Suzuka, 13. Oktober 2019
Müde schmiss ich mich auf das Bett in meinem Zimmer und schloss die Augen. Für einen Moment genoss ich die Stille und Ruhe, die ich nun hatte. Der Tag war mit Qualifying und Rennen an einem Tag vollgepackt und ziemlich anstrengend gewesen. So nervenaufreibend der Tag auch war, war ich ziemlich zufrieden. Ich beendete das Rennen auf P8, wobei ich auf P9 gestartet war. Das ganze Rennen lang schaffte ich es, mich im Mittelfeld zu behaupten und hatte mit dem Team die richtige Strategie gewählt.
Die Stille in meinem Hotelzimmer hielt nicht lange an. Bereits nach einigen Minuten klopfte es an meiner Zimmertür. Kurz dachte ich darüber nach, das Klopfen zu ignorieren und so zu tun, als wäre ich nicht da. Allerdings war das zum einem nicht meine Art und wenn jemand um 19:16 Uhr an meiner Tür klopfte, schien jemand dringend etwas von mir zu wollen, ehe ich morgen früh zurück nach Italien flog.
Damit richtete ich mich seufzend auf und lief zu meiner Zimmertür. Ich drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Als ich sah, wer vor mir stand, bereute ich, dass ich mir die Mühe gemacht hatte, aufzustehen und hätte die Tür am liebsten wieder geschlossen. ,,Was machst du hier?"
Charles schluckte bei dem kühlen Ton in meiner Stimme. Er spielte mit seinem Fingern, was er nur tat, wenn er sich unwohl fühlte oder nervös war.:,,Ich brauche jemanden zum Reden. Nach den letzten Wochen habe ich das Gefühl, dass ich jeden Augenblick den Verstand und die Kontrolle verliere."
,,Tut mir leid, aber da bin ich der Falsche" lehnte ich ihn schweren Herzens ab. Es fiel mir absolut nicht leicht, das zu sagen, da ich spürte, dass es ihm nicht gutging und anfing, mir Sorgen zu machen.
,,Pierre, bitte" hauchte Charles mit dünner Stimme und glasigen Augen, ,,ich weiß, dass zwischen uns nichts mehr so ist, wie es einmal war und es vermutlich nie wieder so sein wird, aber... ich brauche dich."
,,Du hast fünf Minuten, um mir alles zu erzählen, was dir auf dem Herzen liegt. Fünf Minuten" gab ich nach einem kurzen inneren Konflikt doch nach. Wir hatten uns vor Jahren versprochen immer füreinander da zu sein und ich würde es nicht mit mir selbst vereinbaren können, wenn ich dieses Versprechen nun nicht hielt und ihn im Stich ließ trotz all der Dinge, die wir uns im Streit an den Kopf geworfen hatten.
,,Danke" hauchte der Monegasse und betrat mein Zimmer, als ich die Tür weiter geöffnet hatte.
Nachdem ich die Zimmertür wieder geschlossen hatte, setzten wir uns zusammen auf mein großes Hotelbett. Charles blickte betrübt zu Boden und schien nicht zu wissen, wo er anfangen sollte. ,,Erzähl, was ist los?" hakte ich nun mit einem mitfühlenden Ton nach. Weder sollte er denken, dass ich mich nicht für seine Probleme interessierte, denn das tat ich, egal was jemals zwischen uns stehen würde, noch wollte ihn verschrecken und den Mut nehmen. In den vergangenen Jahren kam es nicht oft vor, dass Charles von sich aus offen und ehrlich über seine Gefühle reden wollte.
,,Nach dem Rennen habe ich Max im Paddock getroffen. Er war wütend und hat seinen ganzen Frust an mir ausgelassen, wobei ich es ihm nicht verübeln konnte. Ich habe einen Fehler gemacht und damit sein komplettes Rennen ruiniert" begann mein ehemaliger bester Freund zu erzählen und fing wieder an mit seinen Fingern zu spielen.
,,Fehler und Unfälle passieren auf der Strecke" entgegnete ich.
,,Aber sie dürfen nicht passieren, vor allem nicht mir in so einem Auto. Wir hätten als Team P1 und P2 holen können" seufzte Charles und blickte zu mir. Das schlechte Gewissen war ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben.
,,Manchmal hat man keine Einfluss auf das, was passiert. Jeder Fahrer hat schon Fehler gemacht und wird noch weitere Fehler machen. Du, ich, Seb, Max... wir alle sind nicht perfekt oder fehlerfrei. Das erwartet auch niemand von uns. Du bist Max nicht mit Absicht in die Seite gefahren und hast deine Strafe bekommen. Damit ist das Thema abgeschlossen und gehört zu den vergangenen Vorfällen" versuchte ich Charles die Vorwürfe auszureden, mit denen er sich selbst viel zu sehr unter Druck setzte.