für Pieczkowski
[5] ,,Versprich mir, dass du hierbleibst."
Guildford, 18. September 2020
Es war früh am Abend, als Carlos und ich zusammen auf der Couch lagen und eine unserer Serien guckten. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust, während er einen Arm um mich gelegt hatte und mir sanft über den Rücken strich. So sehr ich es auch versuchte, mich auf die Handlung der Folge zu konzentrieren, bemerkte ich wie meine Augenlider immer schwerer wurden und ich gähnen musste. Den ganzen Vormittag war ich im MTC gewesen und hatte im Simulator gesessen, ehe mir mein Trainer die glorreiche Idee einer Fahrradtour präsentiert hatte. Letztendlich waren es 30km gewesen, die wir gefahren waren, und dementsprechend müde war ich nun. In Carlos Armen zu liegen und seine beruhigenden Berührungen zu spüren, sorgte umso mehr dafür, dass ich mich entspannte und abschalten konnte.
,,Schlaf ruhig, mi amor", bemerkte der Spanier fürsorglich, als mir ein weiteres Mal die Augen zugefallen waren.
,,Versprich mir, dass du hierbleibst. Ich will nicht, dass du heute Abend noch einmal weggehst", murmelte ich verschlafen, da es in den letzten Tagen öfter vorgekommen war, dass ich nachts ohne Carlos neben mir aufgewacht war. Jedoch war genau das, was ich nicht mehr wollte, vor allem da morgen unser Jahrestag war.
,,Ich bin hier. Also kannst du beruhigt einschlafen", entgegnete er, was ich mit einem wohligen Seufzen hinnahm. Ich kuschelte mich näher an meinen Freund, ehe ich mich langsam meiner Müdigkeit hingab und einschlief.
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Brummend fuhr ich mir im Halbschlaf übers Gesicht und öffnete die Augen. Ich blickte in einen komplett abgedunkelten Raum, was definitiv nicht unser Wohnzimmer war, in dem ich eingeschlafen bin, sondern unser Schlafzimmer. Ich lag zugedeckt auf meiner Seite des Doppelbettes, was ich mir seit Monaten mit Carlos teilte, und konnte mich nicht daran erinnern, mich eigenständig hierhin gelegt zu haben. Carlos musste mich hochgebracht haben. Bei dem Gedanken breitete sich ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen aus, was augenblicklich wieder verschwand, als ich mich zur anderen Bettseite drehte und diese leer war.
Irritiert setzte ich mich auf und richtete mich zu meinem Nachttisch, um die Lampe anzustellen. Danach glitt mein Blick zur Digitaluhr meines Weckers: 23:55 Uhr. Wo war Carlos? Ich schlug die Decke von meinen Beinen und krabbelte aus dem Bett, um mich auf die Suche nach dem Spanier zu machen. Als ich das Schlafzimmer verließ, herrschte im ganzen Haus Stille. Im oberen Badezimmer war er nicht aufzufinden, genauso wenig wie unten in der Küche oder im Wohnzimmer. Wieder einmal schien Carlos aus dem Haus gegangen zu sein, ohne mir etwas zu sagen.
Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, ehe ich mein Handy auf dem Wohnzimmertisch liegen sah. Ich nahm es in die Hand und beschloss meinen Freund anzurufen, um nachzuhaken, wo er war, obwohl er mir versichert hatte, dass er bei mir bleib. Kaum hatte ich seine Nummer gewählt, ertönte ein Klingeln im Raum. Verwirrt blickte ich mich um und versuchte das Geräusch zu zuordnen. Es kam eindeutig von der Couch. Ich legte mein Handy wieder ab und hob alle Kissen hoch. Mit meiner Hand fuhr ich in die Sofaritzen, ehe ich den Auslöser fand und Carlos klingelndes Handy in der Hand hielt. Na ganz klasse, er hatte es hiergelassen.
Ich entsperrte sein Gerät mit meinem Geburtstag, was sein Pin war, seitdem wir zusammen waren, um den Anruf abzulehnen. Als ich das Gerät wieder sperren wollte, blickte ich auf einen geöffneten Chat mit ,,G". Wer in aller Welt war G? ,,Lando schläft jetzt, ich fahre gleich los" war die letzte Nachricht, die Carlos an diese Person verschickt hatte und mich zum Schlucken brachte. Das war also der Grund, weshalb er jeden Abend ging: Carlos traf sich mit jemand anderen.
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