"Darf man fragen, wo man gewesen ist?" röchelt das Maultier, als er das Geräusch der Tür hinter sich vernimmt, ohne sich danach umdrehen zu müssen.
Judas bleibt stehen. "Du weißt genau, wo ich war.""Ich weiß mit wem." raunt das Maultier dem Krokomat zu, welches neben ihm sitzt und aus Selbstschutz nur ein vertrauliches Lächeln von sich gibt.
"Wo ist Helia?" will Judas wissen.
"Mit der solltest du dich lieber nicht abgeben, falls du vorhast, dich in den Apostel-Club rein zu schleimen." erwidert das Maultier. "Was hält dein Sandalen-Kumpel überhaupt davon, dass du nach eurem kleinen Auslandssemester wieder hier unten antanzt?"
Judas läuft gereizt umher und macht eine Tür nach der anderen auf. "Ich hab echt keine Zeit für deinen Scheiß jetzt.""Sie ist im Büro am Ende des Korridors." mischt sich Krokomat endlich ein, um dem vorprogrammierten Konflikt aus dem Weg zu gehen.
"Danke." Judas würdigt die beiden keines Blickes mehr, als er sich längst auf den Weg macht. Im engen Flur zwischen den Büros flackern einzelne ausgebrannte Neonröhren und der wohlbekannte Geruch von Staub und Teppichboden steigt ihm in die Nase. Nach fast einem ganzen Jahr der Abwesenheit kann er das Altvertraute aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Judas hat das Gefühl, nach langer Zeit der zombie-ähnlichen Trance plötzlich erwacht zu sein. Es ist ein furchtbar einengendes Gefühl."Herein!" Helias Stimme folgt unmittelbar auf sein Klopfen.
"Ich muss mit dir reden." kommt Judas auch schon sofort zur Sache. Helia legt ihren Stift beiseite. "Du hast vielleicht Mumm." Ihr zu groß geratener Bürostuhl quietscht unter ihr, als sie sich zurücklehnt. "Wundert mich, dass du hier unten auftauchst. Ich bin davon ausgegangen, du würdest dich inzwischen für was besseres halten."
Judas schüttelt verwirrt den Kopf. "Warum sagt ihr das alle? Ich hab Urlaub beantragt und das schon mehrere Wochen im Voraus!"
"Es gibt so Spaßvögel, die erst Urlaub nehmen und am nächsten Tag die Kündigung einreichen." argumentiert Helia gelassen, so als sei das ein bisher unentdecktes Konzept, und währenddessen notiert sie etwas in ihrem kleinen Büchlein.
Judas fährt sich mit den Händen unsicher über die Hosentaschen. Das hier muss schneller gehen.
"Darf ich mich setzen?""Mach, was du willst."
Sie hat sich kaum verändert. Nichts an diesem Ort hat sich verändert. Wie die restlichen Büros wird auch dieses hier durch schief hängende, kaputte Rollläden verdunkelt, während die einzige funktionstüchtige Lampe vor sich flackert, der Drucker, der sich kränklich räuspert, die Spinnenweben, die über den Regalen von der Decke hängen und die Ringbuchordner, die vor sich hin stauben. Hier in diesem Moment, in welchem er in der Mitte des Raumes vor diesem Schreibtisch steht, ist er sich nicht mehr ganz sicher, wie er das alles um die zweitausend Jahre lang hatte ertragen können.
"War dir bewusst, dass Emanuel Ebner einen Pakt mit Lilith eingegangen ist?"
"Ich dachte, du wolltest dich setzten."
"Hörst du mir überhaupt zu?" Judas nähert sich dem Schreibtisch und legt demonstrativ die Hände an die beiden vorderen Kanten. "Du reagierst gar nicht auf das, was ich grad gesagt habe."
"Warum sollte es mich interessieren, was Lilith treibt?" Helia reagiert kaum auf seinen Ausbruch. "Mich interessiert eher, ob du Isopoda mal zufällig über den Weg gelaufen bist. Er benimmt sich so seltsam die ganze Zeit und jetzt ist er schon so lange weg. Ich hab die Befürchtung, ihn hat wieder der Staubsauger erwischt."
"Isopoda ist so ziemlich damit beschäftigt, deinem seltsamen Vergeltungsplan nachzukommen-"
"Wer hat was von Vergeltung gesagt?" fällt ihm Helia ins Wort und erst jetzt bilden sich die Anfänge gereizter Mimik auf ihrem Gesicht. "Ich halte nichts von Vergeltung." Sie gibt ihm ein warnendes Handzeichen. "Red bloß nicht so über mich. Ich bin nicht wie Luzifer, der heute noch rumheult, weil er rausgeschmissen wurde. Rausgeschmissen zu werden war das beste, das mir je passiert ist. Ich steck nicht in dieser ewigen Opfermentalität drin."
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Keine Ruhe in Frieden [Roman]
General FictionEigentlich hätte sich Emanuel ja denken können, dass ihn keineswegs das Paradies erwartet. Nach seinem plötzlichen Tod sollen auf einmal alle möglichen himmlischen und höllischen Mächte darüber entscheiden dürfen, was mit seiner Seele passiert! Tat...