"Was sagst du?!" Alfred knallt fast mit dem Kopf gegen die Schreibtischlampe, die weit über seinen Zeichnungen hangelt. Es kann unmöglich sein, dass er gerade richtig verstanden hat."Du hast schon gehört." erwidert Selma gefasst. "Er sagt, er sei ein Dämon."
Alfred schüttelt ungläubig den Kopf. Dann legt er den Telefonhörer ans andere Ohr. "Du veräppelst mich doch."
Aber Selma würde im Traum nicht einfallen, irgendwen zu veräppeln. Vor allem jetzt nicht. Am Esstisch sitzt ihr ein Dämon gegenüber, der sich als Emanuel vorgestellt hat und dessen Erscheinungsbild nun hauptsächlich menschlich ist. Noch immer scheint etwas ein wenig seltsam an ihm, wenn man lange genug hinsieht, doch seine völlig normalen, braunen Augen sehen nur gleichgültig zurück.
Emanuel hat sich weit zurückgelehnt und die Arme lässig hinterm Kopf verschränkt, als interessiere er sich kein Stück für jegliche Sitten und ungeschriebene Regeln der Höflichkeit. Er grinst der telefonierenden Selma entgegen. "Grüß ihn von mir."
Selma beachtet ihn nicht.
"Was hast du mir da ins Haus geholt?" zischt sie vorwurfsvoll ins Telefon. "Ich?" entgegnet Alfred empört. "Wieso ich?"
Selma wirft einen flüchtigen Blick auf die Vase, in der sich am Tag zuvor noch die Sonnenblume befunden hat.
"Ja du. Du hast angefangen mit den Geistergeschichten."
"Also Geist und Dämon ist schon ein Unterschied." wirft Qamar ein, die neben Emanuel am Tisch sitzt. Die letzte halbe Stunde hat sie kein Wort hervorbringen können und stattdessen das dämonische Wesen neben ihr mit einer kindlichen Faszination betrachtet. "Ich wusste doch gleich, dass da was Größeres ist. Tante Aylin würde nie so einen Krach machen."
Emanuel schaut verärgert zu Qamar. "Ach, deine Tante war des? Die ging mir die ganze Zeit auf die Nerven. Die wollt mich aus dem Haus jagen und dann hat die Hexe versucht mich in den Schrank zu sperren."
Tatsächlich war der Geist der alten Aylin, der noch immer inmitten dieser Hauswände wandelt, nicht besonders begeistert von der fremden, höllischen Anwesenheit. Die ganze Nacht über schimpfte sie Emanuel die Ohren voll, er solle bloß ihr Haus verlassen und ihre guten Madel in Frieden lassen. Darauf erzeugte Emanuel unregelmäßige, aber dennoch nervtötende Klopfgeräusche in den Heizungsrohren, um die alte Aylin zu provozieren. Darauf jagte diese ihn mit einem Nudelholz durch die Flure.
Qamar lächelt in sich hinein.
"Könntet ihr für einen Moment ruhig sein?" bittet Selma. "Ich telefoniere."
"Mit mir." antwortet Alfred am anderen Ende. "Obwohl ich nicht versteh, was du jetzt von mir willst." fügt er hinzu und Selma legt sich erschöpft eine Hand auf die Stirn.
"Schau zu, dass du deine vier Buchstaben hierher bewegst."
Augenblicklich richtet Emanuel sich auf und setzt sich relativ gerade hin. "Nein, nicht hierher. Er soll sich in eine Kneipe hocken."
Selma legt eine Hand auf den Hörer und legt verwirrt die Stirn in Falten. "Eine Kneipe?"
Emanuel verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust. "Ganz genau."
Gleichzeitig zu diesen Begebenheiten, hält ein 65er Jahre VW Bulli vor dem Drive In eines McDonald's. Knurrend bleibt der Wagen vor dem Bestellfenster stehen und die McDonald's-Angestellte, die Lisa heißt und soeben noch damit beschäftigt war, ihre Fingernägel zu feilen, verdreht genervt die Augen und betätigt den Lautsprecherknopf.
"Willkommen bei McDonald's, wie kann ich Ihnen helfen?" murrt sie den Spruch, der ihr inzwischen schon automatisch über die Zunge rollt, und welchen sie Nachts in ihren Albträumen hört.
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Keine Ruhe in Frieden [Roman]
Fiction généraleEigentlich hätte sich Emanuel ja denken können, dass ihn keineswegs das Paradies erwartet. Nach seinem plötzlichen Tod sollen auf einmal alle möglichen himmlischen und höllischen Mächte darüber entscheiden dürfen, was mit seiner Seele passiert! Tat...