Heimkehr

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Es ist längst dunkel, als Alfred nach Hause fährt. Seine Nichte macht allerdings nicht im geringsten den Eindruck, auch nur ansatzweise erschöpft zu sein. Sie schwatzt in ein Loch hinein und rutscht übermütig auf ihrem Sitz herum. Ein wenig irritierend ist das schon, aber Alfred sagt nichts. Er kann sich daran erinnern, dass Martin das als Kind auch immer gemacht hat und dafür hin und wieder einen Klaps kassierte.

"Das war mit Abstand der bisher beste Tag meines Lebens!" verkündet Silvia glücklich und das nicht zum ersten Mal. Das breite Lächeln auf ihrem Gesicht beginnt schon langsam weh zu tun, aber erst dadurch weiß sie, dass das alles echt ist.

"Freut mich, dass'd Spaß hattest." meint Alfred. "Selma kann dem Timon ausrichten, dass es dir so gefallen hat, er wird sich darüber freuen."

"Und du bist ganz sicher, dass du ihn nich doch süß findest?" Silvia geht auf Nummer sicher. "Nicht mal a bisserl?"
"Ich geb zu..er hat definitiv ein Gesicht." antwortet Alfred und verkneift sich ein Lächeln, als Silvia ein genervtes "Du bist doof." von sich gibt.

"Was ist mit dir?" fragt Alfred zurück. "Du scheinst Kontakte geknüpft zu haben."
Er wirft einen kurzen Blick zur Seite und sieht, wie Silvia an ihrem Rock herumfummelt. "Sein Name ist James."
"Natürlich ist es das." schmunzelt Alfred. "Es ist immer irgend so'n englisches Ding."
"Mmh." brummt Silvia vor sich hin. Mehr sagt sie nicht.
"Sei nur vorsichtig mit sowas." durchbricht Alfred irgendwann die Stille. "Mit den Buben, meine ich."

"Ist gut, Papa."

"Du, ich mein's ja nur gut."

"Ich weiß, Papa."

Alfred entwischt ein Seufzer. In einer kaum befahrenen Straße fährt er rechts ran und knipst die Warnblinker an. Silvia registriert das alles recht verwundert.
Er sagt erst eine Weile lang nichts, sondern sitzt nur da und trommelt mit den Fingern leise gegen das Lenkrad. Es hat den Anschein, als müsse er hohe Konzentration aufbringen, um etwas zu verarbeiten, was ihn schon viel zu lange beschäftigt.
"Wir müssen reden." sagt er endlich und niemals, in der gesamten Menschheitsgeschichte, hat dieser Satz jemals etwas gutes bedeutet.

"Okay?" bringt Silvia hervor und weiß nicht genau, wie sie dreinschauen soll.

"Ich versteh, wenn du ned darüber reden willst.." fängt Alfred langatmig an. "Du musst es mir auch ned unbedingt sagen...obwohl's mir schon lieb wär, wenn du ehrlich bist. Hör zu, Ich kenn deinen Vater. Der Detlef war schon immer...recht konservativ...und rechthaberisch. Was ich meine ist...es fällt mir ned schwer zu glauben, dass sich mit ihm leicht n Streit anfangen lässt. Dass er vielleicht...im Eifer des Gefechts...ned wirklich nachgedacht hat. Vielleicht voreilig gehandelt, verstehst du?"

Silvia blinzelt ihn langsam an.
Alfred räuspert sich.
"Weil er womöglich ned ganz einverstanden war...mit alledem." Er deutet mit ungelenken Handbewegung auf seine Nichte.
"Du meinst, dass er mich rausgeschmissen hat." begreift diese schließlich. Alfred sieht von ihr weg und nickt langsam. "Nein." sagt Silvia. "Hat er net."

Alfred atmet erleichtert aus.

"Wieso? Hast Angst, dass du mich behalten musst?" fragt Silvia und das sollte lediglich eine humoristische Bemerkung sein, aber Alfred ist so gar nicht zum Lachen zumute.
"Hör doch auf." wehrt er ab. "Mir ist das ganze einfach ned geheuer. Ich weiß schon, dass Bettina diesen Trip eingefädelt hat, aber dein Vater würde dich niemals zu mir nach Wien fahren zu lassen."

Silvia hat dem nichts hinzuzufügen. Es fällt ihr scheinbar auch nicht ein, irgendwas zu bestreiten. Sie sitzen eine Weile bei unangenehmem Schweigen nebeneinander.
"Er weiß nämlich gar ned, dass du hier bist." sagt Alfred irgendwann vor sich hin. "So ist es doch."

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt