Coming Home

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"Ist ja alles schön und gut." meint das Maultier. "Aber hätten wir den da wirklich mitnehmen müssen?" Er deutet hinter sich, wo sich der Erzengel Gabriel auf der Rückbank verkrochen hatte wie eine Hauskatze, der es vorm Tierarztbesuch graust. Er sitzt dicht an die Wagentür gedrängt, wie um einen möglichst großen Abstand zwischen sich selbst und Isopoda aufzubauen, der ihm vom anderen Ende des Rücksitzes hin und wieder höchst misstrauische Blicke zuwirft.

"Er kam bei dem Tumult dazwischen." meint Helia schlicht während sie sich in ihrem kleinen Schminkspiegel betrachtet. "Wer weiß, wie bald er sich da oben wieder blicken lassen kann. Wir werden ihn schon wieder los."

"Das hoff ich für dich." murmelt das Maultier griesgrämig. Ihm bekommt die Anwesenheit des Engels jetzt schon nicht. Der Geruch von Kerzenwachs und Spießigkeit lässt ihn einen leichten Schwindel erfahren und gewissen Ekel empfinden.

Gabriel für seinen Teil, hat Schwierigkeiten, sich in seiner neuen Umgebung zurechtzufinden. Die schwülen Temperaturen, welche in dem Distrikt des Purgatory Inc. vorherrschen, machen dem Engel zu schaffen. Zudem fürchtet er die Eskalation seiner Platzangst, denn die Straßen der Hölle sind überlaufen von allerlei kuriosen Kreaturen und den unterschiedlichsten Fahrzeugen, die sicher niemals eine TÜV-Prüfung bestanden haben. Manche sind groß und ungestüm, schwarz und verkohlt und werden anscheinend nur noch von Tesafilm und einigen lebensmüden Schrauben zusammengehalten. Andere wirken hochmodern, glänzten bunt auf Silber wie eine frische Ölspur und aus ihnen dringt so laut Musik, dass man sich um das Gehör der Insassen sorgen müsste. Hustend wedelt Gabriel eine stinkende Rauchwolke von sich weg, während er der Gruppe an Dämonen in das Büro folgt.

Dort sieht es nicht besser aus. Es ist düster, die Rollläden hängen aus den Angeln, so wie auch die meisten Türen. Alles ist zugestellt mit Kartons, in denen irgendein Ramsch vor sich hin staubt oder mit langen Schränken, dessen Regale sich ächzend unter dem Gewicht schwerer Ordner und unnötigem Plunder verbiegen.

Mit sogenanntem Plunder kann Gabriel sich nur zu gut identifizieren. Auch er fühlt sich in dem kleinen Bürogebäude äußerst fehl am Platz, insbesondere da alle anderen sich offenbar problemlos selbst zu beschäftigen wissen. So nutzlos hat er sich seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gefühlt.

Der Krokomat öffnet die kleine Glastür an seinem Bauch und hält dem Erzengel den Abklatsch irgendeines Erfrischungsgetränkes hin, welches er zögernd annimmt.

"Ist gut für die Nerven." meint der Krokomat. "Aber pass auf, dass es nicht Feuer fängt."

Gabriel schreckt entsetzt auf. "Was?"

Der Krokomat hebt die Krokodilschultern. "Ja, passiert manchmal. Hier unten fängt häufiger mal irgendwas damit an, in Flammen aufzugehen. Nur dass du Bescheid weißt."

Gabriel kratzt sich unsicher am Hinterkopf. "Äh...vielen Dank. Ähm...die Gastfreundschaft hier unten ist wirklich...herzerwärmend."

Die meiste restliche Zeit verbringt Gabriel damit, im Weg herumzustehen oder Helia hinterherzudackeln, da er zu sonst keinem der Anwesenden einen wirklichen Bezug hat. Dem Maultier traut er nicht über den Weg und um Isopoda macht er am besten einen großen Bogen. Die rot glühenden Facettenaugen lauern schon seit der Flucht aus dem Himmel™ permanent auf ihm. Selbst wenn er den Dämon nicht in der unmittelbaren Nähe weiß, fühlt sich Gabriel nicht sicher. Isopoda ist groß und kräftig, er könnte den Engel sicher in weniger als zehn Sekunden zu einem Federkissen verarbeiten.

"Gibt es irgendwas, das ich tun kann?" erkundigt sich Gabriel mit derselben Corporate-Stimmlage, die er im Himmel™ für geschäftliche Angelegenheiten verwendet.

"Für den Anfang kannst du zur Abwechslung mal nicht im Weg rumstehen." erwidert Helia, die in einem Bürozimmer emsig von einem Kopierer zum nächsten wuselt. "Hier, halt das mal." Sie drückt Gabriel einen fetten Papierstapel in die Arme.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt