Kapitel 3. Ankunft in Hogwarts

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Harry hatte es nicht noch einmal gewagt, die Augen zu schließen. Er zerbrach sich den Kopf darüber, warum er es ihm erlaubt hatte, in seinem Abteil sitzen zu dürfen. Sie hassten sich und das nicht erst seit gestern. Zu viel war in den Jahren passiert.

Er erinnerte sich an sein erstes Jahr, als er seine Eltern das erste Mal gesehen hatte. Das zweite Jahr, als er Ginny gerettet hatte und das erste Mal Tom Riddle, Voldemort, gesehen hatte. Das dritte Jahr, als er Sirius kennengelernt hatte und Harry einen Traum erfüllt hatte, als er ihn gefragt hatte, ob er später bei ihm wohnen wollte. Es war eine der glücklichsten Erinnerungen, die Harry hatte. Niemals würde er Sirius' Taten vergessen. Ihn genauso wenig.

Müde sah er aus dem Fenster und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen. Das letzte Jahr wurde eingeläutet. Von weitem konnte man die großen Türme Hogwarts' erahnen und schon den Verbotenen Wald erkennen; schwarz und dunkel wie eh und je.

Seit der Schlacht war Harry nicht mehr hier gewesen. Seine Mitstreiter waren geblieben und hatten noch beim Wiederaufbau geholfen, während er in das St.-Mungo-Hospital eingewiesen wurde und später bei den ganzen Gerichtsverhandlungen ausgesagt hatte. Wenn Harry jetzt die Augen schloss, konnte er immer noch die Trümmer erkennen, das heiße Feuer spüren, die Angst und Trauer fühlen, aber auch die Erleichterung, als er siegte.

Er blinzelte, er durfte auf keinen Fall die Kontrolle verlieren und seinem Trieb, schlafen zu gehen, nachgeben. Vor allem, wenn Malfoy still in der Ecke saß und ihn misstrauisch beäugte.

In diesem Moment öffnete Malfoy den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber augenblicklich wieder, als er Harrys Gesichtsausruck sah. Wütend raufte Harry sich, wie schon einmal diesen Morgen, durch sein braunes, verwuscheltes Haar und sah Malfoy abwartend an.

„Was willst du, Malfoy?", fragte er argwöhnisch.

„Ich-, vergiss es. Nicht der Rede wert", wies der Blonde den Gryffindor zurück und sah an ihm vorbei.

„Sag schon. Sonst schaust du mich noch die ganze Zeit so unverschämt an!", erwiderte Harry genervt und rieb sich über das Gesicht.

Der Slytherin schien zu überlegen, seine Stirn legte sich in Falten und seine Hände spielten mit einem Zipfel des sonst so glattgebügelten Umhangs. „Ich sage das nur einmal, Potter, also pass auf", nuschelte er mit belegter Stimme, immer noch mit sich ringend. „Danke, dass du mich aus dem Loch rausgeholt hast, ich bin dir was schuldig." Er biss sich auf die Lippe, als hätte er sich an was etwas Heißem verbrannt.

„Du bist mir nichts schuldig", erwiderte Harry beharrlich.

„Ich bin ein Malfoy, ich begleiche meine Schulden; immer", verteidigte er seinen Namen und sah ihm direkt in die Augen.

„Vielleicht wäre es aber langsam Zeit, Familientraditionen ruhen zu lassen."

Malfoy erwiderte darauf nichts mehr, sondern blickte mit starrem Blick auf den Boden. Sein Kiefer war angespannt und eine steile Falte hatte sich auf der Stirn gebildet, aber kein Ton kam über seine Lippen.

Mit einem Ruck kam der Zug zum Stehen. Laute Stimmen bahnten sich einen Weg zu Harry. „Harry? Wo bist du?" Hermines Stimme war trotz des lauten Treibens im Gang unverkennbar. Verschlafen rieb er sich über das Gesicht und packte seinen Koffer.

„Harry, da bist du ja! Wir haben dich die ganze Zeit gesucht. Wo warst-, Malfoy?!" Mit grimmigem Blick stellte Hermine sich ihm in den Weg.

„Granger, geh mir aus dem Weg", befahl Malfoy ihr mit bedrohlicher Stimme, aber sie bewegte sich nicht von der Stelle.

„Du hast hier nichts verloren!", zischte Ron, der sich neben Hermine gestellt und einen Arm um sie gelegt hatte.

„Ich bin frei, das solltest du ja bestens wissen, Weasley. Immerhin hat dein bester Freund für mich ausgesagt."

„Bild dir ja nichts darauf ein! Das war Mitleid, du kleines Frettchen!"

Erschüttert starrte Malfoy ihn an. Noch im gleichen Moment aber wechselte seine Gesichtsfarbe zu einem glühenden Rot. „Kein Wunder, Weasleys kennen nichts anderes, als bemitleidet zu werden! Du hast keine Ahnung!", knurrte Malfoy. Der Zorn in seiner Stimme war kaum zu überhören und ließ die drei zusammenzucken.

„Malfoy, Ron, es reicht!", schritt Harry mit kalter Stimme ein. „Du solltest gehen", sagte er an Malfoy gewandt.

Angewidert blickte Malfoy nochmal Ron an und zischte ihm zu. „Hör auf deinen kleinen Freund! Nächstes Mal wird es nicht so glimpflich für dich ausgehen!"

Beruhigend legte Hermine ihre Hand auf Rons Schulter. „Hey, beruhig dich. Er ist es nicht wert." Zähneknirschend und mit einem Todesblick drückte Malfoy sich an den beiden vorbei und ließ Harry alleine im Abteil zurück.

Eilig begaben sich die drei zu den Kutschen, die Stimmung war gekippt. Die Fahrt verlief still, jeder bei sich selbst. Irgendwann waren schon die Lichter zu sehen und es waren nur noch wenige Minuten bis zu der Ankunft in Hogwarts.

Nachdem sie angekommen waren und ausgepackt hatten, begaben sie sich direkt in den großen Saal, in welchem das neue Schuljahr eröffnet wurde. Von weitem konnten sie die anderen Gryffindors erkennen. Alle schienen anwesend zu sein, keiner hatte die Möglichkeit abgelehnt, das Schuljahr zu wiederholen. Seamus war mit Dean in ein Gespräch über Quidditch vertieft, Neville amüsierte sich mit Ginny und das Goldene Trio konnte unter sich sein. Lachend stupste Ron Neville an. Luna kam in diesem Moment auf sie zugelaufen und umarmte Neville stürmisch. Überrumpelt schloss Neville sie in die Arme und drückte ihr noch einen liebevollen Kuss auf die Wange. Sie hatten sich seit dem Krieg nur selten gesehen, obwohl sie jetzt ein Paar waren. Aber das war jetzt Vergangenheit, sie waren wieder zusammen in Hogwarts, ihrem zuhause.

Harry war überrascht gewesen, als er das Schloss erblickte. Die Trümmer waren beseitigt worden und alles sah wieder genauso aus wie vor der Schlacht. Die übrigen Todesser waren nach Askaban verschifft worden und hatten dort auf die anstehenden Gerichtsverhandlungen im Ministerium gewartet.

Mittlerweile waren die Meisten zu einem lebenslangen Aufenthalt in Askaban verurteilt worden oder ihren Verletzungen erlegen. Mit Ausnahme von Draco Malfoy. Er war dank Harrys Aussage ziemlich gut davon gekommen und hatte nur sechs Monate Bewährung bekommen, inklusiv drei Monate Zauberverbot. Es blieb Harry nicht unbemerkt, dass Malfoy von Mitschülern angestarrt, beleidigt und gedemütigt wurde, aber Malfoy zog nur die Augenbrauen hoch und ignorierte es.

Sie alle genossen das freudige Treiben während des Essens. Sie schlugen sich die Bäuche voll, lachten über die vielen Jahre, die sie gemeinsam erlebt hatten, weinten über die vielen Verluste, Ängste und Niederschläge.

McGonagall war aufgestanden und klatschte dreimal in die Hände. „Ruhe, bitte!"

Der Saal wurde ruhig und die Schüler sahen zu der neuen Direktorin.

„Herzlich Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Ich hoffe, wir werden gemeinsam ein neues Jahr der Hoffnung, Liebe und Freundschaft erleben. Gemeinsam stoßen wir an!" Sie hob ihr Glas und alle Schüler taten es ihr gleich. „Auf ein neues Jahr! Es hat sich vieles geändert, aber wir haben überlebt und das sollten wir feiern!"

Ein Raunen ging durch die Tischreihen. Ein paar Jungs von Ravenclaw fingen leise an zu klatschen. Immer mehr Schüler der anderen Häuser schlossen sich an und fingen an, zu jubeln. Ein tosender Applaus ging durch die Häuser.

Harry ließ seinen Blick schweifen. So gerne hätte er sich über den Sieg gefreut, aber er hatte es noch nicht abgeschlossen. Seine Gedanken schweiften zu Voldemort, Albträume verfolgten ihn jede Nacht und er trauerte. Trauerte um die vielen Gefallenen. Verstohlen schielte er in Richtung Slytherin. Sogar diese hatten zu seiner Überraschung leise applaudiert. Malfoy war still geblieben, hatte kein einziges Mal seine eisige Miene verzogen; war zu Eis erstarrt. 

Kɪɴɢᴅᴏᴍ ᴏғ Hᴏᴘᴇ ¦¦ᴰʳᵃʳʳʸWo Geschichten leben. Entdecke jetzt