All-In

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Alice nahm einen tiefen Atemzug, stellte die beiden dampfenden Tassen, neben sich auf den hölzernen Esstisch ab und wandte sich dann dem nächtlichen Eindringling zu -soweit sie es eben vermochte.
Denn das Problem war, dass sie zwar wusste dass er da war, nur nicht, wo genau er sich befand.
Er bewegte sich nicht. Nicht einen einzigen Millimeter.
Aber sie meinte, sie konnte ihn atmen hören. Langsam und stetig.
Vielleicht spielten ihre Sinne, ihr aber auch nur einen Streich.
Denn diese waren in höchster Alarmbereitschaft.
Selbst die Luft um sie herum schien zu pulsieren.
Alles war zum zerreißen gespannt.
Gerade als sie glaubte, dass einer jener Fäden, der die Welt zusammen hielt, einreißen würde, richtete der Eindringling das Wort an sie.
Seine unverkennbare Stimme, war Alices mittlerweile ebenso vertraut, wie die Luft, die sie jeden Tag einatmete. Auch jetzt sprang sie umher und breitete sich wie ein dunkler Schatten, in ihrem Herzen aus.
,,Hallo, Aaalice'', grüßte sie ihr ehemaliger Patient.
Sein Tonfall war keinesfalls höflich.
Er betonte ihren Namen, als wäre er die Pointe eines schlecht erzählten Witzes.
Alice konnte förmlich spüren, wie die hämische Freude von ihm ausstrahlte.
Er war wieder vollkommen in seinem Element.
Die Fäden lagen wieder in seinen Händen.
Er war der Dirigent, der nur einen Finger heben musste, damit die gesamte Welt aus den Fugen geriet.
Das Chaos war sein Orchester.
Das Leid, die Schöpfung seiner außergewöhnlichen Gabe.
,,Hallo'', erwiderte die junge Frau, ohne wirklich darüber nachzudenken.
Also das erlebt man doch wohl auch nicht alle Tage, meinte ihre Vernunft in einem spottenden Tonfall, ein Opfer, das seinen Mörder mit offenen Armen begrüßt.
Aber was sollte sie auch sonst tun?
Flucht war keine wirkliche Option.
Es gab keinen Ausweg.
Und wenn sie ehrlich war, wollte sie auch gar nicht fliehen.
So war sie nicht.
Sie schied lieber erhobenen Hauptes von dieser Welt, als wimmernd und angsterfüllt.
Sie dachte an das Lächeln ihres Vater. An die Stimme ihres unverbesserlichen mutigen Bruders und trat selbst einen mutigen Schritt nach vorn, in den Raum hinein.
Sie wartete geduldig darauf, was er nun tun würde.
Und was er tat, überraschte sie ein wenig.
Er kam näher, langsam, unaufhaltsam, doch anstatt einer Klinge, legten sich seine Finger an ihre Kehle, die er hinauf zu ihrer Wange wandern ließ. Er trug Handschuhe, dass konnte sie spüren, als sein Daumen über ihren Wangenknochen strich.
Seine Berührung war so sanft, dass sie, wenn sie nicht gewusst hätte, wer hier vor ihr war, beinahe hätte glauben können, dass es eine wirkliche Bedeutung hatte.
Das dies hier mehr war, als ein bloßes Spiel, das gerade erst begonnen hatte.

,,Hmmm'', machte der geschminkte Mann. Es klang wie ein Grollen, das aus den Tiefen seiner dunklen Seele drang. ,,Du enttäuscht mich ein wenig, Liebchen. Keine Tränen? Kein Betteln und Flehen, um dein Leben?''
Die aschgrauen Pupillen der Psychologin wanderten träge zu dem Gesicht des Clowns, das wie eine Karnevals Fratze, erschreckend lebendig, von der übrigen Dunkelheit hervor stach.
,,Sie kennen die Antwort darauf.''
Der Joker nickte leicht und knabberte dabei auf seinen wulstigen Narben herum.
,,Ja, ja, das stimmt'', grinste er dann, ,,aber ich würde es gerne aus deinem süßen Mund hören, Alice.''
Wieder strichen seine Finger sanft über ihre Kehle.
Und wieder, handelte er nicht.
Was Alice über alle Maßen irritierte. Sie verstand einfach nicht, was das hier alles sollte. Warum tat er nicht einfach, wofür er gekommen war?
Mit einem mal, wie aus dem nichts, lag sein Messer an ihrem Pulsschlag.
,,Du würdest eher sterben, oder?'', erfragte der Geschminkte, als er die Klinge über ihre Haut tanzen ließ.
Sie war angenehm kühl, ließ jedoch zweifellos erahnen, welche Kraft hinter dem geschmiedeten Eisen schlummerte.
,,Ja, das würde ich.''
Ihre Worte waren klar, unmissverständlich und wahr.
,,Ausgezeichnet!'', rief der Clown, hocherfreut. ,,Ganz ausgezeichnet! Aber was wäre ein huldvoller Tod, ohne das passende Publikum, hm? Eine Karte ist noch frei, ein Platz unbesetzt, wie wäre es wenn wir unseren feinen Herr Doktor, zu der Vorstellung einladen würden?''
Der Anarchist, zog, wie ein Hai im Meer seine Kreise.
Er hatte Blut gewittert.
Alices Reaktion auf seine Worte, hatte ihm die Antwort geliefert, die er erwartet hatte.
Ihr ganzer Körper verkrampfte sich und er konnte sehen, dass ihre Finger zu zittern begannen.

,,Dr. Miller hat mit dieser ganzen Sache nichts zu tun, es ist unnötig ihn mit hineinzuziehen'', startete sie, als kläglichen Versuch das unvermeidbare zu verhindern.
Töte mich!, schrie unterdessen die Furcht in ihrem Inneren. Töte mich, du verdammter Mistkerl! Und lass Sam in Ruhe!
,,Wir wissen beide, warum Sie hier sind'', sprach ihre scharfzüngiger Mund. ,,Die Frage ist nur, ob sie Manns genug sind, um es auch ohne irgendwelche Zuschauer zu tun.''
Regel Nr. 1, wenn man in brenzligen Situationen überleben wollte:
Provoziere niemals, unter gar keinen Umständen, einen potenziellen Täter.
Das kann niemals gut enden.
Aber dies war genau das, was Alice erreichen wollte: Sie wollte ihn provozieren.
Sie wollte, dass er endlich handelte und es hinter sich brachte, damit Sam nichts geschah.
Aber der Clown lachte nur.
Er lachte und lachte, so lange, so grausam, bis Alice glaubte, dass sie das Geräusch nie wieder aus ihrem Gedächtnis löschen könnte. Es würde sie noch in ihren Alpträumen verfolgen, dessen war sie sich gewiss.
,,Das wäre natürlich eine Option'', japste der ewig Grinsende nach kurzer Zeit. ,,Aber ich denke, ich habe da eine bessere Idee: wie wäre es, wenn du die Tür öffnen und unseren Gast hereinlassen würdest. Ja...ja, das gefällt mir besser. Also, hopp, hopp, Alice, du willst den guten Doktor doch wohl nicht warten lassen, oder?''
Glückwunsch, Alice, da hast du den Salat, dachte sie verzweifelt. Was willst du jetzt tun?
Was sie tat, war sich widerwillig in Bewegung zu setzten.
Doch noch bevor sie die Balkontür erreichte, machte sie auf dem Absatz kehrt und sprintete in die entgegengesetzte Richtung.
Sie wusste nicht einmal, wohin sie laufen sollte, sie wusste nur, dass alles besser war, als das zu fördern, was der Joker geplant hatte.
Vielleicht würde sie die Feuerleiter erreichen und konnte ihn so, wenigstens von der Wohnung fortlocken. Vielleicht würde Sam bemerken, dass etwas nicht stimmte und sich einen sicheren Ort, als diesen suchen.

Jede Hoffnung, wurde je zerstört, als sich die Arme des Jokers um ihre Taille schlangen und er sie zurück, in den Wohnraum zerrte.
,,Noch so eine Aktion'', zischte er leise in ihr rechtes Ohr, ,,und ich schäle deinem geliebten Doktorchen, die Haut vom Fleisch. Und danach, wenn er nicht mehr weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist, äh, füttere ich ihn damit.''
Seine Drohung brannte heißer in ihrer Kehle, als die Tränen, die sich langsam an die Oberfläche bahnten. Denn sie wusste, dass er es vollkommen ernst meinte.
Bei anderen Dingen, mochte der Clown seine geliebten Spielchen spielen, aber wenn es um das Thema Schmerz, Leid oder Tod ging, gab es kein Wenn und Aber, dann handelte er, ohne Rücksicht auf Verluste.
,,So und jetzt sei so gut und öffne die Tür, Liebes.''
Öffne die Tür Alice, und lass das Verderben hinein.
Dieses mal tat sie, was er von ihr verlangt hatte, ohne große Gegenwehr.
Ihr Gehirn war stattdessen damit beschäftigt, irgendwie einen Ausweg aus dieser ganzen Sache zu finden. Die Zahnräder ihres Verstandes ratterten und knarzten vor Anstrengung, während sich ihre Finger, wie automatisiert auf den Türknauf legten, um den Mechanismus zu betätigen.
Als sich die Tür nur einen spaltbreit geöffnet hatte, war Dr. Miller bereits in das Zimmer gestürmt.
Da er so lange nichts von Alice gehört hatte, war er nervös geworden und hatte nur hilflos mitansehen können, wie der Joker die junge Frau durch seine Wohnung gejagt hatte.
Er hatte schon mit dem schlimmsten gerechnet, nicht ahnend, dass ihnen das noch bevor stand.
Der junge Doktor wollte sich schützend vor die junge Frau stellen, doch diese trat einen Schritt zur Seite, um ihm zu zeigen, dass dies nicht nötig war.
Das Ende ist erst der Anfang, Alice. Der Tod ist nichts, wovor du dich fürchten müsstest.
Erneut, richtete sie das Wort an den Clown und forderte ihn auf, sein Kartendeck endlich offen zu legen.
Er war am Zug.
All-In, für sie alle.
Dem, kam der Joker natürlich mit Freuden nach.
Er zückte ein Messer aus seinem purpurfarbenen Jackett und warf es Alice vor die Füße.
Sie hörte das Metall klirren und dann seine Worte:
,,Für euch Turteltauben, habe ich mir etwas ganz besonderes ausgedacht. Und unsere kleine Alice, hier, ist sozusagen meine heutige Assistentin.''
Er machte eine kurze dramatische Pause und fuhr dann, dämonisch lächelnd, an Alice gewandt fort:
,,Du darfst heute die Entscheidung aller Entscheidungen fällen:
Entweder, du versetzt dem gewissenhaften Doktor den Gnadenstoß. Oder ich werde es tun.
Du hast die Wahl.''



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