Bild gerade den Joker inmitten all dieser Verbrecher zu sehen. Obwohl jeder einzelne von ihnen, unaussprechliche Verbrechen begangen hatte, war und blieb er die unumstrittene Hauptattraktion. Und das vor allem aus dem Grund, da er ein Extrem darstellte. Alle Insassen hatten in ihrem Leben schreckliche Dinge getan, doch keiner, mit derselben Hingabe und völligen Selbstaufgabe wie der Joker. Er lebte für das was er tat. Viele von ihnen hatten Schwachstellen. Sie fürchteten den Tod, Schmerzen oder etwas anderes; jeder konnte auf die eine oder andere Weise in die Knie gezwungen werden. Nicht er. Er hebelte alle Grenzen aus. Er war eine unumstößliche Kraft, die selbst dann nicht in ihren Grundfesten erschüttert wäre, wenn alles um ihn herum in Schutt und Asche liegen würde.
Der ungeschminkte Clown stocherte weiterhin in dem Fraß herum, den die exzellenten Köche in Arkham doch tatsächlich Essen nannten und entgegnete, ohne aufzusehen:
,,Ein wenig zu vorlaut für meinen Geschmack.''
Nygma lachte leise und flüchtig.
,,Also zu mir war sie sehr höflich, vielleicht mag sie dich nicht?''
Der Griff um seine Gabel verstärkte sich, als er trällerte: ,,Und warum sollte es mich kümmern, was irgendeine kleine blinde Therapeutin von mir hält, hm?''
Sein Gegenüber zuckte mit den Achseln, doch bevor er ihm eine logische Erklärung für seine Frage liefern konnte, wurde er von einer weiblichen Stimme unterbrochen.
,,Von wem sprecht ihr?'', mischte sich eine junge Frau in das Gespräch ein.
Ihr langes feuerrotes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, in dem vereinzelt kleine Blumen drapiert waren. Ihre grüne Haut schimmerte im Licht der Neonröhren.
,,Wir sprechen über die neue Therapeutin'', erklärte Nygma, der es sich natürlich nicht nehmen lassen wollte, sein Wissen an sie weiter zugeben. ,,Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass dich jemand zu dieser Unterhaltung eingeladen hätte.''
,,Ihr meint Alice'', stellte sie fest, ignorierte geflissentlich die anmaßende Bemerkung des Riddlers.
Die beiden Männer horchten auf.
,,Warum kennst du ihren Namen?'', fragte Edward scharf, und ungemein erbost darüber, dass sie eher an diese Information gelangt war, als er.
,,Solche Dinge nennt man ''Frauengespräche'', Eddie, wovon du mit Sicherheit keine Ahnung haben dürftest'', erwiderte die Rothaarige schnippisch und warf das Ende ihres Zopfes über ihre Schulter. ,,Aber da ich ja sowieso nicht zu dieser Unterhaltung eingeladen bin, kann ich ja auch wieder gehen. Also, auf Wiedersehen.''
,,Ivy, Ivy, Ivy, warte doch mal, warte kurz'', meldete sich nun der Clown zu Wort, schob ihr einen Stuhl zurecht.
Pamela beäugte die beiden Männer nacheinander, bevor sie Platz nahm und sich in diesem Moment dazu entschloss, ihnen garantiert nur so viel wie nötig über Alice zu erzählen - Eine ungeschriebene Regel unter Frauen: Dinge, die im Vertrauen erzählt wurden, wurden nicht an Männer weiter gegeben. An andere Frauen? Unter Umständen. Aber mit Sicherheit nicht an das schwache Geschlecht.
,,Was willst du denn wissen?'', fragte sie den Ungeschminkten, der ohne seine Gesichtsbemalung, so viel menschlicher wirkte.
Ein gefährlicher Trugschluss, für all jene, die das glauben sollten.
Auf dessen blassen Lippen breitete sich ein so weites Lächeln aus, dass es beinahe so wirkte, als wären seine Mundwinkel von neuem aufgeschlitzt worden.
,,Alles.''
~~~*~~~
Als die Insassen der Anstalt hintereinander das weiträumige Zimmer betraten, staunten sie nicht schlecht über das Bild, das sich ihnen bot: Es waren bequeme Decken und Kissen ausgelegt, auf denen sie Platz nehmen konnten und in der Mitte des Raumes, befanden sich mehrere Teller voll bepackt mit den verschiedensten Kuchensorten, Süßigkeiten und für diejenigen die es etwas deftiger mochten, lagen einige Pizzakartons bereit. Die junge Therapeutin, die bereits auf einem der Kissen im Schneidersitz saß, begrüßte die Eintretenden höflich und bat sie darum sich einen Platz auszusuchen. Keiner der Verbrecher war fixiert, gefesselt oder unter anderem medikamentösem Einfluss. Und da sie alle, diese Situation so bewusst wahrnehmen konnten, wie seit langem nicht mehr, war auf den meisten Gesichtern vollkommene Überraschung zu erkennen, bei manchen Misstrauen, da sie so etwas noch nie erlebt hatten. Diejenigen von ihnen, die Alice bereits kennengelernt hatten waren ziemlich entspannt, nahmen ohne großes zögern Platz und bedienten sich an den zahlreichen Naschereien. Interessanterweise war der Joker derjenige, der sich ihr am nächsten setzte. Er war ihr so nah, dass wenn er seine Hand ausgestreckt hätte, leicht ihre Haut berühren konnte. Ob Alice es bemerkte war nicht klar zu sagen, wenn ja, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Ihm gegenüber nahm der Riddler Platz, Crane, der ziemlich müde und erschöpft wirkte, entschied sich letztendlich für eine Stelle, neben Poisen Ivy, doch nah genug, dass er das Gesicht der Psychologin gut sehen konnte.
Nachdem das Getuschel langsam abgeklungen war, lächelte Alice in die Runde und begann mit den Worten:
,,Ich wusste nicht so wirklich welche genauen Vorlieben jeder einzelne von Ihnen hat, also habe ich mich einfach an dem orientiert, was ich selbst mag. Bitte, bedient euch, es ist genug für alle da.'' Das ließen sich die Patienten natürlich nicht zweimal sagen. Dafür lechzen sie einfach viel zu sehr nach etwas anderen, als das was sie sonst vorgesetzt bekamen. Da sie hauptsächlich mit dem Kauen und Schlucken beschäftigt waren, nutze Alice die Gelegenheit ihr heutiges Aliegen zu verkünden.
,,Ich habe mir überlegt, wie ihr wahrscheinlich bereits feststellen konntet, dass wir heute eine etwas andere Therapiesitzung führen könnten. Ich möchte, dass ihr euch weitestgehend wohl fühlt und wenn ihr dazu bereit seid, würde ich gerne über eure Träume und Wünsche sprechen, die ihr einmal hattet, bevor ihr euch dazu entschlossen habt, einen anderen Weg einzuschlagen. Es wird kein richtig oder falsch geben, es zählt nur das was ihr empfindet. Und damit euch das Reden nicht so schwer fällt, werde ich beginnen.''
Nachdem diese letzten Worte erklungen waren, wanderten ausnahmslos alle Blicke in ihre Richtung. Manche verschluckten sich beinahe an den Bissen, die sie um Mund hatten.
Die ganze Sitzung schien immer surrealer zu werden.
Alice nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse, die ebenso wie die des Riddlers mit Kakao gefüllt war und sagte:
,,Als ich klein war, war mein größter Wunsch Tänzerin zu werden. Ich liebte die wunderschönen Kostüme, die grazilen Bewegungen. Wenn ich ein Ballettstück sah, erschien es mir jedes Mal wie ein Traum, der vor meinen Augen zur Wirklichkeit wurde. Als ich das erste Mal Tschaikowskis ''Schwanensee'' sah, wusste ich, dass ich in diesem Augenblick meine Zukunft vor Augen hatte. Dies sollte mein Weg werden, von dem ich mich durch nichts und niemand abbringen lassen würde. Doch mit zehn Jahren, nach zahlreichen Ballettstunden und vielen Auszeichnungen, gab es immer öfter Momente, in denen ich meine Mitmenschen, meine Umwelt, nur noch schemenhaft wahrnahm. Bei meinem letzten Aufritt, stürzte ich sogar von der Bühne, weil ich das Ende des Bodens nicht hatte erkennen können. Und dann die Diagnose: Mein Bein war gebrochen und mit ihm jede mögliche Karriere, denn ich würde blind werden. Kein Medikament, keine Therapie konnte mir helfen. Es lag an den Genen, und diese können grausam sein, eine Krankheit die in der DNA verwurzelt ist, lässt sich nicht heilen. Als ich jeden Tag mehr und mehr meines Augenlichts verlor, wurde ich nicht mehr ernst genommen. Niemand wollte seine Kraft, seine Mühe und sein Geld, in die weitere Ausbildung eines blinden jungen Mädchens investieren. Ich wurde zu einem Freak. Ich habe alle gehasst, alles und jeden, aber am allermeisten meinen Vater, schon komisch oder? Eben jener Mensch, der die ganze Zeit über an meiner Seite war, der jeden Tag für mich kämpfte. Ausgerechnet ihm gab ich die Schuld an meinem Schicksal. Weil es zum Teil seine Gene waren, obwohl, so sagten es die Ärzte, der Defekt nur die Frauen in unserer Familie betraf und dies nicht einmal in allen Generationen. Dennoch machte ich ihn dafür verantwortlich. Wir hatten furchtbare Auseinandersetzungen, ich habe geschrien, getobt, geweint, ihn verflucht, aber er ließ mich nie im Stich. Ich konnte ihn noch so sehr verletzen, dennoch streckte er seine Arme aus, umarmte mich und trocknete meine Tränen'', flüsterte Alice, atmete tief durch, da sie spürte, dass ihr bei diesem Gedanken, auch jetzt die Tränen kamen.
Sie hoffte, dass sie es nicht bemerkten. Aber natürlich taten sie es, ihnen entging überhaupt nichts. Sie bemerkten ihre Trauer, aber ebenso bemerkten sie auch, dass sie die Wahrheit sprach und aufrichtig war. Sie suchte nicht nach Mitleid, das spürten sie alle, sie reichte ihnen ihre Hand, die sie ergreifen konnten, wenn sie nur wollten. ,,Und irgendwann, mit der Zeit, habe ich begriffen, dass es weder seine Schuld, noch die der anderen war. Niemand trug die Schuld an meinem Leid. Manchmal geschehen Dinge, auf die wir Menschen keinen Einfluss haben. Es gibt Naturgesetzte, die wir nicht kontrollieren können. Und als ich bereit war, dies zu akzeptieren, konnte ich endlich weiter gehen. Ich konnte aufhören mich selbst zu bemitleiden und nach einem anderen Weg suchen, den ich letztendlich gefunden habe. Mir gefällt meine heutige Arbeit. Ich liebe das, was ich tue. Und wer weiß'', sagte sie lächelnd. ,,Wenn ich nicht blind geworden wäre, säße ich vielleicht jetzt nicht hier und könnte Ihnen meine Geschichte erzählen. Und Ihnen sagen, dass manchmal auch aus dem schlimmsten Leid, etwas wunderbares erwachsen kann.''
Alice wischte eine Träne aus ihrem Augenwinkel, die sich in ihrer Wimper verfangen hatte und wartete geduldig darauf, ob irgendjemand seine Stimme erheben würde.
,,Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sie nicht über solche Dinge mit mir sprechen möchten, dann werden wir etwas anderes tun'', interpretierte sie die Stille, die nicht enden wollte.
Doch dann wurde sie tatsächlich von einer unsicheren männlichen Stimme durchbrochen.
,,Ich'', begann der Insasse zögerlich, ,,ich habe immer davon geträumt, ein großer Künstler zu werden.''
Bevor Alice etwas darauf erwidern konnte, erklang ein gackerndes Lachen, dessen Ton so grausam und schrill, wie der einer Sirene.
Sie konnte es augenblicklich zuordnen.
,,Joker'', ermahnte sie die Quelle der Grausamkeit. ,,Vielleicht haben Sie kein Interesse an den Belangen ihrer Mit-Insassen, aber ich habe es. Also wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sie bitte nicht unterbrechen würden.''
Der Angesprochene steckte sich grinsend einen Keks in den Mund.
,,Aber, aber, Schätzchen, ich habe doch überhaupt nichts gesagt.''
,,Sie wissen genau, was ich meine.''
,,Hmmm, was genau meinst du denn, Alice?'', fragte er, betonte ihren Namen, als wäre er ein wohlgehütetes Geheimnis, das er nun gelüftete hatte, und ergötze sich an ihrer lodernden Wut.
Beruhig dich, Alice, dachte die junge Frau. Atme tief durch. Ruhig und langsam. Er macht das mit voller Absicht, er will dich nur aus der Reserve locken.
Am liebsten hätte sie ihn einfach ignoriert, aber sie wusste, dass dies keine wirkliche Option war. Es gab viele Möglichkeiten für das, was sie nun tun konnte, doch Ignoranz, wäre wohl die törichtste gewesen.
,,Wenn Ihnen die Unterhaltung nicht zusagen sollte, dann können Sie den Raum gerne verlassen. Ich könnte einen Wachmann kontaktieren, der Sie mit Sicherheit mit Vergnügen in Ihre Zelle zurück bringen wird. Vielleicht steht Ihnen eher der Sinn danach?''
Alle wussten, was den Joker dort erwarten würde. Es waren nicht die Medikamente, es war nicht die Isolation an sich, es war die Stille. Die unendliche Leere, die all ihre Existenzen beherrschte. Jedes Lebewesen auf dieser Erde, benötigte einen Treibstoff, um zu überleben. Für Pflanzen war es das Sonnenlicht, für einen Fisch das Wasser, für einen Mann wie den Joker war es das Chaos: Die Chance es in jeder Art und Weise zu verbreiten, und immer dann wenn er den Wunsch dazu verspürte.
Doch hier, in dieser Anstalt, herrschte nichts außer unendlicher Dunkelheit.
Und in dieser Finsternis, stellte die blinde, auf den ersten Blick unscheinbare, Alice White nun einen kleinen Lichtblick dar. Nicht weil sie die schönste oder einzige Frau gewesen wäre, die sie seit langem gesehen hätten, sondern weil sie anders war. Weil sie sie nicht mit derselben Gleichgültigkeit behandelte, wie es alle anderen taten. Weil sie sich wirklich bemühte und sie spüren konnten, dass sie ihr nicht vollkommen egal waren.
Es war äußerst still im Raum, viele warteten gespannt auf die Reaktion des Clowns, denn die junge Frau hatte nun etwas getan, das noch keiner zuvor gewagt hatte; zumindest niemand der es überlebt hatte und davon berichten konnte: Sie hatte ihm die Stirn geboten und das, indem sie ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte. Ihr war klar, dass sie ihn absichtlich provoziert hatte, dass wenn sie Pech hatte, er dieses Mal wirklich handeln würde. Sie wusste es, daran gab es keinen Zweifel, das verriet ihr rasender Pulsschlag.
Aber manchmal, musste man eben die Flucht nach vorn antreten, selbst wenn es bedeutete, dass man sein Leben riskierte.
Der Joker dehnte seine verspannte Nackenmuskulatur, und betrachtete die junge Frau mit seinen pechschwarzen Augen, in deren dunklen Tiefen etwas lauerte für das es keine Worte gab. Er streckte seine Hand aus, doch anstatt ihren schmalen Hals zu packen, begann er mit einer ihrer widerspenstigen Locken zu spielen.
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Dämmerung
RomanceAlice White war schon immer ein wenig anders. Einzigartig, könnte man sagen. Eine Freidenkerin, die nicht immer jede Regel befolgte. Doch wie außergewöhnlich sie wirklich war, das sollte ganz Arkham Asylum noch herausfinden. [Joker x OC] (Anm.: Teil...