Einzelhaft

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Die Stille zwischen ihnen ist ohrenbetäubend.

"Was?" Emanuel bringt kaum die Lippen auseinander. Seine Gehirnzellen arbeiten Überstunden, während Alfred ihn nur anstarrt, aber ihr Gehalt entspricht keinem Mindestlohn. "Du verarschst mich."

Alfred schüttelt den Kopf. Emanuel erinnert sich sofort an den Vorfall nach der Beerdigung von Johann Pichler. Vor seinem inneren Auge sieht er Alfreds blassen Körper in den See hinabsinken. Ihm fährt ein eiskalter Schauer über den Rücken. "Hast...hast du versucht, dich umzubringen?"

Alfred schaut ihn entsetzt an. "Was? Nein, hab ich nicht!"

"Wie kommst du dann darauf, dass du depressiv bist?"

Alfred atmet tief durch und macht sich bereit, die Geschehnisse der letzten Monate in Worte zu fassen. "Ich hab...vor einer Weile...damit angefangen, einen Therapeuten aufzusuchen. Ich...wollte das eigentlich nie, auch wenn Selma es mir immer aufgeschwatzt hat...es hat zugegeben auch ziemlich gedauert...und dann war's mir dort immer so unangenehm, aber...Das Fräulein war wirklich sehr nett und...sie hat mir sehr direkte Fragen gestellt...nun das Ergebnis war eindeutig."

Emanuel sagt nichts.

"Es tut mir so Leid, dass ich es dir ned gesagt hab." wiederholt Alfred leise. Er wird sichtlich von einem schlechten Gewissen geplagt. "Da war kein wirklicher Grund oder so, ich hab...Ich hab nicht etwa gedacht, dass du's ned begreifen würdest, es war nur-"

"...Bin ich dran schuld?" fragt Emanuel.

Alfred hebt alarmiert den Kopf. "Nein..Nein! Denk ned einmal dran! Das ganze war eigentlich längst überfällig. Es gab einfach so viel, was ich tief in mir vergraben hatte, selbst Selma weiß nicht alles davon. Mir wurde auch gesagt, es besteht die Möglichkeit, dass ich das schon...sehr viel länger habe...wahrscheinlich schon seitdem ich ein Kind war."

Emanuel schweigt eine ganze Weile und schaut dann weg. "Es macht mich schon a bisserl traurig, dass du's mir ned gesagt hast."

Alfred lässt seine Hand los. "Warum bist du jetzt so kalt zu mir?"

"Du bist krank und du hast es mir nicht gesagt." meint Emanuel leise und kann ihn nicht mal mehr richtig anschauen.

"Emanuel..." Alfred merkt, wie seine Stimme abbricht und nach einer ganzen Minute der Fassungslosigkeit schlägt er sich plötzlich die Hand vor den Mund, steht in Windeseile auf und macht sich eilig auf den Weg ins Bad. Die Tür fällt ins Schloss.
Emanuel kommt erst wieder so richtig zu sich, als er die Würgegeräusche hört.

Er geht ins Badezimmer, wo sich ihm das Bild präsentiert von Alfred, der über der Toilettenschüssel hängt und sich gottserbärmlich den Magen entleert, während Mephisto ratlos um ihn herum tapst. Erst nach quälend langen Minuten kann sich Alfred endlich, wenn auch leicht außer Atem, vom Toilettenrand entfernen.

Emanuel macht vorsichtig einen Schritt näher. "Besser?"

Alfred versucht, sich zu beruhigen, bevor es ihn wieder würgt, er dreht sich um und alles geht von vorne los.

"Hast du so schlimm gesoffen?" wagt es Emanuel zu fragen und muss seine Stimme heben, um trotz all dem Erbrechen gehört zu werden. Alfred gibt nur ein verzweifeltes, unentschlossenes Geräusch von sich, dann zieht er die Spülung.

Depression.

Emanuel weiß so gut wie nichts über Depression. Für ihn heißt das Traurigkeit und Suizid, aber anscheinend hat er noch einiges zu lernen. Wenn es bei Alfred wirklich eine Diagnose gegeben hat, dann ist ihm sicherlich etwas verschrieben worden.
Der Blick des Dämons richtet sich auf seinen leidenden Freund. "Nimmst du... Antidepressiva oder irgendsowas?"

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt