Puppentheater

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Selma legt Alfred eine Hand auf die Schulter.

"Alles in Ordnung?" fragt sie, denn der Kerl macht einen ganz bekümmerten Eindruck auf sie.

"Jaja." behauptet er. "Alles super."

"Sicher?" bohrt Selma nach, denn er scheint unfähig dazu, ihr in die Augen zu schauen und das hat sie schon vor Jahren als ein Warnsignal ins Gedächtnis aufgenommen.

"Mir geht's gut." behauptet Alfred fest und spreizt die Finger, um sie zu entkrampfen. Das macht er nur, wenn er sehr nervös ist. In der Schule hat er das schon gemacht, wenn es darum ging, etwas vor der Klasse vorzutragen.

"Ich muss nur...Ich muss nur kurz durchatmen."

Er schaut zur Decke und blinzelt angestrengt.

"Ist was passiert?" fragt Selma.

"Nah." sagt Alfred und das ist ausnahmsweisemal tatsächlich keine Lüge.

Er sieht sie an. "Und bei dir? Ist dir schon jemand auf den Geist gegangen?"

"Ach... Es ging." spielt Selma die Situation herunter. Sie hatte schon vorgehabt, sich zusammen mit Alfred über seinen Bruder abzulästern. Nun lässt sie es doch bleiben, denn er steht sichtbar unter Strom.

"Nur stellt jeder mal Fragen. Viele, viele Fragen. Ist auf Familienfeiern immer so. Ach ja, ich hab vorhin auch deine Mutter getroffen. Sie hat mich genauso durchlöchert, aber ich hab irgendwie das Gefühl, keiner hier will wirklich was über mich wissen, sondern durch mich etwas über dich erfahren, verstehst du?"

"Was wollte sie denn?" fragt Alfred nach und Selma hebt die Schultern. "Ach, Zeugs halt. Wie wir wohnen, was wir arbeiten, ob wir über Kinder nachgedacht haben..."

Alfred wird hellhörig. Alarmiert schaut er Selma an. "Was hast du da gesagt?"

"Dass sich Kinder in meinem Leben nicht einrichten lassen. Wir sind beide zu beschäftigt." antwortet Selma hemmungslos.

"Selma.." meint Alfred bestürzt. "Das kannst du ihr so nicht sagen."

Selma lässt entkräftet Luft raus.

"Ich darf dies nicht sagen, ich darf jenes nicht sagen...Soll ich mich gleich vor den Herd stellen und die Klappe halten?"

Alfred hebt beschwichtigend die Hände. "Du hast das falsch verstanden. Sie hat schon früher einen Aufstand gemacht, weil die Anna keine Kinder will. Was glaubst du, was sich Thomas schon anhören musste?"

"Wie's der Anna dabei geht, juckt dich wohl ned?" fragt Selma leicht angesäuert.

Alfred hält inne und muss unwillkürlich an Martin denken, der Selma mit seinen Worten im Grunde einem Gegenstand gleich gemacht hatte, den man sich erarbeiten muss. Er denkt an das bescheuerte Gedicht von Adam und Eva, über das selbst Emanuel nur den Kopf schütteln konnte und Emanuel ist dazu noch ein Dämon. Alfred hat sich schon oft über die Mentalität anderer Männer geärgert und jetzt benimmt er sich fast genauso.

"Selma, es tut mir Leid..." versucht er, die Sache wieder gutzumachen. "Schon gut." behauptet Selma, aber Alfred bemerkt schnell genug, dass er sie verletzt hat.

"Ich geh was trinken." murmelt Selma und drängt sich an ihm vorbei. Alfred bleibt da stehen, wo er ist und spürt, wie ihm ein schmerzlicher Scham durch alle Glieder fährt. Als es nicht besser wird, setzt er sich in Bewegung, in irgendeine Richtung, über die er nicht nachdenkt.

Irgendwann findet er sich auf der Herrentoilette wieder, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Er hört, wie sich eine der Klotüren öffnet und schließlich sein Cousin Jonas dahinter zum Vorschein kommt. Er würdigt Alfred keines Blickes, sondern geht eilig an ihm vorbei. Alfred schaut ihm verwirrt hinterher.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt