[75] ,,Niemand muss davon erfahren."
Riccione, 24. Juni 2019
Mit Kopfhörern über den Ohren lag ich in dem Bett meines Zimmers, was ich während des Trainingslagers bezog. Wie in der Vergangenheit hatte Ferrari es sich nicht nehmen lassen, ihre Fahrer der eigenen Academy zusammenzutrommeln und für zwei Wochen in einem geräumigen Haus am Rande einer Kleinstadt in der Emilia-Romagna unterzubringen. Zwei Wochen voller Training und Theorie, Forderung und Förderung, aber auch Spaß und Erholung.
Während ich mich von Post Malones neuster Single berieseln ließ, scrollte ich durch die Bilder, die Robert vor einigen Minuten in die FDA-Gruppe geschickt hatte. In knallroten Badeshorts standen Callum, Giuliano und ich auf der Rettungswachstation am Strand und blickten mit unseren Sonnenbrillen auf der Nase aufs Meer hinaus, als würden wir auf unseren Einsatz warten.
Nachdem wir den gestrigen Tag im naheliegenden Klettergarten Falesia Moretti absolviert hatten, der mit einer anschließenden Fahrradtour zurück zu unserer Unterkunft verbunden gewesen war, hatten unsere Betreuer heute Nachsehen gehabt und uns einen freien Tag gegeben. Vielleicht war ihnen auch nur unser Gejammer über die wunden Handflächen und schmerzenden Muskeln zu anstrengend geworden, sodass sie selbst eine Pause gebraucht hatten.
Unseren freien Tag hatten wir als Gruppe nach einem kurzen Trip durch die Geschäfte am Strand verbracht. Dabei haben wir eingesehen, dass keiner von uns das Zeug zum Fußball- oder Volley-Ball-Spieler hat, wobei ich meiner Meinung einige brillante Tricks auf Lager hatte. Die meiste Zeit waren wir im Wasser gewesen, hatten versucht, uns bei ,,Wenn ich du wäre..." immer wieder zu übertrumpfen, und Tauchwettbewerbe veranstaltet. Es war ein traumhafter Tag gewesen, ein nahezu perfekter.
Bei dem Anblick der Fotos konnte ich nicht anders, als an Callum heran zu zoomen. Ein hauchdünnes, schmieriges Lächeln zierte seine Lippen, mit dem er versuchte abgebrüht und cool zu wirken wie die Rettungsschwimmer in Baywatch. Derweil fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht, obwohl er stets darauf achtete, dass jedes einzelne Haar perfekt saß, und so viel Haargel verwendete, dass er monatlich zwei Packungen verbrauchte. Eine idiotische Macke von ihm, aber zugleich eine verdammt süße, wenn ich an seinen konzentrierten, leicht bedröppelten und verzweifelten Blick jeden Morgen im Bad dachte.
Schließlich blieb ich bei dem trainierten Oberkörper des Briten hängen und biss mir sehnsüchtig auf die Unterlippe. Kaum konnte ich es erwarten, bis wir zurück in unserer WG waren, ich die Konturen seiner Bauchmuskeln ganz sachte entlangfahren und mit Küssen versehen konnte. Verdammt fehlte mir das.
,,Komm zur Haustür" sprang mir auf einmal eine Pop-up-Benachrichtigung von Callum entgegen. Irritiert über die Nachricht klickte ich sie an und landete in unserem Chat. Noch einmal las ich mir die drei Worte durch, dann noch einmal. Was genau es mit seiner plötzlichen Bitte auf sich hatte, erschloss sich mir nicht, weshalb ich rasch ein fragendes ,,Wieso?" eintippte und abschickte. Es war kurz nach Mitternacht.
,,Zieh deine Badehose an und komm zur Haustür" überging mein bester Freund meine Frage. ,,Ansonsten schleife ich dich eigenhändig aus deinem Zimmer."
Dass er dazu wirklich in der Lage war, hatte er in der Vergangenheit allzu oft bewiesen, zuletzt vergangenen Monat als ich mich tagelang nicht von meiner Nintendo Switch trennen konnte und mich in der Welt von Super Mario Odyssey verloren hatte. Nach der Drohung, meine Konsole aus dem Fenster zu werfen, sollte ich sie in den nächsten dreißig Sekunden nicht selbst weglegen, hatte Callum sie mir nach Ablauf der Zeit aus der Hand gerissen. Zwar war sie vor dem Fall aus dem Fenster letztendlich verschont geblieben, jedoch hatte Callum sie dafür in dem obersten Fach des Küchenschrankes platziert, an das ich alleine nicht rankam. Beleidigt wie ich nach der Aktion war, hatte ich mich schmollend zurück in mein Zimmer verkrochen und dem Briten deutlich gemacht, dass ich nun erst recht nichts mit ihm unternehmen würde. Keine Sekunde später hatte er mich mit einem Ruck über seine Schulter geworfen und aus der Wohnung getragen, nicht einmal Schuhe hatte ich mir anziehen dürfen.