Anerkennung

114 5 0
                                    


,,Wie ich sehe sind Sie wie immer voller Tatendrang, Miss White'', bemerkte der Leiter der Anstalt lächelnd, als die junge Ärztin sein Büro betrat.
,,Ich gebe mein bestes, Sir, aber ich muss gestehen, dass ich ein wenig nervös bin.''
,,Kein Grund zur Sorge. Ich denke für heute, ist es sowieso erst einmal angebracht, dass Sie einem ihrer Kollegen bei der Arbeit zuseh- ich meine zuhören'', korrigierte er sich, mit einem verlegenden Lächeln. ,,Alles weitere wird sich mit der Zeit einpendeln.''
Alice wusste seine netten Worte zu schätzen, dennoch konnte sie es gerade noch so vermeiden, genervt mit den Augen zu rollen. In diesem Moment, konnte sie hören, dass sich die schwere Glastür öffnete und jemand eintrat.
,,Miss White'', richtete ihr ehemaliger Professor, noch einmal das Wort an sie. ,,Fürs erste, werden Sie Dr. Miller begleiten. Er wird Ihnen alles nötige zeigen, und wenn Sie irgendwelche Fragen haben sollten, wird er Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.''
Der junge Mann, der bis dahin geschwiegen hatte, begrüßte sie mit knappen Worten und einem festen Händedruck.
,,Ah, noch eine Sache'', fügte der ältere Mann hinzu und legte zwei kleine Gerät in ihre Hand. ,,Das eine ist ein kleines Tonbandgerät'', erklärte er, ,,wenn Sie später mit den Patienten sprechen werden, können sie es einfach aufzeichnen. Und'', nun senkte er seine Stimme um einige Oktaven, ,,das andere ist ein kleiner Pager. Wenn sie sich...verlaufen sollten'', sagte er äußerst vorsichtig, ,,oder in anderweitige Schwierigkeiten geraten, dann können Sie damit, sofortige Hilfe anfordern.''
Obwohl Alice nun ein wenig gekränkt war, bedankte sie sich dennoch bei ihrem Vorgesetzten und verstaute die Utensilien, mehr um ihn zu beruhigen als sich selbst, in ihrem Kittel, nahm ihren Stock zur Hand und verließ dann, zusammen mit ihrem neuen Kollegen, das Büro.


                                                                     ~~~*~~~


,,Haben Sie soweit alles verstanden, Miss White?''
,,Ja, ich denke schon'', gab die Angesprochene nickend zurück, als sie ihrem Kollegen durch die ruhigen Gänge folgte. Sie lauschte dem dumpfen Geräusch, welches seine Schuhe, mit jedem seiner Schritte, auf dem Boden erklingen ließ; bis sie sich verlangsamten und er schließlich zum Stillstand kam.
Die Hand an dem Knauf der Tür, vor der sie nun standen, neigte er seinen Oberkörper leicht in ihre Richtung und sagte: ,,Ich werde Ihnen jetzt einen der zahlreichen Patienten vorstellen. Er war einmal selbst ein Doktor, hier in Arkham. Er hatte sich zu jener Zeit einen Spaß daraus gemacht, den Verstand seiner Opfer zu verdrehen, sie ihrer klaren Sinne zu berauben, bis sie um den Tod bettelten. Bis der Tod für sie zu ihrem einzigen Ausweg wurde, um ihre endlosen Qualen zu beenden. Lassen Sie mich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben, Miss White: Unterschätzen Sie keinen von denen. Vergessen Sie niemals, nicht eine Sekunde lang, wer und was diese Leute sind. Ich garantiere Ihnen, dass Sie es sonst bereuen werden.''
Alice hatte den Worten ihres Kollegen ruhig gelauscht und entschied sich dafür nicht zu antworten, denn im Grunde, davon war sie überzeugt, wollte er gar keine Erwiderung hören. Nur weil sie nicht bereits an ihrem ersten Tag einen Streit riskieren wollte, atmete sie tief durch, stellte ihren Stock, der ihr wahrscheinlich nur im Weg sein würde zur Seite und betrat, nach ihm den Raum.

Darin war es so ruhig, dass sie die Neonröhre knistern hören konnte. So still, dass sie sich nicht wirklich sicher war, ob sich überhaupt irgendjemand in dem Zimmer befand. Doch dann, vernahm sie ein Rascheln von Kleidung, ein Räuspern; irgendetwas oder irgendjemand, außer ihnen beiden, hatte sich bewegt.
,,Crane'', war die einzige karge Begrüßung, die die Person erhielt.
,,Hallo, Sam'', entgegnete der Mann sogleich, seine Stimme war sanft, ein klein wenig rau, als hätte er eine längere Zeit nichts getrunken. ,,Wer ist das denn? Wen hast du da mitgebracht?'', kam prompt, die nächste Bemerkung, als er sich der jungen zierlichen Frau gewahr wurde und sie mit seinen hellen blauen Augen gierig musterte.
,,Das tut hier nichts zur Sache, Crane!'', wies ihn der junge Therapeut zurecht. ,,Sie ist hier um zuzuhören, nicht um von dir belästigt zu werden!''
,,Ganz ruhig, Sam, alter Junge, ich wollte doch nur ein wenig plaudern.''
,,Ich kenne das Ziel deiner Plaudereien und- ''
,,Dr. Miller'', meldete sich nun die junge Frau zu Wort, die das Thema ihrer Diskussion war. ,,Ich weiß Ihre Umsicht zu schätzen, aber wenn ich mich belästigt fühlen sollte, dann lasse ich es Mr. Crane wissen. Sie müssen nicht für mich sprechen, das kann ich noch sehr gut alleine.''
Der junge Therapeut blickte die junge Frau sprachlos an.
,,Da hast du es Samy'', lachte Crane, ,,die junge Dame, kann auf sich selbst aufpassen.'' Er setzte sich auf, um die hübsche Frau besser betrachten zu können und fragte dann, mit einem äußerst charmanten Lächeln auf den Lippen: ,,Würden Sie mir verraten, wovor Sie sich fürchten?''
,,Miss White, antworten Sie nicht darauf!'', mahnte der Doktor. ,,Gehen Sie nicht auf seine Spielchen ein. Lassen sie sich nicht von ihm ködern!''
,,Was denn, was denn, darf man hier nicht mal eine simple harmlose Frage stellen?'', entgegnete der Mann hinter der Scheibe und ließ Alice für keine Sekunde aus den Augen.

,,Manchmal, vor dem Leben'', antwortete diese, nach kurzer Überlegung, trotz der Warnung ihres Kollegen.
Jonathan horchte auf.
,,Interessant. Sehr interessant. Und Warum?'', wollte er umgehend wissen, presste sich näher an die Glasscheibe.
,,Hm, nun, manchmal, habe ich das Gefühl, das es mich erschlägt. Das es mich mit sich reißt und verschlingt. Nicht zu wissen, was der nächste Tag bringen wird, ist ein wundervoller Gedanke, aber manchmal macht er mir auch Angst. Die Erkenntnis, dass ich im Grunde nur ein kleines Licht in einem Meer voller Farben bin, ist sowohl wunderschön, als auch erschreckend.''

Dr. Miller hatte der Konversation der beiden mit offenem Mund gelauscht. Er konnte kaum glauben, was er gerade miterlebt hatte. Doch noch viel stärker, als das, überraschte ihn die Tatsache, dass er so etwas wie Anerkennung in Cranes Augen aufblitzen sah.
Ihre Antwort schien ihm offensichtlich sehr zu gefallen.
,,Miss White, auf ein Wort'', brachte der Psychologe mit knirschenden Zähnen hervor, bat sie darum wieder mit ihm auf den Gang zu treten und begann dort umgehend mit seiner Moralpredigt.
,,Miss White, haben Sie mir vorhin nicht zugehört!'', rief er erbost. ,,Wissen Sie denn nicht, welchen Gefahren Sie sich durch ihr kopflosen Benehmen aussetzten?''
Er redete sich förmlich in Rage.
Immer wieder versuchte Alice ihm eine Erklärung für ihr Handeln zu geben, aber er ließ sie gar nicht zu Wort kommen, er wollte überhaupt nicht zuhören.
,,Entschuldigen Sie mal!'', unterbrach sie ihn schließlich so harsch, dass sich einige der Mitarbeiter, die über den Gang liefen, nach ihr umsahen.
,,Wem, Was und Wie viel ich jemandem von mir Preis gebe, ist ganz allein meine Entscheidung. Ich muss mich vor Ihnen nicht rechtfertigen. Sie sind nicht mein Lehrer und ich nicht ihre Schülerin. Sie sind nichts besseres, als ich! Falls Sie es vergessen haben sollten: Auch ich trage einen Doktortitel!''
Mit diesen Worten packte Alice wutentbrannt ihren Blindenstock und marschierte schnellen Schrittes den Gang hinunter. Dr. Miller, hingegen, blieb nichts weiter übrig, als ihr sprachlos hinterher zu sehen.

In seiner Zelle, lehnte Jonathan Crane, der das gesamte Streitgespräch mitangehört hatte, seinen Kopf gehen die kühle Steinwand und lachte in sich hinein.
Endlich, dachte er, nach so langer Zeit, der Eintönigkeit und der Langeweile, erschien mal jemand, der ein Rückrat besaß. Der nicht beim allerkleinsten Windstoß einknickte, wie ein Grashalm.
,,Endlich'', flüsterte er in die gähnende Stille hinein.
,,Endlich mal eine Frau, die es wert ist, dass man sich die Mühe macht, sie zu entschlüsseln.''
Dass sie blind war, hatte er nicht einmal bemerkt.

DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt