Que sera...

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Emanuel schaut seine Hände an. Sie flimmern vor seinen Augen wie ein Zeitraffer aus blauer Farbe. Tatsächlich kommt er sich vor, als sei er nicht mehr als nur ein blauer Farbklecks. Er erkennt eine schwarze Umrandung, die ihn wie eine krumme Zeichnung umgibt, jedoch nicht in der Lage zu sein scheint, sich entscheiden zu können, ob sie nun zu seiner Form dazugehören will oder nicht.

"Da bist du." äußert sich eine weibliche Stimme, die vor Grimmigkeit nur so trieft. "Du warst noch nie pünktlich zu irgendwas."

Emanuel ist nirgendwo. Er befindet sich in einem breiten Garnichts. Er blinzelt angestrengt in die Dunkelheit. Ein ganzes Stück von seinem Blickfeld entfernt flimmert ein violettes Irrlicht. Leicht flackernd verweilt es an Ort und Stelle und fast glaubt Emanuel, ein leises, rhythmisches Quietschen zu hören. Sein unförmiger Körper setzt sich langsam und eher unfreiwillig in Bewegung, denn dass er sich überhaupt vom Fleck gerührt hat, merkt Emanuel erst an dem plätschernden Geräusch, welches bei jedem Schritt entsteht. Bei einem Blick nach unten erschließt sich ihm, dass er durch eine Art Moorlandschaft watet. Ein sonderlich angenehmer Gedanke ist das nicht, denn von der Landschaft selbst ist nicht viel zu sehen.

Irrlichter sind dafür bekannt, dass sie ahnungslose nächtliche Wanderer hinter sich herlaufen lassen, um sie ins Verderben zu locken. Emanuel ist innerlich hin und her gerissen, was die Frage betrifft, ob er solchen Geschichten Glauben schenken soll. In Wien war er zumindest noch keinem Irrlicht begegnet. Letztendlich spielt es keine Rolle, auf was er sich festgelegt hätte, er wäre ohnehin nicht stehen geblieben. Die Neugier ist zu groß, und da er keine Katze und dazu eh schon längst tot ist, müsste er sich womöglich keine allzu großen Sorgen machen.

Das Licht flackert inzwischen direkt vor ihm und beim genauen Hinsehen muss Emanuel dem Eingeständnis Platz machen, dass die Neugier sehr wohl auch seinen Tod bedeuten kann. Und da glaubt man, man stirbt nur einmal.

Das Licht umgibt eine Frau, die aussieht, als habe man sie flüchtig auf lilafarbenes Krepppapier gekritzelt. Sie zieht mürrisch an einer Zigarette. "Was starrst so rum? Kann man jetzt ned mal mehr grüßen?"

"Mama." sagt Emanuel ungläubig. Sein Blick verfinstert sich. "War mir klar, dass ich dich, wenn überhaupt, erst hier unten wiedersehe."

Elfriede Ebner, oder zumindest eine Erscheinung von ihr, sitzt in einem schlichten Schaukelstuhl, der sanft vor und zurück schaukelt, und schaut dabei missbilligend zu ihrem Sohn hinauf. Zu Lebzeiten hat sie nie eine derartige Sitzangelegenheit in Anspruch genommen, sie hatten zuhause nur normale Stühle und es ist auch nicht so, als habe Elfriede ein sonderlich hohes Alter erreicht.

Sie war erst neunundvierzig Jahre alt, als sie starb und auf diese neunundvierzig Jahre wäre niemand stolz gewesen.

"Du bist auch hier unten, ned?" erinnert sie ihn. "Du bist kein bissl besser als ich."

"Ich bin immerhin keine Giftschlange." kontert Emanuel mürrisch. Was ihm in diesem Moment entgeht, ist die Tatsache, dass Gift vererbbar ist. Wer von Giftzähnen gebissen wird, trägt das Tödliche nun ebenfalls in sich und vergiftet damit den Nächsten.

"Du g'hörst genauso hier runter wie ich." stellt Elfriede ruhigen Blutes klar. "Bei dem Scheißdreck, den du immer gebaut hast. Bist manchmal nächtelang ned heimkommen, weilst mir einen ruhigen sorglosen Abend ned gegönnt hast."

"Als ob wir je ruhige Abende gehabt hätten." erwidert Emanuel empört. "Die hast du damit verbracht, mir das Leben zur Hölle zu machen! Jetzt fällt dir wohl auch nix besseres ein. Mit dir hält's doch kein Schwein aus-"

"Du undankbarer Rotzbua!" ruft Elfriede zornig dazwischen. "Du hattest a Dach überm Kopf, ned? Es stand Essen auf dem Tisch, du bist zur Schule. Aber des war ja alles ned genug. Und jetzt bin ich die Böse?!"

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt