Es ist ein trüber Februarmorgen, als Emanuel schweißgebadet zu sich kommt. Das kann erstmal nur bedeuten, dass er zuvor eingeschlafen war. Das Schlafen ist ihm noch immer möglich, doch da er es nun nicht mehr zwingend tun muss, um seinen Körper Energie sparen zu lassen, versucht er die temporäre Ohnmacht zu vermeiden. Immerhin ist es unnötig und stiehlt ihm Zeit, die er für andere Dinge aufwenden könnte, wie zum Beispiel die Lichter im Einkaufszentrum ausknipsen und dann zugucken, wie die Leute in Panik geraten.Emanuel ärgert sich jedes Mal, wenn er unvorhergesehen einpennt.
Beim Öffnen der Augen, blendet ihn das Licht, welches durch die Balkontür fällt. Es muss geschneit haben, so hell ist es plötzlich. Da ist ein fernes Dröhnen in seinen Ohren. Emanuel will sich aufrichten. Als sich seine Sicht scharf stellt, fällt sein Blick auf die Küche in der Ecke. Und er vernimmt Geräusche. Ein ohrenbetäubendes Surren zerfetzt die Stille und Emanuel purzelt vor Schreck fast von der Couch
Blindlings greift er nach der Sofalehne. Erst dann wird ihm das Ausmaß des Szenarios so wirklich klar. Er liegt der Länge nach auf dem Sofa, welches Alfred vor ein paar Wochen gekauft hat. Er erinnert sich noch daran, wie sie im Möbelhaus diskutiert hatten, denn Emanuel war der Meinung, dass die Farbe kein bisschen zur Inneneinrichtung passe. Für einen Künstler beweist Alfred manchmal eine ausgeprägte Geschmacksverirrung. Letztendlich hat er das Sofa dennoch gekauft und wie Emanuel meint, hat er das nur getan, um ihn zu verärgern.
Als sich Emanuel zurück nach oben hievt, kommt Alfred hinter der Lehne zum Vorschein.
"Guten Morgen." grüßt er, ungewöhnlich gut gelaunt. "Kaffee?"
"Nah." Bei Alfreds Anblick überkommt Emanuel urplötzlich das Gefühl, etwas bestimmtes geträumt zu haben, ohne sich daran zu erinnern, was genau.
"Sicher ned?" hakt Alfred nach. Sein schwarzes Haar ist vom Schlafen etwas zerzaust.
"Oder doch, ja." meint Emanuel letztendlich. Ein Kaffee klingt vielleicht doch nicht so schlecht. Draußen hat es tatsächlich geschneit. Welcher Tag ist heute eigentlich?
"Der Zwölfte. Oder der Dreizehnte." meint Alfred, als er gefragt wird. Er ist sich selbst nicht ganz sicher.
"Hoffentlich dann kein Freitag." murmelt Emanuel. Er fühlt sich komisch, in seinem Kopf geistert irgendwas herum. Das Phantom von irgendwas Geträumtem, das ihm über Nacht den Schweiß über die Haut getrieben hat.
"Nah. Es ist der Tag des Herrn." witzelt Alfred und platziert eine Kaffeetasse auf den Couchtisch. Dieser war an manchen Stellen befleckt von Farbklecksen, die an eine Zeit erinnern, als dieser Tisch zur Aufstapelung von alten Joghurtbecherdeckeln herhielt, welche Alfred als Farb- und Mischpaletten verwendet.
Emanuel stiert die Tasse an. Sein Blick gleitet Alfreds sehnigen Unterarm entlang, der unter dem weichen Ärmel zum Vorschein kommt. Seine schmalen Handknöchel gehen elegant in seine Hände über und Emanuel würde behaupten, dass er zuvor noch nicht einmal Frauen mit derart dünnen Fingern begegnet war. Man sieht Alfreds Händen an, dass sie künstlerisch tätig sind. Emanuel könnte nicht in Worte fassen, inwiefern. Es ist einfach so.
Rein objektiv betrachtet, hat er Alfred schon immer als attraktiv empfunden. Dabei handelt es sich weniger um eine persönliche Bewertung, sondern vielmehr um eine offensichtliche Tatsache. Als er in der Schulzeit Gedichte über Ganymed lesen musste, hatten seine Vorstellungen vom Schönsten aller Sterblichen gewisse Ähnlichkeiten mit einem Mann von Alfreds Aussehen. Oder vielleicht denkt er das auch nur im Nachhinein.
Genau sowas wäre doch ein perfekter Gesprächsbeginn. Griechische Mythologie. Alfred redet gerne von sowas. Er hatte schon Bilder gemalt von Spinnen, die einen Kriegshelm in ihr Netz einwickeln, da ihn die Geschichte der Arachne eine Weile lang beschäftigt hatte. Emanuel fällt nur jetzt ein, dass er nicht einfach so aus dem Nichts damit anfangen kann, irgendwas von den Griechen zu faseln.
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Keine Ruhe in Frieden [Roman]
Ficção GeralEigentlich hätte sich Emanuel ja denken können, dass ihn keineswegs das Paradies erwartet. Nach seinem plötzlichen Tod sollen auf einmal alle möglichen himmlischen und höllischen Mächte darüber entscheiden dürfen, was mit seiner Seele passiert! Tat...